Die Maske wird allmählich zum Amulett

6. September 2022von 5,5 Minuten Lesezeit

Als ich im Frühjahr mit der Fähre aus Dänemark zurückkehrte, hatte ich die Wahl zwischen zwei Schiffen. Sie waren in etwa baugleich, gehörten derselben Reederei und fuhren am selben Tag dieselbe Strecke. An Bord des einen Schiffs herrschte Maskenpflicht, auf dem anderen nicht. Denn das Schiff mit Maskenpflicht fuhr unter deutscher Flagge, unterlag also deutscher Rechtsprechung, das andere unter dänischer.

Die Anekdote illustriert ganz ohne Grafiken und Statistiken, dass die Maskenpflicht längst keine Frage der Evidenz mehr ist. Sie widerspricht nach Aussage diverser Fachleute, etwa J. Schmidt-Chanasit, den Empfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften, etwa der DGKH und DGHM. Selbst der Evaluationsbericht einer von der Regierung eingesetzten Expertengruppe konnte keinen signifikanten epidemiologischen Nutzen feststellen. Auch der aktuelle Gesetzesentwurf basiert vor allem auf der Fehlinterpretation von Studien, wie die aktuelle Stellungnahme der Wissenschaftlergruppe 7 Argumente moniert: Der international inzwischen weitgehend als normales Lebensrisiko eingestuften Erkrankung mit Covid stünden teils gravierende Nebenwirkungen entgegen, sodass von Verhältnismäßigkeit keine Rede sein könne.

Die Maske ist in deutschen Supermärkten und Büros zu einer Glaubensfrage geworden, zu einem Amulett, das vor Krankheit schützen soll. Und damit längst eine Angelegenheit für Religionswissenschaftler ebenso wie für Mediziner und Psychologen.

Religionswissenschaft und Psychologie überschneiden sich beim Begriff des magischen Denkens. Magisches Denken ist weltweit verbreitet (B. Malinowski nannte es eine anthropologische Konstante) und per se natürlich nicht krankhaft. Auf dem Lottoschein seine persönlichen „Glückszahlen“ einzutragen, gehört ebenso dazu wie in Irland am St. Brigid’s Day ein geflochtenes Kreuz ans Haus zu hängen.

Aus dem Mittelmeerraum sind die auch als Schmuck verkäuflichen Augen bekannt: auf Fischerboote gemalt (etwa auf dem christlichen Malta) oder als Kettchen getragen (zum Beispiel in der muslimischen Türkei) sind sie allgegenwärtiger Ausdruck magischen Denkens. Ich selbst erhielt als Jugendliche von einem Verwandten, der Native American war, einen Dreamcatcher: ein kunstvoll gearbeitetes Netz, das, übers Bett gehängt, vor bösen Träumen schützen soll. Der Glaube daran ist mal stärker, mal weniger stark ausgeprägt – oft sind magische Praktiken längst in Kunst und Tradition aufgegangen.

Bei Kindern Teil des normalen Entwicklungsprozesses, kann magisches Denken bei Erwachsenen jedoch auch auf eine psychische Erkrankung hinweisen. Gewöhnlich stellt es einen Kontrollversuch dar. Hoffmann/Hoffmanns Werk Zwanghafte Persönlichkeitsstörung und Zwangserkrankungen behandelt es im Zusammenhang mit Zwangserkrankungen (Kapitel 6, Zwangsgedanken und magisches Denken). Und tatsächlich haben solche Erkrankungen während der Corona-Maßnahmen massiv zugenommen.

Ebenso wie die Psychologie sieht auch die vergleichende Religionswissenschaft in magischen Praktiken einen Kontrollversuch. Die Kontrolle des Unkontrollierbaren ist der Hintergrund Unheil abwehrender Magie. Dazu gehören beispielsweise Amulette, die häufig passende Texte beinhalten: Auszüge aus dem babylonischen Erra-Epos (um den gleichnamigen Seuchengott, 8. Jahrhundert vor unserer Zeit) wurden als Amulett getragen, um sich vor Krankheit zu schützen.

Aber auch Körperverhüllung, insbesondere am Kopf, kann einen solchen Aspekt haben: Durch die Bedeckung soll der Körper vor dem Eindringen von Dämonen geschützt werden, die auch für Krankheit verantwortlich gemacht werden. Die Überzeugung, dass ein Gegenstand magische Wirkung habe, ist dabei nicht unmittelbar überprüfbar: Kennzeichen von Magie ist, dass sich ihre Wirkung nicht wissenschaftlich nachweisen lässt.

In einer Gesellschaft, die Krankheit und Tod bis vor zweieinhalb Jahren weitgehend ausgeklammert hatte, überrascht es nicht, dass eine als gefährlich kommunizierte Krankheit das Gefühl eines solchen Kontrollverlusts auslösen kann. Die Erfahrung eines von Politik und Medien als quasi allmächtig, gleichzeitig jedoch nicht greifbar dargestellten Feindes („das Virus“, das überall lauert) kann durchaus das erzeugen, was Schleiermacher das Gefühl der „schlechthinnigen Abhängigkeit“ nannte: für ihn zentrales Kennzeichen von Religion.

