
Kriminalität, Sicherheitsdienste und Wirtschaftswachstum: Wohin gehen die Früchte unserer Arbeit?
Trotz konjunktureller Auf- und Abschwünge, trotz Finanzkrise 2008, Corona und Lockdowns wächst unser Bruttoinlandsprodukt kontinuierlich weiter. In den letzten 25 Jahren hat sich das deutsche BIP real um etwa ein Drittel erhöht [1], pro Kopf und kaufkraftbereinigt sind wir heute offiziell real ungefähr 25 Prozent reicher als vor 25 Jahren [2]; wir haben mehr Beschäftigte denn je [3] und die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit beinahe 40 Jahren nicht mehr. [4] Trotzdem klagen – gefühlt – immer mehr Menschen, dass sie nur mehr schwer über die Runden kommen, dass der Wohlstand, das Wohlbefinden nicht nur nicht zunimmt, sondern teilweise sogar abnimmt. Wie kann das sein? Dafür gibt es gute Gründe.
Steigende Kriminalität in die USA
In den letzten Monaten erschienen im Wall Street Journal zwei bemerkenswerte Artikel zu steigender Kriminalität in US-Städten seit Corona. Der eine trägt den Titel: „Diebstähle und Einbrüche plagen San Francisco – Einzelhändler sehen sich mit steigenden Sicherheits- und Reparaturkosten konfrontiert “Die letzten beiden Jahre waren geistesgestört”“, vom 21.3.2022. [5] Demnach stiegen in San Francisco Eigentumsdelikte 2021 um 13 Prozent und Autodiebstähle um 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr: „Gewerbebetriebe waren in allen Ecken von San Francisco betroffen, sogar in Vierteln mit traditionell niedriger Kriminalität wie Sunset District, wo Einbrüche in Geschäfte und Wohnhäuser zwischen 2019 und 2021 um 80 Prozent stiegen.“
Am 29.4.2022 berichtete das Wall Street Journal, dass wohlhabende Viertel von Chicago wegen zunehmender Autodiebstähle und Überfälle jetzt bewaffnete private Polizeieinheiten einführten. [6] Sicherheitsdienste florierten derzeit in den USA. Ein Anbieter von Sicherheitsdiensten wird mit den Worten zitiert: „Als die Pandemie sechs Monate währte, begannen mich die Kunden anzurufen und sagten „Die Kriminalität ist außer Kontrolle, was können Sie tun?“ Vor der Pandemie habe er 75 Kunden in einer bestimmten Region gehabt. Heute habe er dort 175.
Die Zunahme von Kriminalität wird durch eine Studie des Council on Criminal Justice von Januar 2022 zur Kriminalitätsentwicklung in 27 US-Städten bestätigt. [7] Demnach stiegen Morde 2021 gegenüber 2020 um fünf Prozent, im Vergleich zu 2019 gar um 44 Prozent. Schwere Übergriffe erhöhten sich 2021 gegenüber 2020 um 4 Prozent, Waffenangriffe um 8 Prozent und Autodiebstähle um 14 Prozent. Andererseits gingen Einbrüche, Diebstähle und Drogendelikte 2021 gegenüber 2020 Vorjahr zwischen einem und 12 Prozent zurück. Diese Rückgänge erklärt die Studie mit den stay-at-home Anordnungen und Lockdowns: „Die Quarantänen reduzierten die Einbrüche in Wohnhäusern. Wenn die Geschäfte geschlossen sind, gibt es keine Ladendiebstähle. Drogen auf Straßen zu verkaufen ist schwieriger, wenn weniger Leute auf der Straße sind“. [8]
Gewerbetreibende, Normalbürger und Stadtverwaltungen wehren sich gegen die zunehmende Kriminalität mit zusätzlichen Ausgaben für Überwachungskameras, Zäunen, Gittern usw. sowie mehr Sicherheitspersonal und privater Polizei.
Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen der Sicherheitsmaßnahmen
Was bedeuten zunehmende Ausgaben für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit gesamtwirtschaftlich? Offiziell steigt dadurch das Bruttoinlandsprodukt. Denn jede Reparatur von eingeschlagenen Schaufenstern, jede Neuinstallation von Überwachungskameras, Stacheldrähten, Gittern, Zäunen und neu eingestelltes Security-Personal steigern das Wirtschaftswachstum. Real geschieht jedoch genau das Gegenteil. Der Wohlstand sinkt. Denn nun sind mehr Menschen als zuvor mit Tätigkeiten beschäftigt, die entweder zerstörtes Gut wiederherstellen, also den vorherigen Wohlstand wiederherstellen. Oder es nehmen Tätigkeiten zu, die keinen realen Wohlstandszuwachs erzeugen, wie etwa Wachpersonal, die Produktion neuer Stacheldrähte oder von Überwachungskameras.
Man könnte diese Art von Arbeit als unproduktive Tätigkeiten bezeichnen in dem Sinne, dass sie, wenn sie zunehmen, keine Wohlfahrtsvermehrung erbringen, keine zusätzlichen Produkte oder Dienstleistungen erzeugen, die die materielle oder geistige Wohlfahrt vermehren. Ein anderer Ausdruck dafür könnte unnötige Arbeit sein.
Unproduktive Arbeit
Auch in Deutschland nimmt diese Art unproduktiver Tätigkeit seit langem zu. Beispielsweise sind die Umsätze der Wach- und Sicherheitsunternehmen in Deutschland von 3,28 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 9,21 Milliarden 2020 [9], also um etwa 180 Prozent und damit deutlich stärker als das BIP gestiegen. Die Zahl der Beschäftigten nahm in dieser Branche von 140.000 im Jahr 2000 um 85 Prozent auf 259.500 2020 zu. [10] Einen großen Sprung bei Umsatz und Beschäftigtenzahlen gab es von 2014 bis 2016, was mit der Flüchtlingswelle ab 2014 zusammenhängen dürfte: Allein 10 Prozent aller Beschäftigten in der Sicherheitsdienstleistungswirtschaft waren 2020 zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften eingesetzt. [11]
Was tut Security-Personal, das gerade in den Corona-Zeiten besonders sichtbar war? Diese Beschäftigten sollen einen Zustand der Sicherheit wiederherstellen, der vorher ohne sie vorhanden war. Wenn beispielsweise Kriminalität oder Unehrlichkeit steigen, müssen mehr Menschen eingesetzt werden, um die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Wenn es mehr Schwarzfahrer gibt, brauchen wir mehr Kontrollen. Also im Grunde genommen gilt: je mehr die Moralstandards sinken, desto mehr Ressourcen und Menschen müssen wir einsetzen, um sichere Lebensbedingungen aufrechtzuerhalten.
Unproduktive Tätigkeiten sind jedoch bei weitem nicht auf den Sicherheitssektor beschränkt. Für David Graeber besteht die Hälfte aller Erwerbsarbeit aus Bullshit-Jobs: Unnötige, überflüssige, subjektiv und/ oder objektiv sinnlose, nicht Werte schaffende Tätigkeiten. [12] Beispiele dafür sind Bürokratie, Überwachung, Verwaltung, Werbung [13], Anwälte, Steuerberater, Gerichtsvollzieher, Vermögensberater, Lobbyisten, geplanter Verschleiß [14], um nur einige zu nennen. Das heißt nicht, dass alle diese Tätigkeiten nicht notwendig sind. Ohne Polizei, Verwaltung, Gerichtswesen usw. ist unser Leben undenkbar. Es soll lediglich gesagt werden, dass, wenn diese Tätigkeiten zunehmen, sie praktisch keine wohlfahrtsvermehrende Wirkung haben, im Gegenteil. Es wird Arbeitskraft, Fleiß und Geisteskraft abgezogen von produktiven, wohlstandschaffenden, sinnvollen Tätigkeiten.
Um eine Größenordnung für Deutschland zu nennen: Allein geplanter Verschleiß und Werbung sorgen dafür, dass wir etwa vier Wochen im Jahr arbeiten, ohne dass wir eine einzige Dienstleistung oder ein einziges Gut mehr haben. [15] Also etwa 10 Prozent unserer Arbeitszeit wird allein dadurch verschwendet, ist umsonst, könnte genauso unterbleiben, ohne Schaden anzurichten. Im Gegenteil. Wenn diese Tätigkeiten unterblieben, hätten wir weniger Energie- und Ressourcenverschwendung sowie weniger Umweltzerstörung.
