Cancelling Habermas: Der Posse zur “Vergangenheitsbewältigung” 2. Akt

2. April 2023von 2,3 Minuten Lesezeit

Vor nicht allzu langer Zeit habe ich an dieser Stelle einen Beitrag mit dem Titel “Cancelling Habermas” veröffentlicht, in dem es um das seltsame Rauschen im Blätterwald des deutschen Feuilletons ging. Gleichsam als “Gegenprogramm” zu Jürgen Habermas’ Aufruf, nicht nur Waffen nach Kiew, sondern auch Diplomaten nach Moskau zu schicken hatten die deutschen “Leit- und Qualitätsmedien” ein vorschnelles Urteil gefällt. Ein notwendiges “Update” zu der Posse 2. Akt.

Vorneweg: den ursprünglichen Artikel vom 23. Feb. 2023 finden Sie hier.

Den Bericht über Jens Stoltenbergs Lob für Habermas finden vom 15. Feb. 2023 finden Sie hier.

Was aber ist vorgefallen, das ein derartiges “Update” rechtfertigt?

Die Zeit verändert die Überschrift von Eva Illouz’ Kommentar

Sie haben es richtig gelesen: der ursprüngliche Beitrag von Eva Illouz mit dem Titel “Ich wünsche mir den totalen Sieg” erschien am 15. Feb. 2023, möglicherweise als “Reaktion” auf Habermas’ Essay in der Süddeutschen Zeitung, der am Tag davor erschien.

Zur Erinnerung (Screenshot des Autors):

Kurioserweise wurde der Titel des Kommentars knapp nachdem ich den Screenshot angefertigt hatte von der Redaktion der Zeit verändert:

Auch der zweite Sreenshot ist von mir, aufgenommen heute.

Beachten Sie bitte, dass die “Aktualisierung” nicht verändert wurde, aber die Überschrift sehr wohl. (Nebenbei hat der Beitrag von Eva Illouz seither auch “nur” drei weitere Kommentare nach sich gezogen.)

Die Zeit macht sich die Welt, wie es ihr gefällt

Nun maße ich mir keineswegs an, meinem Beitrag hier so viel Wirkmächtigkeit zuzumessen, dass die ehrenwerten Herren in der Zeit-Redaktion sich daraufhin bemüßigt fühlten, diese Veränderung herbeizuführen.

Seltsam finde ich das aber schon.

Ist Ihnen, werte Zeit-Redaktion, am 18. Feb. 2023 – dem 80. Jahrestag der  berüchtigten Rede von Joseph Goebbels (“Wollt Ihr den Totalen Krieg?”) im Berliner Sportpalast – oder danach in etwa eingefallen, wie problematisch der Kommentar ist?

Ich kann dazu nur spekulieren, aber immerhin ist das wohl doch noch irgendjemandem aufgefallen.

Wie dem auch sei, es ist in jedem Fall ein trauriges Beispiel für billigste Propaganda, bezeichnend für den massiven Qualitätsverlust der “Leit- und Qualitätsmedien” und wirft eine Reihe unangenehmer Fragen über redaktionelle Vorgaben – in Kommentaren (!) – auf.

Wer im juste milieu weiterhin an “die gute Seite” blindlings glaubt, für den wird wohl es über kurz oder lang ein “böses Erwachen” geben.

Bild Bundesarchiv, Bild 101I-00011 / Kropf / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv Bild 101I-00011, Ausstellung PK Belgien retouched, CC BY-SA 3.0 DE

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13 Kommentare

  1. Jan 3. April 2023 at 14:08

    Meine These: Kalkulierte Propaganda.

    Redaktionen sind durchorganisierte Institutionen. Da schaut ein Lektor durch. Es gibt einen Titelredakteur, einen CvD, einen Herausgeber. Die gesamte Belegschaft bis zum Sekretariat schaut Artikel vor oder spätestens nach der Veröffentlichung an.

    Dass die Assoziation niemandem aufgefallen sein soll, noch dazu bei der Zeitung für Gebildete ist ausgeschlossen!

    Wie ist der Beitrag denn in der Printausgabe erschienen? Hat man angeglichen, da man sich derart nicht im Archiv verewigen wollte? Online-Zugriffszahlen sind sicher die ersten drei Tage am höchsten. War das ein Wochenende?

    Wenn ich mir solches anschaue, keimt in mir der Verdacht, dass es noch um etwas anderes geht als Pharmagewinne. Dies sieht mir nach ‘redaktioneller Kooperation’ aus, wer hat hier Einfluss genommen, der Titelredakteur oder der CvD? Die Dame wird das so nicht selbst gedichtet haben. Rücksicht auf eine Teilleserschaft ewig Gestriger scheint unplausibel.