Kombiniert mit der monatelangen Gewöhnung an den ständig wiederholten Gedanken, nur die Maske könne einen selbst und andere vor Krankheit und Tod schützen, überrascht es nicht, dass es vielen inzwischen gleichgültig ist, ob es für diesen Schutz überhaupt wissenschaftliche Evidenz gibt – oder ob die Maske möglicherweise sogar mehr schadet als nützt. Wo die Frage nach dem überprüfbaren Nutzen jedoch keine Rolle mehr spielt oder gar gesellschaftlich sanktioniert ist, wird die Maske zum Amulett.

Auf den Träger hat ein Amulett keinen nachweisbaren Einfluss. Je nach Kontext aber sehr wohl auf die Gesellschaft.

Magie ist ein kommunikativer Kontrollmechanismus. Das bedeutet, sie hat neben dem Aspekt, das Unkontrollierbare kontrollieren zu wollen, noch einen weiteren, nämlich den der Kommunikation. E.E. Evans-Pritchard (1902-1973) hat als erster diesen Aspekt ins Zentrum seines Verständnisses von Magie gestellt. Die religionssoziologische Funktion von Magie ist also auch kommunikativer Art.

So kann durch einen Unheil abwehrenden Gegenstand (früher als Apotropaion bezeichnet, ein Begriff, der wegen der Nähe zum Kulturevolutionismus allerdings heute in einigen Disziplinen umstritten ist) die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder eben auch Rechtgläubigkeit kommuniziert werden (im Fall der Maske würde man es Compliance nennen). Auch der gesellschaftliche Zusammenhalt kann, wenn der Glaube daran weitgehend geteilt wird, gestärkt werden („Wir gegen das Virus“). Und nicht zuletzt dient das Tragen nicht nur der Abwehr von Schaden, sondern auch der Visualisierung der Bedrohung. Ein Aspekt, den übrigens auch der eingangs zitierte Evaluationsbericht nennt.

Solche Kontrollmechanismen können sehr stark emotional besetzt sein, insbesondere da, wo sie nicht nur den Eigen-, sondern auch den Fremdschutz versprechen. Hier können sie problematisch werden, wenn sie nämlich den Konformitätsdruck innerhalb einer Gruppe verstärken. Je nach Kontext und Ausprägung kann dann für Minderheiten und nichtkonforme Mitglieder die Gefahr bestehen, Opfer von Gewalt zu werden. Im vergangenen Jahr war das in Deutschland deutlich zu beobachten, als Hetzreden und Gewaltaufrufen gegen Ungeimpfte und „Maskenverweigerer“ systematisch unsanktioniert blieben. Welche Folgen das für die Psyche insbesondere von Kindern und Jugendlichen hat, ist derzeit noch gar nicht absehbar.

Allein schon, um derartigen Folgen der Maskenpflicht entgegenzuwirken, ist dringend davon abzuraten. Die Politik hat die Verantwortung, solchen Entwicklungen dezidiert entgegenzusteuern. Nicht, sie auch noch zu fördern.

Bild von NaoYuasa auf Pixabay

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht unsere. Wir veröffentlichen sie gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser von TKP sind in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Dr Agnes Imhof ist promovierte Islamwissenschaftlerin und hat außerdem Philosophie und vergleichende Religionswissenschaft studiert. Der Text ist ebenfalls hier erschienen.


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14 Kommentare

  1. PETER Siegfried KRUG 8. September 2022 at 20:20

    Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Die Maßnahmen gegen COVID sind reines Gift für die Bevölkerung. Sie hat unsere Gesellschaft gespaltet. Die Maßnahmen haben viele Menschen, die nicht mit dem Testzwang und Impfzwang mitmachen wollten in die Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Ruin gebracht. Die COVID Spritzen haben weit mehr Menschen geschädigt, als die Öffentlichkeit davon berichtet und zugeben hat. Die einseitige Propaganda zugunsten der Impfung hält weiter an in den Massenmedien.
    Das sind alles Fakten und wir dürfen nicht aufhören unsere Meinung zu sagen, bis die Verantwortlichen der Corona -maßnahmen zur vollen Verantwortung gezogen werden und bis die Impfgeschädigten zu ihren Recht kommen.

  2. majestyk74 7. September 2022 at 20:21

    Schon einmal darüber nachgedacht, daß Skandinavien nur vermeintlich freier wirkt. Einfach weil man dort im gesellschaftlichen Umbau schon wesentlich weiter ist, was Personenkennzahlen, Geldkontrolle etc. betrifft.

