
Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin übt scharfe Kritik an Covid-19 Kommunikation in Medien
Seit längerem wird die Berichterstattung sowie fehlende Daten sowohl in Deutschland als auch in Österreich von Wissenschaftlern aber auch einzelnen Medien scharf kritisiert. Sowohl die Daten der Behörden als auch die Berichte darüber sind häufig einfach falsch. Des Problems hat sich nun auch das Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin eV (EbM) in einer umfangreichen Stellungnahme angenommen.
Zunächst wird die irreführende und teils sogar glatt falsche Darstellung von Zahlen aufs Korn genommen:
„Selbst in den Leitmedien wurden zur Beschreibung des Infektionsrisikos über Monate lediglich Fallzahlen ohne Bezugsgrößen und unter Verwendung unpräziser Bezeichnungen benutzt, etwa „Bisher gibt es X Infizierte und Y Todesfälle“. Dabei wird nicht zwischen Testergebnissen, Diagnosen, Infektionen und Erkrankungen differenziert. Üblicherweise handelt es sich um „gemeldete positive Testergebnisse“. Dabei bleibt unklar, ob das Testergebnis richtig positiv ist, also eine Infektion mit SARS-CoV-2 tatsächlich anzeigt. Auch wäre jeweils relevant, ob und wie schwer die Personen erkrankt sind. Diagnosen sind noch keine Krankheiten. Gerade für COVID-19 wäre wichtig zu wissen, wie viele Personen tatsächlich so krank sind, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. Die immer noch genutzte Aussage „Heute gab es X Infektionen“ ist falsch, da die Gesamtzahl der Infizierten unbekannt bleibt. Dazu bräuchte es eine zeitgleiche vollständige Testung einer repräsentativen Stichprobe aus der Bevölkerung. Eine korrekte Formulierung könnte lauten: „Heute wurden XY neue positive Testergebnisse gemeldet.“ Und „Die Anzahl der Testungen hat sich in der letzten Woche von AA auf BB erhöht.“
EbM fordert weiter positive Testergebnisse in Relation zur Zahl der Tests zu setzen und bekannt zu geben. Auch die hier immer geäußerte Kritik, dass bei geringer Durchseuchung eine hoher Prozentsatz falsch-positiv sein kann wird angesprochen: „Je mehr getestet wird, umso häufiger finden sich auch richtig oder falsch positiv getestete Personen. Je häufiger gesunde und beschwerdefreie Menschen untersucht werden, umso eher gibt es auch positive Ergebnisse von fraglicher Bedeutung. Die falsch-positiv-Rate müsste dementsprechend erwähnt werden.“
Covid-19 ist keine Sportwettbewerb mit Ranglisten
Die von Politikern und Medien gerne gebrachten Ranglisten sind erstens dem Anlass nicht angemessen und zweitens in den meisten Fällen irreführend.
„In verschiedenen Medien wurden über Monate Ranglisten von Fällen präsentiert. Grafiken zeigten für die einzelnen Länder, Bundesländer oder Regionen Rohdaten ohne Bezug zur Bevölkerungsgröße. Die Listen mit Fallzahlen täuschen die Leserschaft, auch wenn die Quellen genannt werden und Seriosität vermitteln sollen. Es fehlen die Nenner. Die Angaben müssten sich auf eine konstante vergleichbare Größe beziehen, üblicherweise auf 100.000 Einwohner. Die Daten für Ländervergleiche sind verfügbar, z.B. über das ECDC. Damit ändern sich die Rangfolgen zum Teil erheblich. Mit Stand 19. August 2020 hat England bisher mit 62 Covid-19 assoziierten Todesfällen pro 100.000 Einwohner mehr Fälle gemeldet als die USA mit 52 pro 100.000, Deutschland verzeichnet 11 pro 100.000, Peru hingegen 82 pro 100.000. Es ist nicht ersichtlich, warum dennoch eine nicht interpretierbare Darstellungsform gewählt wird. Im ARD-Fernsehen wird auch Anfang August noch behauptet, dass die am schlimmsten betroffenen Länder die USA und Brasilien wären.“
Fehlende Vergleichsgruppen – der Corona Tunnelblick
Covid-19 ist nicht die einzige Krankheit, die man haben und an der man sterben kann. Es werden nur die Hospitalisierungen und Todesfälle genannt ohne Bezug zu Alter und der gesamten Sterblichkeit und deren andere Ursachen. EbM dazu:
„Auch Angaben zu Covid-19 Fällen im Krankenhaus ohne Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Erkrankungen und Todesursachen bleiben sinnentleert. Welche Botschaft soll vermittelt werden? Welche Bedeutung hat die tägliche Nennung der bisher gemeldeten Fälle? Wir interessieren uns auch nicht für die bisher und täglich gemeldeten Fälle von Grippeinfektionen, Schlaganfällen oder Unfalltoten, auch nicht, wie viele Menschen sich von einer Grippe wieder erholt haben oder aus der Intensivstation entlassen wurden.“
Die Nennung von Rohdaten ohne Bezug zur Gesamtheit und anderen Daten erlaubt keine Abschätzung des Risikos und vermittelt ein falsches Bild.
