Die letzten Tage der antirussischen Koalition?

7. Juli 2022von 5,2 Minuten Lesezeit

Der Abgang von Boris Johnson in UK könnte ein schwerer Schlag für die Ukraine und damit auch für die pro-ukrainische Koalition des Westens sein. Innerhalb der NATO-Nationen brodelt es jedenfalls. Aber auch Russland bekommt Probleme. 

Wie ein Mann bäumte sich die EU, angeführt von den USA und Großbritannien, nach der Invasion Russlands hinter der Ukraine auf. Es folgten Waffen und Wirtschaftssanktionen. Doch im fünften Kriegsmonat werden aus kleinen Rissen innerhalb der Koalition tiefe Gräben. Es häufen sich die Anzeichen, dass sie bald in Luft geht.

Ärger für Kiew

Großbritanniens Boris Johnson tritt in den nächsten Stunden zurück. Mehrere ukrainische Nachrichtenkanäle berichten einstimmig, dass Kiew unter „Panik“ stehe. Der Telegramkanal „Rezident_UA“ mit mehr als 500.000 Follower schreibt mit Bezugnahme auf Quellen aus dem Umkreis von Präsident Selenksy: „Jeder ist sich bewusst, dass die Entlassung von Johnson mit einem Paradigmenwechsel im Westen in Bezug auf die Ukraine verbunden ist. Alle Vereinbarungen und Erklärungen zu Waffenlieferungen an die Ukraine, die auf dem spanischen NATO-Forum getroffen wurden, können nun vergessen werden.“

Der Rücktritt von Johnson darf also nicht unterschätzt werden. Was Waffenlieferungen in die Ukraine betrifft, hat Johnson die Speerspitze gemacht.

In Frankreich ist Emmanuel Macron geschwächt. Über das Parlament wird er nicht mehr in jener Qualität drüber regieren können als in seiner ersten Amtszeit. Macron machte bisher ohnehin den einzigen „Realo“ innerhalb der europäischen Spitzenpolitik. Das alleine zeigt die dramatische Situation. Er sagte etwa Sätze wie: „Frieden gelingt nicht dadurch, dass Russland gedemütigt wird.“ 

Italien, der nächste große Dominostein, wackelt ebenfalls. Mario Draghi, der während Covid-Lockdowns urplötzlich als neuer Premierminister aus dem Hut gezaubert worden ist, hat ebenfalls Probleme. Die Proteste aufgrund der eskalierenden Teuerung bei Nahrung und Energie nehmen zu und werden wütender. Den NATO-Gipfel in Madrid musste er vorzeitig verlassen, weil er innenpolitisch Dinge zu klären hatte. Spannungen innerhalb der Regierung und eine Kabinettssitzung seien der Grund dafür gewesen, meinten italienische Medien.

NATO-Norderweiterung

Schweden und Finnland haben zwar diese Woche die Beitrittsprotokolle für die NATO-Mitgliedschaft unterzeichnet, doch erst jetzt geht der Weg erst richtig los. Die Türkei verlangt die Auslieferung von Dutzenden kurdischen Oppositionellen. Menschenrechtlich wäre das katastrophal. Innerhalb der nordischen Parlamente zeigt sich (glücklicherweise) alles andere als Einstimmigkeit zum Thema.

Erdogan auf der anderen Seite hat ebenfalls mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Die Wahlen sind nicht mehr weit weg, wirtschaftlich taumelt die Türkei seit Jahren, die Inflation lag im letzten Monat bei 80 Prozent. Er braucht dringend einen symbolischen Sieg  – auch angesichts der möglichen türkischen Offensive in Nordsyrien.

Die Balten sind mit der höchsten Inflation innerhalb der EU konfrontiert. In Estland segelte die Teuerungsrate im Mai schon auf über 20 Prozent. Litauen und Lettland sind knapp darunter. Litauen steckt dazu noch besonders im Konflikt, nachdem man den Korridor in die russische Enklave Kaliningrad geschlossen hat. Und man hält daran fest.

Am Donnerstag sagte Asta Skaisgiryté, ein Berater des Präsidenten, dass „die litauischen Behörden der Einrichtung grüner Korridore für den Transit von Waren in die Region Kaliningrad der Russischen Föderation durch ihr Gebiet nicht zustimmen“ werde. Heute trifft der litauische Präsident, Gitanas Nausėda, auch noch seinen polnischen Amtskollegen Andrzej Duda. Thema ist eben die sogenannte Suwalki-Lücke, die Russland mit Kaliningrad verbindet. Die Balten und Polen fürchten einen möglichen Angriff. Die Blockade verringert die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario jedoch nicht.

