Ruf nach “Maidan” in Serbien

23. Mai 2023von 4,4 Minuten Lesezeit

Massenproteste in Serbien: Kommt es zu einem Regime-Change in Belgrad und wie realistisch ist eine Öffnung Serbiens Richtung Brüssel?

Das Regime von Aleksandar Vucic steht unter Druck. Seit Anfang Mai kommt es zu Protesten, diese wachsen stetig an.  Am Freitag demonstrierten Zehntausende Menschen in Belgrad, manche sprechen von den größten Protesten des Landes seit mehr als 20 Jahren.

Proteste nach Amoklauf

Auslöser waren zunächst zwei Amokläufe, die Serbien erschüttert haben. Ein 13-jähriger Schüler schoss in seiner eigenen Schule um sich, tötete neun Mitschüler. Am Tag darauf erschoss ein 21-jähriger acht Personen auf offener Straße. Das Land stand unter Schock, schnell kam es zu Trauermärschen auf der Straße.

Beschuldigt wird die Serbischen Fortschrittspartei und Vucic, der ein Klima der Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit in Serbien erschaffen habe. Die Opposition forderte den Rücktritt des Innenministers, was Vucic verweigert hat. Die Reaktion des Regimes, das die meisten Medien im Land unter fester Kontrolle hat, war teilweise absurd. Man las Abschusslisten vor und diktierte den Medien Details aus dem Privatleben der Täter. Anstatt zu versöhnen, führte diese Reaktion zu noch mehr Frust in der Bevölkerung. Vucic sinnierte auch über die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Doch spätestens seit Freitag sind die Proteste auf die Regierung als Ganzes gerichtet. Angeführt werden die Proteste von der Opposition, darunter etwa auch die grüne Koalition „Moramo“. Getragen sind die Demos aber von einer breiten, eher apolitischen Schicht. Die Bewegung demonstriert aber nicht für eine Öffnung Serbiens Richtung EU. Es reicht ihnen mit der Korruption und der Gewalt im Land, haben vor allem die Staatsmedien satt. Viele sind erstmals in ihrem Leben auf der Straße, umso leichter könnten die Proteste von pro-westlichen Akteuren und Geheimdiensten instrumentalisiert werden.

Gunter Fehlinger, bekannter NATO-Lobbyist aus Österreich, twittert am Wochenende bereits euphorisch: Die Zeit für einen „Serbo-Maidan“ und EU-Serbien sei gekommen, das Regime von Vucic sei am Ende.

 

Geopolitisch ist Serbien im Visier Washingtons: Das Land soll sich der EU „öffnen“, die Unabhängigkeit des Kosovos anerkennen, Sanktionen gegen Russland erlassen, seine Ansprüche in Bosnien beenden. Auch die enge Beziehung Serbiens mit China, wovon Serbien gerade in den letzten Jahren sichtbar zu profitieren begann, ist dem Westen ein Dorn im Auge. Gunter Fehlinger sei Dank, wird darüber auch ganz offen gesprochen. Quasi seit Beginn des Krieges setzen EU und Washington Serbien unter Druck, weil sich Vucic nicht an der Kriegstreiberei beteiligt und Sanktionen gegen Russland verweigert. Auch beim Pulverfass Kosovo ist Vucic kein Zündler, sondern setzt auf Diplomatie.

Wie realistisch ist ein EU-Serbien?

Vucic selbst sprach das Maidan-Szenario an: In Serbien werde es zu keinem Maidan kommen, er hat es bereits ausgeschlossen, zurückzutreten. Er kündigte an, am 26. Mai als Parteichef seiner SNS zurückzutreten. Diesen Schritt hatte er bereits länger angekündigt, die Opposition hatte ihm allerdings nicht geglaubt. Am Freitag ist zudem auch eine Pro-Vucic-Demo angekündigt. Staatsbedienstete werden teilweise mit der Kündigung gedroht, sollten sie nicht daran teilnehmen. Das Regime kämpft mit harten Bandagen.

Der Präsident spricht auch davon, dass ausländische Geheimdienste vor einer Farbrevolution warnen würden. Was für diese Darstellung spricht: einschlägige westliche Medien bringen seit dem Großprotest am Freitag das Thema Serbien groß in den Vordergrund. Vucic Kommentar zur Demo war durchaus originell:

“Was gibt ihnen das Recht, das normale Leben anderer Menschen zu behindern? Sie schikanieren die Bürgerinnen und Bürger und verbieten ihnen das Reisen (es kam zu Brückenblockaden, Anm.) aber wir mögen es nicht, Demonstranten zu schlagen, wie es Frankreich und Deutschland tun.”

