Wiener Friedenskonferenz: Was sagt der ÖGB zur Entmachtung von Gewerkschaften?

11. Juni 2023von 4,3 Minuten Lesezeit

Nach der Fast-Absage der Wiener Friedenskonferenz war ein kritischer Text nur wenige Stunden zu lesen. Die Redaktion der Plattform ließ den Text entfernen. 

Die “Internationale Gipfel für Frieden in der Ukraine” läuft aktuell in Wien und wäre fast abgesagt worden – TKP hat am Samstag berichtet. Der folgende Artikel wurde vom Autor ursprünglich am 8. Juni auf der Webseite meinbezirk.at veröffentlicht, jedoch einen Tag später seitens der Redaktion entfernt.

 Jetzt ist er auf TKP zu lesen:

Der ukrainische Botschafter in Wien, Vasyl Khymynets, hatte es raffiniert eingefädelt: Wenige Stunden vor dem „langen Wochenende“ übte er am Mittwoch, den 7. Juni Druck auf den Österreichischen Gewerkschaftsbund ÖGB aus, die Freigabe eines Saals für die am 10. und 11. Juni stattfindende Wiener Friedenskonferenz rückgängig zu machen. Und die ÖGB-Führung unter Wolfgang Katzian folgte offensichtlich seinen Wünschen.

International Summit for Peace in Ukraine

Worum handelt es sich? Beim „International Summit for Peace in Ukraine“ (Webseite „www.peacevienna.org“), für den somit ein neuer Veranstaltungsort gesucht werden musste (und gefunden wurde), sprechen eine lange Reihe renommierter Redner zu Fragen des Ukrainekriegs und zu Möglichkeiten einer Friedenslösung. Unter den vor Ort oder per Video zugeschalteten Personen befinden sich beispielsweise so unterschiedliche Leute wie der US-Professor Noam Chomsky, der renommierte US-Ökonom Jeffrey Sachs (der sich durch Kritik an Zelenskyj und durch Recherchen zur Corona Lab Leak Theorie Feinde gemacht hat), der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer, der Vize-Präsident von Bolivien David Choquehuanca, die US-Diplomatin Ann Wright, aber auch Friedensaktivisten aus der Ukraine und aus Russland.

Logisch, dass bei einer gewissen Meinungsvielfalt die Wächter des Schwarz-Weiß-Narrativs (Zelenskyj ist gut, alles Russische ist böse, NATO-Expansion ist gut) Unbehagen kriegen und der ukrainische Botschafter die Friedenskonferenz durch diesen geschickten Schachzug wenige Tage vor Konferenzbeginn zu kippen versuchte.

Im generell Zelenskyj-freundlichen „Standard“ wurde Mittwoch Abend kritisiert, dass bei der Konferenz gar der „weitere Kontext des russisch-ukrainischen Konflikts“ diskutiert werde. Und eine pensionierte Ex-Skiläuferin wird mit den Worten zitiert, dass der Summit „prorussische Propaganda“ sei.

Enteignung der Gewerkschaften

Dass Wolfgang Katzian als ÖGB-Chef offenbar dem Druck einer der beiden Kriegsparteien nachgab, ist bemerkenswert. In mehreren Telefonaten mit der ÖGB-Pressestelle war nicht exakt klärbar, ob es tatsächlich die ÖGB-Führung war, die eingeknickt ist, oder ob man „weiter oben“, also auf politischer Ebene (Stichwort SPÖ-Führung) den Wünschen der Kiewer Machthaber nachgeben wollte.