    Medien nehmen auch im redaktionellen Teil häufig Rücksicht auf Werbepartner; wenn nicht sowieso redaktioneller Text bezahlt wurde (verboten aber straffrei), wird dies als ‘Goodie’ für Anzeigen oder Gruppenabonnements gemacht. Wer hatte hier ein Interesse? Eine Einzelperson? Eine Einzelperson mit Druck aus einer persönlichen Community, vor der er sich beweisen möchte? Was beweisen? Das Außenministerium? Das Gesundheitsministerium? Eine PR-Agentur im Pharmaauftrag? Die Atlantikbrücke?

    Sehr suspekt!

  2. lbrecht torz 3. April 2023 at 11:14

    Wenn es denn nur “billigste Propaganda” wäre …

    (und nicht perfide geplante, wissenschaftlich begleitete, geldmächtig weithin ausgestreute und verbreitete Propaganda)

  3. Kurt 3. April 2023 at 10:39

    Mir scheint nicht nur die Zeit verändert die Überschrift, sondern verhindert das nach vorn zu sehen. Was wir bereits miterleben. Galuben was man sieht und hineininterpretiert endet meistens in verschiedenen Versionen. Mit anderen Worten, wenn jemand sagt, er findet jemand sympathisch, steht dieser jemand am nächsten Tag mit einem Strauß Rosen und einem Heiratsantrag vor der Tür. Dann hat man zu viel reininterpretiert. So ergeht es vielen Geschichten die den kürzeren ziehen müssen.

  4. S.BK 3. April 2023 at 9:43

    Man sagt die Zeit heilt Wunden. Anscheinend nicht für viele Menschen die eine alte Videokassette immer wieder in sich reinschieben. An eine Vergangenheitsbewältigung denkt wohl keiner nach. Viele Jahre sind ins Land gegangen und niemand sprsch oder schrieb darüber. Jetzt wird ständig daringerührt. Man sollte langsm wissen wann genug ist.

    • Rainer 3. April 2023 at 10:22

      S.BK
      3. April 2023 at 9:43Antworten

      Gebe Ihnen recht.
      Dazu gehört aber dass man zur Heilung bereit ist.
      Viele scheitern an der Vergangenheitsbewältigung weil sie sich ständig Artikel wie diesen hier reinziehen.
      Schuld sind aber nicht diejenigen die es konsumieren, sondern diejenigen, die immer und immer weiter hetzen.
      Was solche drittklassige Autoren antreibt, keine Ahnung.
      Niemand ist gezwungen Medien zu konsumieren, weder MSM noch Alternative.
      Aber es ist bei manchen wie eine Sucht.
      Aus Frust, verkorksten Leben, aus Langeweile, zwecks Gruppenzugehörigkeit weil man ohne nichts ist?
      Keine Ahnung.
      Ändern wird es nichts, außer dass es die eigene Lebensqualität verschlechtert und so manchen physisch und psychisch krank macht.

      • I.B. 3. April 2023 at 17:04

        @Rainer
        3. April 2023 at 10:22
        Hat da ein Hetzer (oder in der Merzahl) Angst vor Aufklärung und Aufarbeitung?
        Sie verkennen (oder wollen es gerne durch Manipulation und Propaganda vertuschen), dass dijenigen, die Aufarbeitung wollen, niemanden ausgeschlossen haben, niemanden die demokratischen Rechte verweigert haben. Ganz im Gegensatz zu den Hetzern, die dieses Wort jetzt gerne den Ausgegrenzten, ihrer Rechte Enthobenen, zuschieben möchten. Das funktioniert nicht. Auch wenn Sie es noch so oft versuchen. Zur Vergangenheitsbewältigung gehört Aufarbeitung, gehört, dass die Täter ihre Täterschaft eingestehen.

  5. therMOnukular 3. April 2023 at 2:11

    So wie es für mich aussieht, betreiben die korporierten Medien schlicht dieselbe Taktik, wie sie auch von der Politik vorgegeben und vorgelebt wird: man haue etwas hinaus und beobachte die Reaktion. Geht es durch, dann macht man damit weiter.

    Weil Medien keinen Informationsauftrag mehr erfüllen, sondern sich im Dienste des “Content Buildings” begreifen, wie man das Erzeugen propagandistischer Scheinwelten heutzutage nennt.

    Und die “Gebildeten” glauben es – wie mir eine Klima-Diskussion mit einem Zeugen Coronas jüngst wieder gezeigt hat. “99% der Wissenschaft sagen das, aber du willst schon wieder schlauer sein….” (Zitat des Halbbruders O. Bronners….;)) Und das nur Monate, nachdem die letzten (vermeintlichen) 99% mit quasi allem daneben lagen.

    Ist das noch kognitive Dissonanz oder schon Scheisse im Hirn? Ich weiß es wirklich nicht…

  6. flatten_the_curve 2. April 2023 at 20:37

    Merkel hat schon 2015 bei der Kriegskonferenz in München wieder vom Endsieg gegen Russland geträumt: “Ich bin hundert Prozent überzeugt, dass wir mit unseren Prinzipien siegen werden.”

