Zuspitzung im Kosovo und westliche Doppelstandards

4. Oktober 2023von 6,2 Minuten Lesezeit

Nicht zufällig intensivierten sich zuletzt bestehende Konflikte in verschiedenen russlandfreundlichen Gebieten. Der Vergleich zwischen Kosovo und Donbass zeigt, wie im westlichen Mainstream mit zweierlei Maß gemessen wird.

Im mehrheitlich von Serben bewohnten Norden des Kosovo hat sich die Lage bereits seit Monaten zugespitzt. Die lokale serbische Verwaltung in Nord-Mitrovica und anderen Orten wurde von der albanischen Zentralregierung in Pristina immer mehr unter Druck gesetzt, was schließlich zu einem Wahlboykott der Serben und zu albanischen Bürgermeistern in den serbischen Gebieten führte.

Nachdem die albanische Polizei die serbische Bevölkerung mehr oder weniger drangsalierte, steigerten sich die Spannungen vor Ort. Der bisherige Höhepunkt war ein bewaffneter Angriff von etwa 30 serbischen Freischärlern auf albanische Polizisten, bei dem ein Polizist und drei Angreifer ums Leben kamen.

Unklar ist, ob die Freischärler mit oder ohne Rückendeckung der serbischen Regierung agierten. Unklar ist auch, ob die serbische Armee nun ihre Einheiten an der kosovarischen Grenze verstärkt hat, wie Pristina und die EU behaupten, oder ob das unwahr ist, wie Belgrad sagt.

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US-Geopolitik

Sicher ist aber, dass die Zuspitzung wohl kaum zufällig erfolgt, sondern dass USA und NATO, die der kosovarischen Regierung letztlich die Linie vorgeben, wohl ihre Finger im Spiel haben. Obwohl der serbische Präsident Aleksandar Vucic die Option eines EU-Beitritts nicht aufgeben will, muss er trotzdem der prorussischen Stimmung in der Bevölkerung Rechnung tragen und zwischen dem Westen und Russland lavieren.

Dass er zuletzt verstärkt mit dem ungarischen Präsidenten Viktor Orban kooperiert hat, dürfte in Brüssel und Washington nicht gut angekommen sein. Dass Pristina, wohl auf Kommando aus dem Westen, die Auseinandersetzung mit der serbischen Minderheit im Kosovo zuspitzt, bringt Vucic in ernste Probleme. Er will eigentlich keine Auseinandersetzung mit EU und der NATO-Truppe KFOR und hat sogar den Anführer der Freischärler festnehmen lassen. Aber er kann die Serben im Kosovo auch nicht komplett verraten, ohne Probleme im eigenen Land zu bekommen.

Der mehrheitlich serbisch bewohnte Teil des Kosovo ist nicht die einzige Region, in der US-Stellen zündeln, um Russland oder seinen Verbündeten zusätzlich Probleme zu bereiten. Im letzten Jahr wurden in Zentralasien wiederholt Konflikte geschürt, die aber offenbar von China und Russland gemeinsam noch unter Kontrolle gehalten werden konnte. In Georgien ist es den USA trotz intensiver Bemühungen bislang nicht gelungen, eine zweite militärische Front gegen Russland aufzumachen. Das von der Harvard-Absolventin und Weltbankberaterin Maia Sandu geführte Moldawien hat den (militärischen) Druck auf die Region Transnistrien erhöht.

Diese Politik der USA gegenüber Russland hat sich in den letzten beiden Jahren sicherlich verstärkt, neu ist sie aber keineswegs. Die Grundlage dafür lieferte bereits 1942 Nicholas Spykman mit seinem Hauptwerk „America‘s Strategy in World Politics“, das großen Einfluss auf den US-Generalstab und US-Politiker hatte. Ausgehend von Spykmans Überlegungen ging es für die USA und ihre Vasallen seit 1945 darum, die „Rimlands“, was man als Peripherie oder Randgebiete übersetzen kann, zu beherrschen. Gemeint waren dabei stets die Gebiete, die das russische Kernland umschließen — von Ostasien über Zentralasien, den Iran, den Kaukasus, den Nahen Osten, den Balkan und Mittel- und Osteuropa. (Siehe dazu genauer hier.)