Der ÖGB nämlich sieht das nicht gerade demokratiefreundliche Regime von Zelenskyj eigentlich durchaus kritisch: „Ukraine: Regierung droht Gewerkschaft mit kompletter Entmachtung“ titelte die ÖGB-Webseite am 4. Oktober 2021. Dort heißt es weiter: „Die neoliberale Politik von Präsident Wolodymyr Selenski, der sich noch vor wenigen Wochen in Wien mit Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzler Kurz traf, droht weitere Nachteile für die ArbeitnehmerInnen zu bringen.“ Kollektivverträge würden beispielsweise durch Einzelverträge ersetzt werden. Dies sei 150 Jahre alter Manchesterkapitalismus. ÖGB-Präsident Katzian wurde damals von einem ukrainischen Kollegen informiert, dass de facto auch eine Enteignung der ukrainischen Gewerkschaften drohe, was Katzian in jenem Artikel scharf kritisierte.

„Europäische Werte“

Gewerkschafter würden unter Zelenskyj gezielt eingeschüchtert und benachteiligt, berichtete die „taz“ am 12.12.2022 unter dem Titel „Arbeitsrecht im Schatten des Kriegs“. Im Kiewer Parlament, der Werchowna Rada, würde man reihenweise „skrupellose Gesetze verabschieden“, die z.B. Redefreiheit, Gewissensfreiheit und Versammlungsfreiheit einschränken.

„Die Ukraine verteidigt beeindruckend unsere Werte“, verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 20.2.2022, nachlesbar im gleichnamigen Artikel auf der EU-Webseite. Ich wollte die Pressesprecherin von Wolfgang Katzian eigentlich fragen, ob die ÖGB-Führung mit der plötzlichen Ausquartierung der Friedenskonferenz und der einseitigen Parteinahme für das Zelenskyj-Regime nicht eine Unterstützung von dessen demokratie- und gewerkschaftsfeindlichen Maßnahmen signalisiere. Leider waren die Gespräche mit zwei Vertretern der ÖGB Pressestelle diesbezüglich nicht erfolgreich, man wollte sich zu diesem Aspekt nicht äußern. Dass ÖGB-Chef Katzian nun die Wünsche eines (laut ÖGB-Webseite) „neoliberalen Gewerkschafts-Enteigners“ erfüllt, ist merkwürdig.

Anmerkung zum Foto:

Die Meinungsvielfalt einer Friedenskonferenz wird die kämpfenden Parteien in keinem Krieg glücklich machen. Mit dem Foto will ich verdeutlichen, dass die schwarz-weiße Sichtweise des Ukrainekonflikts der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Rechtsextreme rot-schwarze UPA-Fahnen vor der Karlskirche am Jahrestag der russischen Invasion zeigen deutlich, dass Teile der ukrainischen Bevölkerung die NS-Kollaboration der Bandera-Fraktion OUN-B und die Massaker der UPA-Armee an rund 100.000 Polen nicht aufgearbeitet haben. Die OUN wurde 1929 in Wien von Andrij Melnyk gegründet und kooperierte mit der Waffen-SS. Erst wenn die Ukraine den extrem stark vorhandenen Nationalismus überwindet (beim Euromaidan-Putsch 2014 kam immerhin sogar eine rechtsextreme Partei in die Regierung), ist ein langer Weg zu einem Frieden zwischen den Volksgruppen vielleicht wieder denkbar. Wobei es, nach all den Kriegsverbrechen beider Seiten (ja, beider Seiten! siehe UNO-Berichte), Grund genug gibt, pessimistisch zu sein.


Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wieder. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Gerhard Hertenberger ist Biologe und Wissenschaftsjournalist.


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13 Kommentare

  1. dasfuenfteelement 12. Juni 2023 at 13:59Antworten

    Der ÖGB wird von dem Sozial”demokraten” dominiert. Ich sage nur BAWAG.

  2. Elisabeth 12. Juni 2023 at 13:53Antworten

    Mo, Meine und Mine sind gesperrt. Klicke bitte das Bild oben bei den Bewertungen.

  3. Der alte Marxist 11. Juni 2023 at 18:31Antworten

    Dass der ÖGB dem Großkapital (den Konzernen, der NATO etc.) und dem geliebten Sozialpartner den Stiefel leckt, ist ja nicht wirklich neu. Dass man sich so wenig Mühe macht, dies zu verschleiern ist allenfalls verwunderlich.