Gesundheitswesen
Ein weiterer sehr großer Bereich ist das Gesundheitswesen. Je mehr chronische Krankheiten oder Zivilisationskrankheiten wie Allergien, Lebensmittelunverträglichkeiten, Diabetes, Karies, einige Krebsarten, Rheuma, Herz- und Gefäßkrankheiten, Gicht, Adipositas usw. zunehmen, desto mehr müssen wir für Gesundheitsdienstleistungen ausgeben. Das erhöht das reale BIP, aber nicht unsere Wohlfahrt. Im Gegenteil. All die Menschen, die im Gesundheitswesen dafür arbeiten, Zivilisationskrankheiten einzudämmen werden aus den produzierenden Bereichen der Volkswirtschaft abgezogen. In Deutschland haben die Ausgaben für das Gesundheitswesen von 9,4 Prozent vom BIP 1992 auf 11,9 Prozent 2019 zugenommen. [16]
Ein aktuelles Beispiel: In Deutschland wurden für Bürgertests (Corona-Schnelltests) laut tagesschau.de vom 23.5.2022 bis April 2022 etwa 10,3 Milliarden Euro ausgegeben. Dabei werden allein die Betrugsschäden auf bis zu 1,5 Milliarden Euro geschätzt. [17] All dieses Geld, die Menschen, die die Tests durchführen, die Hersteller, die die Materialien verkaufen – das alles führt zu keiner Erhöhung des Wohlstands in der Gesellschaft. Im Gegenteil: diese Ressourcen werden von anderen, produktiven Tätigkeiten abgezogen.
Trotz Wirtschaftswachstum werden viele Menschen nicht bessergestellt, im Gegenteil
Viele Menschen fragen mich immer wieder, ob denn die offiziellen Zahlen zum Wirtschaftswachstum stimmen, ob nicht die Inflation in Wahrheit viel von unserem Wohlstand auffrisst. Anders ausgedrückt: Wie kann es sein, dass trotz sehr niedriger Arbeitslosigkeit und fast ständigem Wirtschaftswachstum gefühlt immer mehr Menschen in unserem Land immer schlechter über die Runden kommen?
Meiner Ansicht nach stimmt dieses Gefühl für viele Menschen. Und dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Erstens die ständig zunehmende unproduktive Arbeit in unserem Land (und weltweit). Trotz Wirtschaftswachstum bleibt netto oft wenig oder manchmal nichts übrig an realem Wohlstandszuwachs. Zweitens die seit etwa 40 Jahren weltweit und auch in unserem Land steigende Ungleichverteilung. So hieß es in einem Artikel der konservativen „Welt“ am 7.10.2019 zu Deutschland: „Die verfügbaren Einkommen sind so ungleich verteilt wie noch nie“. [18] Mindestens beim unteren Viertel der deutschen Beschäftigten kommt vom Wirtschaftswachstum seit einer Generation praktisch nichts an, im Gegenteil. [19]
Ein offiziell kontinuierlich steigendes reales BIP heißt längst nicht, dass es den meisten Menschen im Land auch real bessergeht. Wir sollten anfangen umzudenken und die offiziellen Zahlen auf Sinnhaftigkeit, Zweck und Aussagekraft zu hinterfragen.
Referenzen:
5 https://www.wsj.com/story/thefts-and-burglaries-plague-san-francisco-0d655431: Thefts and Burglaries Plague San Francisco — Retailers face security, repair costs; ‘these last two years have been insane’, 21 Mar 2022.