Man muss wohl nicht erwähnen, dass auch das Vucic-Regime in seiner Zeit bereits häufig gewaltvoll gegen Demonstranten vorgegangen ist. Bei den letzten Parlamentswahlen 2022 erlangte die SNS 44 Prozent der Stimmen. Damit musste man Verluste von 20 Prozent einstecken. Vucic gewann die Präsidentschaftswahl mit 60 Prozent der Stimmen.

Serbische Journalisten sagen zu tkp, dass es im Land mittlerweile keine Mehrheit mehr für eine westliche Öffnung gebe. Diese sei womöglich in den 10er-Jahre kurzfristig bestanden, doch mittlerweile wäre sie weg, heißt es. Das Land leidet weiterhin unter den Folgen der Bomben der NATO und unter der im Land verschossenen NATO-Uran-Munition, des wirtschaftlichen Embargos. Auch die Abwanderungen der jungen Generation aufgrund fehlender Perspektiven setzt Serbien schon lange zu. Trotzdem ging es in den letzten Jahren in Serbien wirtschaftlich etwas aufwärts – Institutionen der EU sehen das jedenfalls anders.

Vucic führt das Land autoritär und korrupt, steht allerdings von beiden Seiten unter Druck. Von der prowestlichen Seite wird ihm vorgeworfen, er sei ein Diener Putins, die andere Seite wirft ihm vor, für das WEF und die Transatlantiker zu agieren. Um seine Villa am Genfer See in der Schweiz gibt es viele Geschichten. Ein „serbischer Maidan“, der nicht blutig enden würde, wäre kaum denkbar. Doch auch der erste Maidan 2014 in der Ukraine endete im Bürgerkrieg.

Bild European People’s PartyEPP Western Balkans Summit, 5 October 2021, Ljubljana (51554637410)CC BY 2.0

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14 Kommentare

  1. […] Ruf nach “Maidan” in Serbien […]

  2. Karl Heim 24. Mai 2023 at 12:49Antworten

    Nun ja,kennen sie auch den ersten Slawischen Kongress?Man forderte die Vertreibung aller Deutschen,Italiener,Ungarn,Türken aus den Slawengebieten.

  3. Buzzer 24. Mai 2023 at 11:03Antworten

    “Es reicht ihnen mit der Korruption und der Gewalt im Land, haben vor allem die Staatsmedien satt.
    Die Reaktion des Regimes, das die meisten Medien im Land unter fester Kontrolle hat, war teilweise absurd. …diktierte den Medien…. Anstatt zu versöhnen, führte diese Reaktion zu noch mehr Frust in der Bevölkerung. Vucic sinnierte auch über die Wiedereinführung der Todesstrafe.
    der ein Klima der Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit in Serbien erschaffen habe”
    Erinnert mich irgendwie an die EU und österreich. (Im weitesten Sinne ist die Impfpflicht auch eine Art Todesstrafe, zumindest russisches Roulette)

  4. Harald Eitzinger 24. Mai 2023 at 8:10Antworten

    Wie schäbig ist es denn wenn der sogenannte Wertewesten andere Staaten der Korruption bezichtigt, selbst aber bis zur Oberkante Unterlippe darin feststeckt! Den Vogel schießt dabei die EU ab, die das Beitrittsgesuch des korruptesten Landes Europas allen anderen Ländern vorzieht die schon jahrelang in der Warteschleife verharren. So ist eben der EUropa, bedient eben als US-Vasall nur deren Interessen!

    • Hasdrubal 24. Mai 2023 at 8:55Antworten

      Man muss nur die COVID-Spritzen erwähnen, um 10 pro „EU“-Untertan, für etwa 70-110 Milliarden. Der „Green Deal“ ist aber um ganze Größenordnungen größer, buchstäblich viele Billionen. In manchen Ländern des Globalen Ostens heißt es offiziell, dass Klimagedöns Wirtschaft und Wohlstand gefährde (gemeint sind breite Massen, nicht einzelne Klimaindustrie-Oligarchen). Diese Länder werden garantiert dem Westen nicht folgen, egal was Von Der erzählen mag.