  4. Fritz Madersbacher 11. Juni 2023 at 13:45Antworten

    “Wiener Friedenskonferenz: Was sagt der ÖGB zur Entmachtung von Gewerkschaften?”
    Das Hauptthema für die österreichische Bevölkerung in Bezug auf die aktuelle Situation ist sicherlich nicht, was der ÖGB zum Umgang in der Ukraine mit den Gewerkschaften dort sagt. Das Hauptthema ist der Ruin der Glaubwürdigkeit der Neutralität Österreichs durch seine NATO-Kollaborateure in den höchsten politischen Funktionen und in den Medien. Dass sich auch der ÖGB fügt, ist alles Andere als verwunderlich, auf jeden Fall symptomatisch für die aktuelle Situation. Zum Hauptthema, der Grablegung der Neutralität Österreichs durch seine herrschende Klasse, hat aber auch die “Wiener Friedenskonferenz” nichts Nennenswertes zu sagen, was die Frage aufwirft: warum eigentlich nicht? Warum ergeht sie sich lieber in wichtigtuerischer Ersatzdiplomatie und drückt sich mit irgendwelchen windelweichen Aussagen um einen wirklichen Beitrag für eine gedeihlichere Zukunft Österreichs und eine friedlichere, von imperialistischem Hegemoniestreben freie Welt herum? Ist es nur Unverstand bezüglich dessen, was wirklich zu tun ist?

    • therMOnukular 11. Juni 2023 at 19:38Antworten

      Dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen. Da hätte der Gipfel ja “Wiener Neutralitätskonferenz” heißen müssen.
      Ich sehe da keine direkte Verknüpfung dieser Themen – die besteht nur für uns Österreicher (oder subjektiv zB für die Schweden). International gesehen sind wir ja nur eines von vielen “neutralen” Ländern, die sich nicht neutral verhalten. Dies ist eine Konferenz zum Ukraine-Konflikt, aber ja nicht zur Diskussion über die allgemeine Negation von Neutralität im konservativen Friedens-Sinn, oder gar die Interessen Österreichs.

      Ich sehe die Geschichte dieses Artikels schlicht als Puzzlestück das momentanen Gesamtbildes. Natürlich zeigt dieses Bild auch die amS schändliche Negation der Neutralität, da bin ich ganz auf Ihrer Seite. Aber das müssen wir Österreicher klären – und nicht Chomsky.

      • Fritz Madersbacher 11. Juni 2023 at 21:48

        @therMOnukular
        11. Juni 2023 at 19:38
        “Aber das müssen wir Österreicher klären – und nicht Chomsky”
        Genau. Warum fangen wir nicht damit an und verschieben wichtigtuerische “Friedenskonferenzen” auf einen Zeitpunkt, zu dem wir uns in Österreich Klarheit über die Gefahren für unsere Neutralität, und von wem diese ausgehen, verschafft haben? Mit dem Kampf für eine glaubwürdige Neutralität Österreichs tun wir wesentlich mehr für unsere eigenen Interessen und zugleich für alle anderen von Imperialismus und Krieg bedrohten Menschen dieser Welt als mit schwammigen “Friedenskonferenzen”, die verwischen, was sie angeblich klären wollen …

  5. therMOnukular 11. Juni 2023 at 11:33Antworten

    “…..Dass ÖGB-Chef Katzian nun die Wünsche eines (laut ÖGB-Webseite) „neoliberalen Gewerkschafts-Enteigners“ erfüllt, ist merkwürdig…..”

    Dem könnte man jetzt “Konfuzius” entgegenhalten: “Ein kluger Mensch staunt viel, aber wundert sich selten”.

    Das Verhalten des ÖGB ist mehr als nur bedauerlich, verlogen, inkonsistent, intransparent u.v.m. Aber amS fügt es sich perfekt in das Bild der “Sozialdemokratie” von heute (darum gehe ich davon aus, dass das nicht der ÖGB alleine war, sondern die SPÖ mitspielt). Man flaniert mit allem so sehr an der Oberfläche, dass man längst vergessen hat, worum es eigentlich geht, was diese Werte eigentlich bedeuten, die man sich auf die Fahnen schreibt (und so auch nicht einmal bemerkt, wie sehr man diese Werte durch das eigene Handeln pervertiert).