8 “Quarantines reduced residential burglary. When businesses are closed, there is no shoplifting. Selling drugs on the street is more difficult when there are fewer people on the street”
12 Graeber, David, Bullshit Jobs – A Theory, Penguin Random House, 2018
13 Vgl. Kreiß, Christian, Werbung nein danke – Warum wir ohne Werbung viel besser leben könnten, Berlin und München 2016
14 Vgl. Kreiß, Christian, Geplanter Verschleiß: Wie die Industrie uns zu immer mehr und immer schnellerem Konsum antreibt – und wie wir uns dagegen wehren können, Berlin und München 2014
15 Vgl. Kreiß, Geplanter Verschleiß und Werbung nein danke
19 https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.579011.de/18-9-3.pdf Zu den Hintergründen und Auswirkungen der zunehmenden Ungleichverteilung vgl. Kreiß, Christian, Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft, Hamburg 2019; kann hier kostenlos heruntergeladen werden: https://menschengerechtewirtschaft.de/wp-content/uploads/2020/07/Buch-Mephisto-30.4.20-mit-Bild-1.pdf
Bild von Ralphs_Fotos auf Pixabay
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht unsere. Wir veröffentlichen sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.
Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de
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7 Kommentare
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Wir hatten vor Jahren schon (mindestens 10) befürchtet, dass unsere verantwortliche kaum zu etwas anderes in der Lage sind als ähnliche Zustände wie in Chikago in den Zwanzigern wieder aufleben zu lassen!
Alles mit “Law and Order” zu tun habende verschärft nur.
Jeder motivierte Sozialarbeiter ist doppelt so viel wert wie ein motivierter Polizist in dem soziale Fähigkeiten einbremsenden, hierarchischen Strukturen. Das könnte ebenfalls am Beispielen der US – Städte mit deren damals vielfältigsten Problemen, auch durch Einwanderung, studiert werden.
Die Unfähigkeit der faschistoiden Strukturen bewahrheitet sich wieder einmal!
Immer mehr und mehr vom gleichem langfristig sinnlosen!
Auf der Arbeit selbst gibts auch immer mehr Bullshit-Tätigkeiten:
Compliance-Schulungen und -Formulare ausfüllen etc
Management-Systeme pflegen und erweitern
Auditierungen begleiten
Digitalisierung von eigentlich unnötigen Dingen, Hauptsache man ist digital, Listen, Listen, Listen…
internes Outsourcing von Bürokratie (Nicht der Einkauf bestellt etwas, sondern ich muss im ERP erstmal selbst die Vorarbeit für den Einkauf machen – wofür ich 10x länger brauche- und der prüft und korrigiert Alles nochmal; nicht das Personalwesen trägt für mich den Urlaub ein, sondern ich muss ihn in einem Portal eintragen und genehmigen lassen beim Chef; ich gehe nicht ins Büromateriallager und hole mir einfach einen Bleistift, sondern ich muss den über den Einkauf bestellen(!) s.o.; ich gehe nicht zur Poststelle und lasse den Brief frankieren und versenden, sondern ich muss selbst Briefmarken besorgen und aufkleben und zur Sammelstelle bringen; usw. usw.)
Dadurch wird praktisch keinerlei Mehrwert geschaffen.
Hier kann ich Pierre nur zustimmen.
Und wie er so schön die „Neben“ – Tätigkeiten aufgelistet hat muss man sich in Erinnerung rufen, dass für die eigentliche Tätigkeit, für die man eingestellt wurde immer weniger Zeit verbleibt denn irgendwann ist Feierabend!
Der Vorgesetzte fragt, warum denn die eigentliche Arbeit noch nicht fertig ist?
Aber etwa gegen die Zeitfresser aufzustehen geht ja nicht, denn wir sind in der Firma doch alle „Kumpels“.
Grins!
Sehr schöner Artikel! “Unproduktive Arbeit” ist ein passender Terminus – aber: ohne “unproduktive” Sicherheitsdienstleistungen gäbe es noch weniger Wohlstand. Es ist also kein Produkt, auf das sich verzichten ließe.
Unser historisch gewachsene soziale Ordnung lässt sich auf das Ziel einer verbesserten Nahrungsmittelversorgung zurück führen. Im Grunde tragen auch Sicherheitsdienstleister dazu bei, vielleicht sogar Friseure. Nun kann man immer überlegen, ob Einsparungen möglich sind, meist sind die Systeme jedoch komplexer als man denkt und man ist nur nicht drauf gekommen.
