Coronavirus: Ausbrennen nach Infektion von 20% der Bevölkerung?

30. Juni 2020von 4,3 Minuten Lesezeit

Weltweit sind mehr als eine halbe Million Menschen an oder mit SARS-CoV-19 gestorben. Laut den neuesten immunologischen und serologischen Studien liegt die Letalität von Covid-19 (IFR) bei insgesamt etwa 0.1% und damit im Bereich einer starken Influenza. In Ländern wie USA, Großbritannien und auch Schweden (ohne Lockdown) liegt die Gesamt­mortalität seit Jahresbeginn im Bereich einer starken Grippesaison; in Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz liegt die Gesamtmortalität im Bereich einer milden Grippesaison. Und es gibt Anzeichen dafür, dass die Pandemie stellenweise ausbrennt.

Die Verbreitung von SARS-CoV-2 war schwer vorherzusagen und zu verstehen. Auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess beispielsweise, auf dem sich das Virus relativ frei über die Klimaanlage verbreitet hat, die die Kabinen miteinander verbindet, waren nur 20% der Passagiere und der Besatzung infiziert. Daten von Militärschiffen und Städten wie Stockholm, New York und London legen ebenfalls nahe, dass die Infektionen bei etwa 20% lagen – viel niedriger als in früheren mathematischen Modellen vermutet, die allerdings mit völlig falschen Eingangsparametern rechneten.

Reichen 20% Infektionen für Herdenimmunität?

Dies hat zu Spekulationen darüber geführt, ob eine Population mit nur 20% Infizierten eine Art Immunität gegen das Virus erreichen kann – ein Anteil, der weit unter der allgemein vermuteten Herdenimmunitätsschwelle (60-70%) liegt.

Die schwedische Gesundheitsbehörde gab Ende April bekannt, dass die Hauptstadt Stockholm „Anzeichen einer Herdenimmunität zeigt“ – Schätzungen zufolge war etwa die Hälfte der Bevölkerung infiziert. Die Behörde musste jedoch zwei Wochen später einen Rückzieher machen, als die Ergebnisse ihrer eigenen Antikörperstudie zeigten, dass nur 7,3% infiziert waren. Die Zahl der Todesfälle und Infektionen in Stockholm nimmt jedoch eher ab als zu – trotz der Tatsache, dass Schweden keinen Lockdown verfügt hat.

Die Hoffnung, dass die COVID-19-Pandemie früher als ursprünglich befürchtet enden könnte, wurde durch Studien beflügelt, dass eine zelluläre Immunität vorhanden ist, die mit SARS-CoV-2-Antikörpertests nicht nachgewiesen werden kann. Es handelt sich dabei um T-Zellen, die bei früheren jährlich wieder auftretenden Corona-Grippewellen gebildet wurden. Laut Berliner Charité seien davon 35% betroffen, eine Studie in Kalifornien hat in 50% alter Blutproben T-Zellen gefunden, die spezifisch gegen alle Coronaviren wirksam sind.

Antikörper werden von den B-Zellen des Körpers als Reaktion auf ein bestimmtes Virus produziert. Das Immunsystems kennt aber auch die von T-Zellen vermittelte Immunität. T-Zellen werden vom Thymus produziert und auf bestimmt Viren programmiert und können in Zukunft dieselben oder ähnliche Viren bekämpfen.

Dies kann zu einem gewissen Schutz gegen das Virus führen – was wahrscheinlich erklärt, warum einige Ausbrüche deutlich unterhalb der erwarteten Herdenimmunitätsschwelle auszubrennen scheinen.

Formen der Immunität sind altersabhängig

Junge Menschen und Menschen mit leichten Infektionen reagieren häufiger auf T-Zellen als alte Menschen – wir wissen, dass das Reservoir an programmierbaren T-Zellen mit zunehmendem Alter abnimmt.

In vielen Ländern und Regionen, in denen es nur sehr wenige COVID-19-Fälle gab, tauchen derzeit Hotspots auf. Nehmen wir Deutschland, das eine der niedrigsten Sterblichkeitsraten unter den großen europäischen Ländern hatte.

Es gibt jedoch Gegenbeispiele, wenn auch insbesondere in älteren und immungeschwächten Populationen. Im italienischen COVID-19-Epizentrum in Bergamo, einer Stadt, in der jeder vierte Einwohner Rentner ist, hatten 57% der Bevölkerung Anfang Juni Antikörper.

Dasselbe gilt für einige Gefängnisse: Im Trousdale Turner Correctional Center in Hartsville, USA, hatten 54% der Insassen bis Anfang Mai einen positiven COVID-19-Test durchgeführt. Und mehr als die Hälfte der Bewohner einiger Langzeitpflegeeinrichtungen war ebenfalls infiziert, wie bei Tests in London bewiesen.

Gene und Umwelt

Wie erklären wir das? Könnten Menschen an Orten mit einer höheren Rate an positiven Antikörpern eine andere genetische Zusammensetzung haben?

Zu Beginn der Pandemie wurde viel darüber spekuliert, ob bestimmte genetische Rezeptoren die Anfälligkeit für das SARS-CoV-2-Virus beeinflussen. Genetiker glaubten, dass die DNA-Variation in den ACE2- und TMPRSS2-Genen die Anfälligkeit für und den Schweregrad einer Infektion beeinflussen könnte. Bisherige Studien haben jedoch keine überzeugenden Beweise für diese Hypothese gezeigt.

Frühe Berichte aus China deuteten auch darauf hin, dass Blutgruppen eine Rolle spielen könnten, wobei die Blutgruppe A das Risiko erhöhen könnte. Dies wurde kürzlich in Studien an spanischen und italienischen Patienten bestätigt, in denen auch ein neuer genetischer Risikomarker namens „3p21.31“ entdeckt wurde.

Während Genetik wichtig sein kann, ist jedenfalls die Umwelt von Bedeutung. Wir wissen, dass Gebiete mit sehr starker Luftverschmutzung wie die Lombardei, England, Madrid, New York oder Wuhan mit der Provinz Hubei wesentlich stärker betroffen sind als Gebiete mit geringer Belastung.

Es ist jedenfalls unwahrscheinlich, dass Lockdowns allein die Tatsache erklären können, dass die Infektionen in vielen Regionen nach einer Infektion von 20% der Bevölkerung zurückgegangen sind – etwas, das schließlich in Stockholm und auf Kreuzfahrtschiffen passiert ist.

Italien: Massentest in Bergamo lässt auf Herdenimmunität schließen

Herdenimmunität gegen Coronavirus erreicht? Hinweise mehren sich

Coronavirus Antikörpertests in Schweden: 20 Prozent Immunität in Stockholm

Aktuelle Beiträge