    Darum kann ich diese “Sozialdemokratie” von heute nur noch als Demagogie wahrnehmen, die sich selbst als Retter der Demokratie bezeichnet, während sie gleichzeitig ein antidemokratisches Mittel nach dem anderen dazu aus der Mottenkiste holt.

    Schämt Euch, Genossen!!!

    • tomberg66 11. Juni 2023 at 19:59Antworten

      Der Bonze Kotzdichan, oder wie auch immer der heißt, hatte seinerzeit als Nationalratsabgeordneter auch für den ESM gestimmt.
      Ein Lakai der Banken und Konzerne…

    • Bernhard 11. Juni 2023 at 22:18Antworten

      Diese westlichen Werte bestehen überwiegend aus Hörigkeit gegenüber westlichem Großkapital. Die Friedenskonferenz setzt – bei aller Kritik-unsere Werte in der Praxis um. Die Teilnahme von Ex-Präsident Heinz Fischer deutet eine gewisse Breite an, die immer notwendiger wird und mehr Druck auf alle Verenger des Diskurses aufbauen kann.
      Die Wahrheit findet immer am Platz der Wirklichkeit statt. Wie Djokovic heute eindrucksvoll bewiesen hat. Am Ende siegt sie doch. Vor allem auch dank jener, die früh genug das Risiko auf sich nehmen, auch an sie zu glauben.

      • therMOnukular 12. Juni 2023 at 2:36

        Ich meinte damit auch nicht die “westlichen Werte”, Bernhard, sondern spezifisch die Werte & Aufgaben der Gewerkschaften und sonstigen Vertreter der Arbeiterschaft.

        Am Ergebnis ändert das allerdings wenig und der Opportunismus ist stets derselbe, wie Sie ihn beschreiben.

        “Die Wahrheit” wird derzeit als “rechte Idee” diffamiert – aber auch hier teile ich Ihre Hoffnung, dass sie sich doch eines Tages wieder durchsetzen wird. Wir sind mE auch schon auf dem Weg dorthin, dazu eine Anekdote: ich habe beruflich das große Glück derzeit für eine Produktion tätig zu sein, bei der Günther Groissböck Regie führt. Als offener Mahner in der C-Zeit hat er sich viele Feinde in der Kulturbranche gemacht – aber plötzlich scheint es keine mehr davon zu geben. Wirklich jeder Mensch im Umfeld dieser Produktion (den ich fragte) lobte plötzlich mir gegenüber den Mut Groissböck’s, die Kritik ist total verstummt, sie hat keine Haftung mehr an seinem Image usw. Man traut sich nicht mehr, weil man wohl die geänderte Windrichtung wahrnimmt…. Bei vielen Blockwarten in der Kulturbranche hat zwar hauptsächlich das Verdrängen eingesetzt und weniger die Erkenntnis & Aufarbeitung, aber dennoch halte ich das Verstummen der Verstümmler (von Diskurs und Menschlichkeit) für die richtige Richtung.

      • Elisabeth 12. Juni 2023 at 13:57

        Mo, bitte klicke das Mine-Bildchen oben bei den Bewertungen. Dort findest du eine Nachricht. Mine ist jetzt von der Liste, aber dafür ist die zugehörige Mailadresse blockiert. Vielleicht wollen die mich in den Wahnsinn treiben?

      • Thomas Oysmüller 12. Juni 2023 at 15:45

        Niemand will Sie in den Wahnsinn treiben.

      • Fritz Madersbacher 12. Juni 2023 at 20:19

        @therMOnukular
        12. Juni 2023 at 2:36
        “… dazu eine Anekdote”
        Vielen Dank für diese äußerst wichtige und lehrreiche Anekdote …

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