Und Deutschland? Ein englischsprachiger pro-russischer Medienkanal aus dem Donbass formulierte es kurz und knapp: „Deutschland erwartet eine vollständige Deindustrialisierung, während man weiter eine grüne Politik verfolgt.“ Das ist hoffentlich etwas übertrieben, doch die starke Abhängigkeit von russischen Rohstoffen wie Gas und Öl könnte die deutsche Wirtschaft tatsächlich in den Abgrund reißen und damit auch die EU-Wirtschaft. Olaf Scholz stimmt die Deutschen jedenfalls schon auf eine „lange und schmerzhafte Wirtschaftskrise“ ein. Das werde sich auch so schnell nicht ändern.

Österreich geht es ähnlich. Eine zivilgesellschaftliche Initiative verlangt den Ausstieg aus den Sanktionen, auf einer ähnlichen Klaviatur spielt Herbert Kickl. Er will mit Viktor Orban eine „Koalition der Vernunft“ bilden und – eben wie Ungarn – einen Ausstieg Österreichs aus den EU-Sanktionen gegen Russland.

Die Ukraine ist zweifellos vom westlichen Nachschub abhängig. In der Artillerie-Schlacht ist die ukrainische Armee schon jetzt quantitativ unterlegen. Ohne der westlichen Koalition könnte es durchaus sein, dass die Verteidigungslinien recht plötzlich kollabieren. Allerdings darf man nicht vergessen, dass auch Russland unter den ersten Kriegsmonaten enorm gelitten hat und schwere Verluste hinnehmen musste.

Russland geht Richtung Kriegswirtschaft

Bisher hat man innerhalb Russlands versucht, eine Normalität im gesellschaftlichen Alltag aufrechtzuerhalten. Das dürfte sich langsam ändern (müssen): Im Osten scheint man Richtung Kriegswirtschaft zu gehen. Zwei Gesetzesentwürfe, die in erster Lesung im Parlament gebilligt wurden, verpflichten Unternehmen, das Militär mit „dringend benötigten Gütern“ zu beliefern. Außerdem können Mitarbeiter zu Überstunden und dem Verzicht auf Urlaub gezwungen werden. Das sei notwendig, da die russische Wirtschaft unter „kolossalem Sanktionsdruck“ stehe, sagte Vize-Ministerpräsident Juri Borissow.

Bleibt noch die USA. Nun. Der “Mumie im Weißen Haus” laufen die Leute davon, so hat es zumindest den Anschein. Kürzlich trat Kate Bedingfield, Bidens Kommunikationschefin, zurück. Sie stand Biden seit seiner Zeit als Obama-Vize zur Seite. Währenddessen machen wieder neue Drogenvideos von Hunter Biden die Runde und die Zustimmungsrate zur Biden-Administration liegt bei 38 Prozent.

Es läuft keinesfalls mehr rund innerhalb der westlichen Koalition. Die Zeichen mehren sich jedenfalls, dass sie schneller zerbröseln könnte, als man denkt. Doch was dann passiert, weiß ebenfalls keiner. Eine Normalisierung der Beziehung zu Russland scheint weit entfernt. Vor allem auch, weil Russland beginnt, seinerseits Embargos zu verhängen. So geschehen am Dienstag mit Öl aus Kasachstan, das nicht mehr via Russland nach Europa transportiert werden darf.