    Folgendes schreibe ich nun schon seit zwei Jahren, eine Wiederholung kann nicht schaden.
    Es gibt keine Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, es gibt eine Pandemieinszenierung um Maßnahmen erlassen zu können. Ähnliches kann man nun bei den Rußlandsanktionen erkennen, wo sich scheinbar alle fragen, ob das westliche Führungspersonal nun den Verstand verloren hat.
    Haben vielleicht manche, im Kern machen diese Leute aber genau das weswegen man sie aufgebaut hat.

    Was wir erleben ist der Einsatz gesellschaftlicher Waffen und wie man sieht sind diese sehr wirksam.

  3. Hermann 6. September 2022 at 23:04

    Ich bezeichne freiwillige Maskenträger, wenn sie mir in Supermärkten, öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Stadtgewühl begegnen, schon seit langem als Sektenmitglieder, als Zeugen Coronas….

  4. 1150 6. September 2022 at 17:50

    die ängstlich-neurotischen brauchen ihre fetische, siehe freud, krafft-ebing uva.
    fetische begleiten die menschheit vom anbeginn und daran wird sich nie etwas ändern

  5. Jens Tiefschneider 6. September 2022 at 16:31

    Den satanischen Dreck „Maske“ mit der spirituellen Kunst „Magie“ zu verknüpfen, ist aber auch etwas verkrampft. Da musste wohl auf Maske komm raus ein Beitrag her?

  6. Gabriele 6. September 2022 at 15:38

    Großartiger Artikel! Genau so nehme ich es wahr…man positioniert sich bereits wieder im Supermarkt als “verantwortungsbewusster” Kunde, wenn man Maske trägt und außerdem vermittelt sie inzwischen das Gefühl von Schutz und Geborgenheit – so kommt es mir bei vielen Trägern vor.

  7. Fritz Madersbacher 6. September 2022 at 14:20

    “Solche Kontrollmechanismen können sehr stark emotional besetzt sein, insbesondere da, wo sie nicht nur den Eigen-, sondern auch den Fremdschutz versprechen. Hier können sie problematisch werden, wenn sie nämlich den Konformitätsdruck innerhalb einer Gruppe verstärken. Je nach Kontext und Ausprägung kann dann für Minderheiten und nichtkonforme Mitglieder die Gefahr bestehen, Opfer von Gewalt zu werden … Allein schon, um derartigen Folgen der Maskenpflicht entgegenzuwirken, ist dringend davon abzuraten. Die Politik hat die Verantwortung, solchen Entwicklungen dezidiert entgegenzusteuern. Nicht, sie auch noch zu fördern”
    Sie fördert sie aber. Woran das erinnert, ist im Kommentar unten nachzulesen (@suedtiroler, 6. September 2022 at 13:39). Die Heuchelei und Doppelmoral, angesichts dieses “Konformitätsdrucks” von liberaler Demokratie, offener und pluralistischer Gesellschaft zu schwadronieren, richtet sich von selbst …

  8. Bettina 6. September 2022 at 13:53

    Leben ist eine sexuell übertragbare Krankheit, die nach einer durchschnittlichen Inkubationszeit von 75 Jahren mit dem Tod endet

    • Vortex 6. September 2022 at 23:06

      Immerhin gab es innerhalb der Inkubationszeit eine mehr oder weniger erfreuliche Anzahl von Höhepunkten und eine mögliche “Reincarnation” (tinyurl.com/2p8abmnz) lässt uns auf eine Wiederkunft hoffen, um dann hoffentlich alles besser zu machen …

    • Jürgen 7. September 2022 at 16:39

      Liebe Bettina, das ist eine der besten Definitionen, die ich jemals las.

  9. suedtiroler 6. September 2022 at 13:39

    Die Maske ist das neue Partei-Abzeichen, die neue Armbinde, die Reversnadel, die aller Welt zeigt, welche Ideologie jemand unterstützt.

    • Karsten Mitka 6. September 2022 at 15:41

      Armbinde haut noch mit am besten hin, viele tragen den Gehorsamkeitslappen ja am Ellenbogen, wenn er mal nicht das Gesicht verhüllt.

    • Frühling 6. September 2022 at 16:11

      Maskenpflicht in Fliegern entfällt, in Fernzügen ebenfalls. In Bus und Regionalbahn bleibt sie bestehen. Wer sich so einen Schwachsinn ausdenkt hat nicht mehr alle Latten am Zaun.

      • alexandrariegler 6. September 2022 at 18:40

        @Frühling: vielleicht will man die sogenannten “vulnerablen Gruppen” (wer auch immer damit gemeint ist) vom Reisen abhalten? Vielleicht trauen diese sich nicht unter die Unmaskierten, bleiben zuhause und schützen so das Klima. Keine Ahnung, so wirklich erklären kann ich es mir auch nicht. Ich wohne in Wien, der Stadt der Pensionisten und der Herrschaft der Übergewichtigen (und damit vulnerablen) wo man in allen öffentlichen Verkehrsmitteln FFP2-Masken tragen muss, auch wenn bei 36 Grad immer Sommer die Klimaanlage nicht funktioniert.

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