Zur Ölförderung hat man vor 100 Jahren ein Rohr in den texanischen Boden gerammt und was herauskam abgefüllt. In den 80ern hat man Bohrtürme in der Nordsee gebaut. Dann haben die USA das Fracking angefangen: Mit Millionen Litern von Wasser wurden die Kavernen gespült. Das ist eine Zunahme von “unproduktiver Arbeit” oder, der Aufwand für die Förderung nimmt zu. Der Nettoertrag ist logischerweise abzüglich des steigenden Aufwands.
In der Diskussion ist häufig von Preisen die Rede. Manchmal macht es aber auch Sinn, Preise wegzulassen und sich zu überlegen, dass zwischen Rohr im Boden und Bohrung im ewigen Eis ein Unterschied besteht. Die Produktivität des Öls lässt nach. Die Produktivität des Öls ermöglicht uns Wohlstand, wenn sie nachlässt, müssen wir mehr Arbeit in die Förderung stecken, die nicht mehr für Friseure zur Verfügung steht. Wir können auch nicht sagen, den Wohlstand hat jetzt ein anderer, denn das Wasser steckt jetzt in den Kavernen und nützt niemandem. Wir haben den Wohlstand der Kavernen erhöht.
Bis 2019 haben sich die Ölförderer, zB die OPEC+, sehr bemüht, höhere Preise durchzusetzen. Das war nicht möglich. Die Kurve des Kartoffelmarktes, je knapper ein Gut, desto höher die Preise, gilt nur innerhalb von Grenzen. Wenn Kartoffeln zu teuer werden, kaufen die Leute Rüben. Bevor die Leute nicht essen können, frieren sie. Offenbar gibt es eine Grenze der Tragfähigkeit in Wirtschaftssystemen. Das spricht dafür, dass “unproduktive Arbeit” so unproduktiv nicht ist. Sonst würde man sie weglassen. Die Security-Firmen kompensieren ein Versagen des Staates an anderer Stelle. Vielleicht könnte man dies durch eine günstigere Lösung vermeiden, als historisches Beispiel einer solchen Lösung sei die Drei- bzw. Vierfelderwirtschaft genannt. Wenn Security notwendig ist, weil die Schulen so schlecht sind, könnte man dies mit mehr Freiwilligenarbeit ändern – kosten darf es ja nichts.
Ich vermute aber, dass Security notwendig ist, weil wir unseren Wohlstand in Kavernen pumpen müssen, anstelle Friseure zu beschäftigen und die arbeitslosen Friseure außer Rand und Band geraten. Oder so ähnlich.
Natürlich kommt jetzt gleich der Einwand, dass der Reichtum der Oberschicht gestiegen sei. Ich sehe dabei vor allem eine Verschiebung von Machtverhältnissen. Ob dabei tatsächlich Wohlstand zur Oberschicht fließt, scheint mir noch nicht bewiesen. Es scheint mir so, dass es sich zu einem Großteil um Werte auf dem Papier handelt, also im Prinzip Gutscheine auf morgen zu erwirtschaftendes Gut. Ihre Erfüllung steht in den Sternen. Wen dies interessiert, möge sich einmal mit Hjalmar Schachts Mefo-Wechsel beschäftigen und überlegen, ob dieses Prinzip heute nicht breitflächig angewendet wird.
Wenn also die Mehrzahl der Leute sich höhere Ölpreise nicht leisten können und sie lieber frieren, also höhere Preise den Absatz derart drosseln, dass es die Gewinne der Ölförderer und als Nebeneffekt das BIP beeinträchtigt, dann hören die Ölförderer auf zu produzieren. Passiert ist das gerade in den USA, die Finanziers des Fracking sind ausgestiegen und haben drastische Verluste abschreiben müssen.
Das heisst, es gibt einen Moment, da bleibt das Öl in der Tiefe. Unsere gängigen Vorstellungen und Modelle sind falsch.
Wir betrachten aber stets Öl-Reserven. Das Verhältnis von Produktivität und BIP und sich-leisten-können spielt keine Rolle.
Wir sind auch jetzt davon überzeugt, dass die niedere Moralität Putins uns höhere Gaspreise beschert. Das ist falsch! Putin kann nur deshalb sein Gas so leicht absetzen, da sich der Markt gewandelt hat und Anbieter sich ihre Kunden aussuchen können. Es besteht ein Mangel an fossilen Brennstoffen, die Coronazeit lassen wir einmal ausgeklammert. Das bedeutet, dass langfristig der Energiemangel das Wirtschaftswachstum beschränkt.