    BRD-Kriegsdoktrin 1992: “Ohne Deutschland ist es unmöglich, die osteuropäischen Völker zu
    integrieren.”

    Schäuble/Lamers-Papier 1994: “ein Zwischen-Europa darf es nicht wieder geben.”

  7. GoldMorgs (Veen) 2. April 2023 at 20:35

    Interessant ist auch ein Teil des Scharz-Weis-Bildes mit dem Aufschrit -Aktive Propaganda-
    Sehen wir
    -Engeland tegen Europa, wat vijf eeuwen ons leeren- (NL)
    Übersetzt;
    -England gegen Europa, was fünf Jahrhunderte uns lernen- (D)

  8. Fritz Madersbacher 2. April 2023 at 19:39

    “Wer im juste milieu weiterhin an “die gute Seite” blindlings glaubt, für den wird es wohl über kurz oder lang ein “böses Erwachen” geben”
    DER Kritiker des selbstgefälligen bürgerlichen ‘Juste Milieu’ war Honoré de Balzac. Nicht von ungefähr war er folgerichtig ein unerbittlicher Kritiker der bürgerlichen Journaille, des scheinheiligen und opportunistischen Sprachrohrs dieses Milieus, das sich selbst zum Hort der Wohlanständigkeit stilisierte. Balzacs Auslassungen sind noch heute mit Gewinn zu lesen, z.B. seine Typenlehre der Pariser Presse (‘Monographie de la presse parisienne’, erschienen 1843 in Paris), ihre Anwendbarkeit auf die aktuellen Fortsetzer/-innen dieser fragwürdigen Tradition ist unübersehbar.
    Er unterscheidet die beiden Haupttypen “Publizisten” und “Kritiker”. Für ihre Beschreibung “haben wir unsere Aufmerksamkeit besonders jenem Bereich gewidmet, dem die Zoologie ihre Typenlehre über Ringelwürmer, Mollusken und Maden verdankt … Wir hoffen, dass dieses Stück sozialer Naturgeschichte in anderen Ländern mit einigem Vergnügen gelesen wird … Das Wichtigste am Charakter jener beiden Ordnungen ‘Publizist’ und ‘Kritiker’ ist, dass sie keinen haben”.
    Über die Presse seiner Zeit findet er folgende Worte: “Die Presse … ist wunderbar und erhaben, wenn sie eine Lüge vorbringt. Sie lässt nicht locker, bis Sie ihr glauben, und sie verwendet die größten Talente auf diesen Kampf, in dem das Publikum … immer unterlegen ist. Wenn es die Presse nicht gäbe, dürfte man sie nicht erfinden” (in: „Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken“, Zürich 2016)
    Viele Jahre sind seither vergangen, die bürgerliche Gesellschaft auf kapitalistischer Grundlage hat sich weiterentwickelt, die Möglichkeiten der Medien haben sich vervielfacht, ihre Erfüllung der Rolle als „Vierte Gewalt“ im Staat zur Beherrschung der Bevölkerung ist zur Überlebensfrage für die jeweiligen Machthaber geworden …

    • I.B. 3. April 2023 at 17:19

      “…Rolle als „Vierte Gewalt“ im Staat zur Beherrschung der Bevölkerung ist zur Überlebensfrage für die jeweiligen Machthaber geworden …”

      Wie wahr. Ist die “Vierte Gewalt” nicht bereits zur einzigen Gewalt geworden? Gerade in Deutschland kann man gut sehen, wie die Regierung, wie Scholz, von der “Vierten Gewalt” vor sich hergetrieben wird.

  9. Hans im Glück 2. April 2023 at 19:26

    Die “Zeit” ist in einem Atemzug zu nennen mit “Spiegel” und “Süddeutsche”. Das waren mal wirkliche Qualitätsmedien! Jetzt ist es hetzender, spaltender Propagdanda Müll. Mit seriösem Journalismus haben diese Werbeblättchen quasi nichts mehr zu tun. Ich klicke nicht mal mehr die Seiten an, um diesen Verlagen nicht unfreiwillig “Click bait” Einnnahmen zu bescheren. Von gedruckten Versionen reden wir da besser nicht. Die taugen geschenkt für den Vogelkäfig.

    • Andreas N 2. April 2023 at 20:15

      Das dig. Zeit-abo habe ich erst letzte Woche gekündigt. Man wartet, wartet länger, na irgendwann werdens doch draufkommen ….
      Also dann nicht, eine weitere Stopptaste ist gedrückt. Das Versagen der 4. Gewalt ist einerseits tragisch, auf der anderen Seite erleben wir mit den neuen Medien einen Aufstieg, den wir in Tonität und Feedback mitgestalten können. Das ist eine Freude. Zackzack beweist ja gerade wie man auch als neues Medium dramatisch abschmieren kann, Peter Pilz beklagt soeben mangelnde Subvention. Wie niedlich.

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