Bild VictorgrigasMoscow Russia anti-Putin Graffiti R-EVOLUTION-2CC BY-SA 3.0

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15 Kommentare

  1. Taktgefühl 9. Juli 2022 at 16:41

    Wenn Odalf Scholz uns auf eine lange schmerzhafte Wirtschaftskrise einstimmt, sollten wir die SPD auf eine lange schmerzhafte Parteienkrise einstimmen?
    Rohetiketten bekommt man im Papiergeschäft. Das ist doch mal was anderes? Gestaltet selber positive Aufkleber, verklebt je Tag 2 Stück und laßt euch nicht erwischen. Schaut, wie Zauberer das machen, links ablenken, rechts kleben. Dann gehört die Stadt in einem Monat euch. Ansprechend, positiv, aktiv, bitte nicht “BRDigung”, das ist passiv, sondern “Allzweckpeiniger Lauterbach”, “SPÖ Nein Danke”, “Alpha-Loser Olaf Scholz”, “Apparatschickse Baerbock”, “Just do it! (Parteiname)”, “Pfizer – bis ans Ende deiner Tage”, “Lebe(n) unberechenbar – mit Pfizer”, “Smarter arbeiten. Mehr erleben. Früher sterben. Mit BionTech!”, “Sind sie zu stark, bist du zu schwach – Spritzen von Pfizer”, “BionTech – Dein Leben. Dein Weg. Dein Grab.”. Die Office-Programme enthalten Bilder. Jeder freut sich, wenn er einen solchen Aufkleber entdeckt.
    Aus den Umfragen gestrichen werden zuerst die Nichtwähler. Weil man davon gar nichts hört. Die Süddeutsche spricht in einem Artikel von hundert Millionen Nichtwählern. Die Wahlbeteiligung lag bei 66%, damit hat Joe mit 38% Zustimmung eines New Yorker Vororts.
    UK war schon immer ein Russland-Neurotiker. “Archangel”, das ist ein sehr authentischer engl. Film mit Daniel Craig. “Kind 44”, vielleicht ein noch besserer Film über die Stalin-Zeit. Aber Putin ist nicht Stalin. (Die Filme kriegt man bei Thalia in der Wühlbox!)
    Wir müssen auf der Straße präsent sein! Und dafür übernehmen wir die jetzt! Das Problem der Mitte der Gesellschaft ist, die ist passiv. Die muß sich bewegen und nicht nur zum Fernseher und zurück!

  2. Andreas I. 8. Juli 2022 at 13:21

    Hallo,
    der Boris war immer sehr unterhaltsam, schon als er Außenminister war. Aber politisch ist er beliebig ersetzbar, da bin ich sicher.

  3. suedtiroler 8. Juli 2022 at 8:00

    Ist es nicht auffallend, wie immer wieder dieselben Leute, die schon der Corona-Hysterie verfallen waren/sind und komplett falsch lagen, nun gegen Russland hetzen und auf die Ukraine setzen?

    Und wie bei Corona (Lockdowns, Masken, Impfung) liegen sie wieder komplett falsch und werden uns selbst gewaltig schaden (Sanktionen, Waffenlieferungen, eigene Wirtschaft ruinieren usw.), während sie dem Gegner (Corona bzw. Putin) überhaupt nicht schaden und den Kampf verlieren?

    Und wenn auch diese Sache wieder verloren ist – was sie zu 100% wird, da die Russen gewinnen werden, das ist absolut sicher – dann werden sie sich auf das nächste Thema stürzen bzw. machen es schon: Klimawandel
    Da liegen sie zwar auch wieder komplett falsch, aber in dem Fall haben sie einen Vorteil: es wird sich nicht so schnell zeigen wie bei Corona und der Ukraine.

    • Steve Acker 9. Juli 2022 at 23:45

      Ziel ist die Zerstörung unserer Gesellschaft

  4. Franz M 7. Juli 2022 at 23:01

    Wenn die USA die Europäer in Angriffskriege gezwungen haben, war das die Befreiung und Sicherung der Demokratie.
    Und die Hohlköpfe in Europa haben “Hurra” geschrien! Daß die “Befreiung” des Donbass durch die Amerikaner durch frühzeitiges Eingreifen Russlands unmöglich wurde, das mag eine auf die Mütze des Windel-Pepi sein, für die Welt aber wohl ein Segen. Und die neue, erweiterte BRICS-Kooperation zeigt das deutlich, der “Petro-Dollar” ist Vergangenheit, die
    US-Eliten lecken ihre Wunden durch Vermögensverluste! Gut so! Ja, wir in Europa leiden mehr als der Rest der Welt, haben aber auch die Verbrecher am westlichen Atlantikufer über Jahrzehnte als Götter hofiert. Und Dummheit wird gestraft, auch wenn die einfachen Menschen in Europa damit nichts zu tun haben.

  5. Fritz Madersbacher 7. Juli 2022 at 21:51

    “Es läuft keinesfalls mehr rund innerhalb der westlichen Koalition. Die Zeichen mehren sich jedenfalls, dass sie schneller zerbröseln könnte, als man denkt”
    Das ist zweifellos so, auch wenn die Widersprüche innerhalb und zwischen den NATO-Mitgliedern im Artikel etwas plakativ dargestellt sind. Die “Pandemie” hat wesentlich dazu beigetragen (und tut es weiterhin, je länger, je mehr), dass die bei den alljährlichen pompös-lächerlich-verlogenen “Reden an die Nation” hervorgehobene “Exzeptionalität der auserwählten amerikanischen Nation” ebenso wie die EU-Selbstbeweihräucherungen nicht auf die andächtige Bewunderung der auch noch vorhandenen Welt stößt …