Heuchlerische Doppelstandards

Im Jahr 1999 wurde der Angriffskrieg der NATO gegen Restjugoslawien, also auf Serbien und Montenegro, damit gerechtfertigt, dass ein „Genozid“ verhindert werden müssen, dass „die Serben“ Massaker anrichten und KZs betreiben würden. Tatsächlich gab in den bürgerkriegsähnlichen ethnischen Auseinandersetzungen im Kosovo vor Beginn der NATO-Bombardements vermutlich etwas über 1.000 überwiegend albanische Opfer. Das angebliche „Massaker von Račak“ war in Wahrheit eine militärische Auseinandersetzung zwischen serbischen Verbänden und albanischen UÇK-Freischärlern. Die behaupteten KZs in dem Sinne, wie der Begriff heute üblicherweise verstanden wird, hat es nie gegeben.

Während circa 1.000 zivile Tote im Kosovo in der westlichen Öffentlichkeit zur Begründung eines Genozids und eines militärischen Angriffs ausreichend sind, gilt das für geopolitische Gegner natürlich keineswegs. Obwohl im Donbass durch die ukrainische Armee und ihre rechtsextremen Hilfsverbände von 2014 bis 2021 etwa 13.000 Zivilisten umgebracht wurden, wird die Argumentation der russischen Führung, dass man mit der Intervention einen Genozid beende, in „unseren“ Medien nur ignoriert oder verhöhnt.

Im Kosovo hatte sich die NATO angeblich auch für das Selbstbestimmungsrecht der Völker stark gemacht, das für die albanische Bevölkerung gelten müsse. Nun kann man diesen Standpunkt einnehmen: Wenn die albanischen Mehrheitsgebiete sich von Serbien abtrennen wollen, dann sollten sie nicht mit Gewalt daran gehindert werden. Das hätte wohl für den Großteil des Kosovo, abzüglich der serbischen Mehrheitsgebiete um Mitrovica, gegolten. Dann muss aber dieses Selbstbestimmungsrecht bis zur Lostrennung auch für andere Minderheiten gelten, von Südtirol bis nach Schottland, ja auch für US-Bundesstaaten wie Texas oder Florida, wenn die Bevölkerung das will.

Dann muss das ebenso für die russischsprachigen Gebiete der Ukraine gelten, wenn diese unabhängig werden oder sich Russland anschließen wollen. Die westliche Behauptung, dass die Referenden in den von Russland annektierten Regionen nicht internationalen Standards entsprochen hätten, ist heuchlerisch, denn im Kosovo fand 1999 gar kein Referendum statt. Aber für die westlichen Politiker und Medien ist, brav auf Linie mit der NATO, im Fall der Südostukraine das Selbstbestimmungsrecht natürlich kein Thema. Im Fall der Ukraine sind „territoriale Integrität“ und „Unverletzlichkeit der Grenzen“ plötzlich heilige Kühe. (Genaueres zur westlichen Doppelmoral findet sich hier.)

Internationales Recht?

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Urteil des internationalen Gerichtshofs in Den Haag aus dem Jahr 2010. Er hatte mit Bezug auf den Kosovo abgewogen und entschieden, dass das Selbstbestimmungsrecht höher steht als die territoriale Integrität von Jugoslawien.

Laut diesem Urteil muss auch das Selbstbestimmungsrecht der russischsprachigen Südostukraine oder des serbischen Nordkosovo mehr Gewicht haben als die territoriale Integrität der Ukraine oder des Kosovo. Aber natürlich wird es solche Urteile nicht geben, dann der Gerichtshof von Den Haag ist keine neutrale oder objektive Instanz, sondern ein Instrument des US-Imperiums.

Joschka Fischer hatte als grüner deutscher Außenminister 1999 zum Krieg gegen Serbien getrommelt hatte, zu einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der natürlich nicht zu Sanktionen gegen die USA, Großbritannien, Deutschland oder andere Beteiligte geführt hat. Aber Fischer dürfte die Parole „legal, illegal, scheißegal“ ja noch aus seiner Zeit als anarchistischer Steinewerfer bekannt gewesen sein.