„Auch ein Bezug zu Todesfällen durch andere akute respiratorische Infektionen sollte berichtet werden. Die Zuordnung zu Altersgruppen müsste möglich sein. So zeigen Daten des Statistischen Bundesamts für den Monat April 2020 eine etwa 10%ige Erhöhung der Gesamtsterblichkeit. Allerdings hatte in der Vergangenheit schon eine ‚einfache‘ Grippe-Welle deutlich höhere Sterblichkeitsanstiege verursacht.“
Umstrittene Einzelfallberichte
Immer wieder werden Einzelfälle herausgegriffen um eine bestimmte These zu untermauern. Kürzlich wurde etwa im ORF zur Untermauerung länger anhaltender Schäden ein Patient ausführlichst dargestellt der nach einer länger dauernden Intubation an seiner Rehabilitation arbeitet. Der Fall war völlig ungeeignet, da unklar ist, ob die Probleme durch das Virus oder durch mechanische Beatmung so schwer wurden. EbM dazu:
„Aktuell werden Einzelfälle von schwer Erkrankten ausführlich präsentiert. Es wird auf spezifische Folgeerkrankungen aufmerksam gemacht, darunter äußerst seltene Krankheitsbilder bei Kindern. Für eine sinnvolle Einordnung der Beobachtungen wären jedoch Vergleiche notwendig. So gibt es auch bei Grippe schwere Folgeerkrankungen, insbesondere des Herzens. Jede Behandlung auf einer Intensivstation hat zudem ein bestimmtes Risiko von Folgeschäden. Inwiefern die Komplikationen auf die COVID-19 Erkrankung selbst oder die Behandlung auf der Intensivstation, eventuell aufgrund schwerer Grunderkrankungen, zurückzuführen sind, müsste systematisch im kontrollierten Vergleich untersucht werden. Nur im kontrollierten Vergleich ließe sich beurteilen, welche Ereignisse spezifisch auf COVID-19 zurückzuführen wären.
Insgesamt ist die Sprache in der medialen Berichterstattung oft alarmierend. Es scheint als würde die eigene Angst der Berichterstatter*innen in der Auswahl und Formulierung der wissenschaftlichen Daten mittransportiert.“
Aufarbeitung der Kollateralschäden nötig
Die Nicht-Pharmazeutischen Interventionen wie Schulschließungen, Lockdown, Masken etc verursachen natürlich sowohl auf gesundheitlichem, sozialen und wirtschaftlichen Gebiet Nebenwirkungen. Eine Dokumentation und Bewertung fehlt fast völlig. Sie werden weder erfasst noch dokumentiert. Dazu das EbM:
„Die Nennung von Nebenwirkungen präventiver Maßnahmen und die Abschätzung des Ausmaßes dieser Effekte wäre für eine ausgewogene Berichterstattung unverzichtbar. Es gibt unerwünschte negative, aber auch positive Nebenwirkungen. Eine verlässliche Beurteilung der Kollateraleffekte erscheint aktuell nicht möglich. Dazu braucht es eine systematische Dokumentation und Auswertung von medizinischen Diagnosen, Krankhauseinweisungen und Todesursachen. Auch die Mitberücksichtigung nichtmedizinischer Effekte erfordert eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung.“
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1 Kommentar
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Es tut gut, dass das EbM hier so deutlich Stellung bezieht. Eigentlich hätte ich gedacht, dass all diese Punkte auch jede*m Nicht-Mediziner*in recht offensichtlich erscheinen, aber aus irgendwelchen Gründen werden jetzt ja stattdessen in Politik und Medien noch strengere „Maßnahmen“ diskutiert. Ich komme mir vor, als befände ich mich unfreiwillig in einer merkwürdigen Reality-Show … und kann nicht verstehen, warum ein großer Teil der Menschen so begeistert mitzumachen scheint, ohne die Sinnhaftigkeit auch nur im Geringsten zu hinterfragen. Ist das wirklich nur die geschürte Angst, oder auch eine Art Lust an der Kontrolle anderer aus einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit heraus?