  6. Konrad Kugler 7. Juli 2022 at 20:27

    Ich bin vor Kurzem von einem unreflektierten Glauben abgefallen. Bis dahin sah ich die NATO als Verteidigungsbündnis.
    Als sich Rußland vom Kommunismus bekehrte und den Warschauer Pakt auflöste, hatte der Westen hoch und heilig versprochen, die NATO nicht nach Osten zu erweitern. Warum tat sie es doch? Weil sie offenbar ein Kriegsbündnis ist.
    Ein Einschub: Der Amerikaner ist konservativ, er wil keine Länder erobern, aber eine Waffe haben. Die USA bestehen seit 293 Jahren und haben fast immer Kriege geführt. Das führe ich auf den Einfluß der Freimaurerei zurück, deren Symbole offen gezeigt werden. George Friedman hat in einer Rede in Chikago klar gesagt, was die USA umtreibt, nämlich jede Annäherung Deutschlands zu Rußland aus eigenen Machtinteressen zu hintertreiben.
    In den Jahren seit 1991 hat die US-NATO 9 Kriege provoziert und geführt, der 10. gegen Weißrußland ist gescheitert, aber die Ukraine ist der Hebel, mit dem man Rußland zerstören wollte.
    Putin schützt seine Russen gegen die westlichen Terroristen, die sich Ukrainer nennen. Auch wenn ich in der Zeitung lesen muß, das er dort Gräueltaten zuläßt, wohin er Frieden bringen will.
    Woher stammt eigentlich die Behauptung, Putin wolle die alte Sowjetunion wieder herstellen? Er habe das gesagt.

    • alexandrabader 8. Juli 2022 at 7:27

      Gerade Johnson hat Verbindungen zu Oligarchen, die City of London ist wichtig bei Geldwäsche des Putin-Regimes. Es ist bezeichnend, dass der frühere Labour-Chef Jeremy Corbyn immer wieder attackiert wurde, der russischem Einfluss entgegentrat.

  7. Kurt Knurrt 7. Juli 2022 at 19:49

    Die EU muss endlich kooperieren und nicht saktionieren. Man kann Putin nicht ständig demütigen. Das europäischen Volk kommt durch diese venatwortungslosen Politiker immer mehr unter die Räder.

    • Konrad Kugler 7. Juli 2022 at 20:31

      Seit heute steht für mich fest, wir werden von unseren hauseigenen Feinden regiert.

  8. Jan 7. Juli 2022 at 19:12

    Iran, Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, Venezuela und jetzt Ukraine – es sieht so aus, als ob der Westen Russland, Indien und China das Heft des Handelns nicht mehr aus der Hand nehmen kann. Wenn diese Sache nunmehr geklärt ist, kann dann hoffendlich Frieden eintreten?

  9. Dr. Klaus Rocholl 7. Juli 2022 at 17:11

    „Wie ein Mann…“ – na ja!

    Wohl eher wie ein/e Ma(e)nXnIn… oder so ähnlich.
    Jedenfalls in rosarot und mit Wattebäuschchen!

  10. 1150 7. Juli 2022 at 16:28

    die deindustriealisierung deutschland’s wurde schon von us- finanzminister morgenthau 1944 angedacht.
    nur kamen diesen plänen der kalte krieg dazwischen. die grünen/roten faschistischen heloten vollenden nun endgültig den plan ihrer herren, um einem neuerlichen angelsächsichen alptraum, den eines zweiten rapallo, zu verhindern.

  11. Toni 7. Juli 2022 at 16:08

    Sieht man sich die deutschen Außenhandelsdaten auf http://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Aussenhandel/kah613.html näher an, ist die Deindustrialisierung eine reale Option: Im Mai war diese Statistik das erste Mal seit Jänner 2008 negativ, der Abwärtstrend ist beeindruckend. Ohne billige Energie ist der Ofen aus.

    Für Österreich gilt deshalb: am 9. Oktober den Regime Change wählen!

    Glück auf, Toni

  12. MA 7. Juli 2022 at 15:52

    Offensichtlich geht Russlands Strategie auf!
    Nicht die Ukraine ist im Visier des Kreml, es ist der Westen, den man in die Sanktionsfalle gelockt hat und der nun geschwächt die Waffen streckt..

    Nicht umsonst ist Destabilisierung des Feindes Pflichtfach in der KGB-Volksschule gewesen!

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