Aktuell sind etwa 3.500 KFOR-Soldaten im Kosovo stationiert. Die NATO plant aber bereits, ihre Präsenz in dem Westbalkan-Land zu erhöhen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im deutschen Bundestag, die russlandfeindliche Scharfmacherin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), verwies darauf, dass dabei auch die Zahl der Bundeswehrsoldaten erhöht werden könnte.

Natürlich werden die USA dem NATO-Protektorat Kosovo gegen das unzuverlässige Serbien Hilfe zukommen lassen. Gleichzeitig haben aber weiterhin fünf EU-Länder den Kosovo nicht als unabhängigen Staat anerkannt, nämlich Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien.

Und der größte Tennisspieler aller Zeiten, der Serbe Novak Djokovic, hat erneut den westlichen Mainstream zur Schnappatmung gebracht: Er brachte auf Instagram seine Trauer um die drei serbischen Freischärler zum Ausdruck, die letzte Woche bei dem Kampf mit der albanischen Polizei gefallen sind.

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6 Kommentare

  1. Jurgen 4. Oktober 2023 at 18:19Antworten

    Es gibt nur einen UK/US-Standard (= regelbasierte Ordnung), dem alle Vassallen folgen müssen… in manchen Gegenden wird daraus auch ein Genozid, wenn man nicht genau aufpasst.

  2. Tom Freyher 4. Oktober 2023 at 14:07Antworten

    Danke, Erik Angerer, für diesen Artikel.

  3. suedtiroler 4. Oktober 2023 at 10:30Antworten

    Bergkarabach (Armenien/Aserbaidschan) – westliche Doppelstandards!!!

  4. Hasdrubal 4. Oktober 2023 at 9:08Antworten

    „… muss er trotzdem der prorussischen Stimmung in der Bevölkerung Rechnung tragen und zwischen dem Westen und Russland lavieren“

    Immer weniger, so wie der Westen zerfällt. Vor wenigen Tagen musste Schweden das Militär gegen bewaffnete Clans schicken – damit befindet sich Schweden wohl ganz offiziell im Bürgerkrieg. Ob es auch in Frankreich, Belgien, Takatuka-Buntschland mit ähnlichen Problemen blüht?

    Dazu brauchte nicht mal die Russen – Elon Musk beschuldigte kürzlich einen gewissen Soros aus den USA, den Westen zerstören zu wollen, indem NGOs gefördert werden, die Invasoren herankarren. Etwa eine Million kam dafür vom Bundestag von Takatuka-Buntschland (der einzige Name, den ein suizidales Staatswesen mit korrupter Hirnrissigkeit als Staatsziel verdient).

    • Peter Ruzsicska 4. Oktober 2023 at 10:16Antworten

      Völlig richtig!!!
      – Wer’s jetzt noch nicht schon längstems kapierte ist sowieso nie erreichbar gewesen – Milliarden von Abrissbirnen durchschwingen immer noch die Mickey Mouse Alltage des ultragemeinen Buntschkrapfenverseuchtesten Takatuka-Restwohlstandsdschungels des sich gegenseitig exaktest kadavergehorsamst bunkertreuest kaputtkopierenden Frommsten Burgersmenschen Aller Zeiten.

      Wer hat schon wieder nichts gewußt als auch schon wieder, wieder nichts und gar nichts wissen können?

      • Hasdrubal 4. Oktober 2023 at 10:30

        TE bringt heute den Artikel „Die Migrationskrise in New York verschärft sich“ – bisher geht es darum, dass die Ankommenden sogar in 4*-Hotels untergebracht werden müssen. Sogar manche Dems wie Clinton mahnen, dass der Ansturm das System überfordere.

        In den USA kommt man sehr leicht an Waffen, heißt es. Sollte es wie in Schweden zu Kriegen der Gangs of New York kommen bis die US Marines gegen diese Strassenschlachten führen müssen (gerne auch um die Fifth Avenue) – dann hätten die USA keinen Kopf mehr, in den anderen Weltregionen zu zündeln.

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