  5. Wirt 24. Mai 2023 at 6:53Antworten

    die glauben wirklich, dass das alte Drehbuch immer noch funktioniert……dachte die hätten mehr drauf…etwas entäuscht ich bin

  6. Hasdrubal 24. Mai 2023 at 3:00Antworten

    @„Von der prowestlichen Seite wird ihm vorgeworfen, er sei ein Diener Putins, die andere Seite wirft ihm vor, für das WEF und die Transatlantiker zu agieren.“

    Ob Serben auf Insektenfrass stehen und Strom einzig dann, wenn Windräder sich drehen? („Strom nach Angebot“, wie von den deutschen Grün:innen angekündigt). Dazu „you will own nothing“. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs hat Russland gerade Greenpeace als westliche Agentur verboten – ob westliche Medien darüber berichten? Die Russische Akademie der Wissenschaften leugnet das Klima oder eher menschlichen Einfluss darauf. Der globale Klima-Krieg gefährde Wohlstand der Nationen, heißt es jetzt offiziell. Russland solle aus internationalen CO2-Abkommen aussteigen – die der Westen wohl mit voller Härte Serbien aufzwingen würde. (Baerbock will demnächst China Klimagedöns befehlen – die westlichen Oligarchen kassieren wohl nicht genug).

  7. flatten_the_curve 23. Mai 2023 at 23:41Antworten

    Dass es keinen jugoslawischen Staat geben darf und gegen diesen Krieg geführt werden muss, war den deutschen Parlamentariern schon 1848 klar: “In der Paulskirche wurde betont, daß es »in Deutschlands hohem Interesse liege«, die Entstehung neuer selbständiger »Slaven- und Magyaren-Reiche« an der deutschen Ostgrenze zu verhindern. Diese neuen Staaten würden sich »unfehlbar« einem »südslawischen« Bund zuwenden. In diesem Fall drohe die deutsche und österreichische Aufgabe, »die deutsche Gesittung … nach dem barbarischen Osten zu tragen«, unmöglich gemacht zu werden (RfdN, Bd. 4: 2779)”(in “Debatten zu Südosteuropa in der Paulskirche”)

    In den geheimen Weisungen des Führerhauptquartiers vom 27. März 1941 heißt es: “Die innerpolitische Krise in Jugoslawien wird dadurch verschärft werden, daß den Kroaten politische Garantien gegeben werden.”
    CDU-Führer Kohl hat sich mit der erneuten Zerstörung Jugoslawiens durch die Unterstützung der gleichen Kollaborateure wie im 2.WK sogar öffentlich gebrüstet: “Dies ist ein großer Erfolg für uns und die deutsche Politik.”
    Ex-BND-Chef und Außenminister Kinkel 1992: “Wir müssen Serbien in die Knie zwingen”.

  8. Fritz Madersbacher 23. Mai 2023 at 22:29Antworten

    Die Zerstörung Jugoslawiens nach dem Tod Titos wurde durch Infiltration und wirtschaftliche Maßnahmen vor allem seitens des Internationalen Währungsfonds vorbereitet. Die westliche Berichterstattung darüber war in ihrer Einseitigkeit und Polemik nur vergleichbar der späteren “Pandemie”-Propagandawalze.
    Die internationale Situation hat sich gewandelt: USA, EU und NATO verfügen nicht mehr über die Mittel, Serbien in gleicher Weise zu erpressen und ihrem Willen zu unterwerfen wie damals. Auch das serbische Volk wird sich seinen Möchtegern-Beherrschern entgegenstellen, ungeachtet aller inneren Differenzen. Die EU hat nichts mehr zu bieten, sie ist eine von Tag zu Tag schwächere ‘lame duck’. Den westlichen Machthabern brechen täglich bisher (miß-)brauchbare Hebel zur Durchsetzung ihrer Interessen weg. Ihr Machtverlust ist nicht mehr zu verbergen, auch wenn sie es starrköpfig und uneinsichtig versuchen …

  9. Heinz Becker 23. Mai 2023 at 18:38Antworten

    Ist nur eine Frage der Zeit bis die EU sich Serbien einverleibt.

    • Frank D. 24. Mai 2023 at 8:22Antworten

      “Vucic führt das Land autoritär und korrupt, steht allerdings von beiden Seiten unter Druck”

      Hier wird insuniert, dass Vucic Repräsent der EU ist. Das ist nicht der Fall!

  10. Ole Pederson 23. Mai 2023 at 18:12Antworten

    Es wäre die zweite Farbrevolution in Serbien — wo die erste Farbrevolution überhaupt stattfand, namens Otpor — und es würde die Filetierung Jugoslawiens, das durch die NATO zu US- und EU-Kolonien herabgestuft wurde, vollenden. Ich hoffe, die Serben sind schlau genug, sich der EU zu verweigern.

    • Heiko 23. Mai 2023 at 19:35Antworten

      Die erste Farbenrevolution, damals noch ohne Farbe, gab es in der DDR. Da meinte der Westen, dass man keine extra Farbe bräuchte, das Westfernsehen war für die Ossis bunt genug.

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