Wer jetzt an alternative oder nukleare Energie denkt, sollte wissen, dass beide am Weltenergieverbrauch jeweils nur ca. 5% betragen. Ich weiss, Eletromotoren werden erheblich viel effizienter und dann wird es sich ausgehen, bestimmt!
Das bedeutet, dass eine kommende Rezession nicht die Abwärtsbewegung eines Konjunkturzyklus sein muss, sondern dass der gesamte Zyklus abwärts zeigt, wir also in eine Dauerrezession rutschen. Die autoritären Anwandlungen unserer Regierungen könnten darauf schließen lassen, dass sie es wissen. Man rechnet damit, dass Demokratie nicht möglich ist, wenn die Mehrheit unzufrieden ist. Ich bin nicht sicher, dass eine hemmungslos korrupte Klasse als Führung besser ist.
Wenn das so ist, wird unser hochkomplexes technologisches System auf Stufen niedrigerer Komplexität rutschen. Schritt für Schritt. Beispiel: Wenn billige Energie nicht mehr vorhanden ist, wird es Priorisierungen in den Stromnetzen geben und Strom und Internet sind nicht mehr unterbrechungsfrei verfügbar. Das wird Auswirkungen auf Arbeit, Administration, Logistik usw haben. Durch die Verringerung der Durchleitung wird die Wartung der Netze schwieriger, sie werden rückgebaut. E-Herde und Kühlschränke werden sinnlos. Ein weiteres Abrutschen könnte der Individualtransport sein, was zur Folge hätte, dass Arbeit und Ressourcen in der Nähe des Wohnortes sein müssten. Ohne Strom, Netze und Logistik schwierig.
Man kann sich da eine ganze Menge denken, was auf uns zu kommt.
“Unproduktive Arbeit” birgt ein wenig das Versprechen des Sparens. Sparen ist immer eine gute Idee, hat aber Grenzen. Die Reduktion des Autobahnlimits auf 100km/h mag etwas einsparen. Wenn plötzlich nur noch 50% der Energie zur Verfügung steht, wird das nicht reichen.
Anmerkung: Gas ist ein Beiprodukt der Ölproduktion mit niedrigerer Energiedichte. Bei grober Betrachtung lassen sich beide gleichsetzen.
“Auch in Deutschland nimmt diese Art unproduktiver Tätigkeit seit langem zu.”
Ja, dem kann ich zustimmen. Allerdings sehe ich da weniger die Sicherheitsbranche. Ein ständig wachsender öffentlicher Dienst dürften da schon mit weit mehr zu Buche schlagen. Neben dem Zuwachs an Köpfen, wird auch mit vollen Händen das Geld in fragwürdige Expertise investiert. Ich erlaube mir aus der “Chronik des Irrsinns”(achgut) zu zitieren:
“271 Millionen Euro hat die Bundesregierung in ihrem ersten halben Jahr für externe Berater ausgegeben. Merkt man der Politik gar nicht an. Profis können das nicht gewesen sein, ich tippe mal auf NGOs. Den Löwenanteil, etwa 237 Millionen Euro, hat übrigens allein Innenministerin Nancy Faeser mit 80 Verträgen rausgefeuert. Macht pro Werktag mehr als 910.000 Euro. Wie viele Berater da wohl zugange waren? Und was machen eigentlich die mehr als 2.100 Beschäftigten im Ministerium?”
Was die 2.100 Beschäftigten machen, das frage ich mich schon lange und nicht nur in diesem Bereich des öffentlichen Dienst.
Wichtiger Artikel zur Aufklärung über die tägliche Täuschung: angebliches Wachstum, steigender BIP – und wachsende Armut, sinkende Lebensqualität.
Wir werden gerade mittels Nennung von Zahlen (und deren falsche Einordnung) massiv getäuscht und verarscht und ausgetrickst. Da sind die gefälschten Zahlen noch gar nicht berücksichtigt.
Zahlen sollen Objektivität und Wissenschaftlichkeit vortäuschen. Und leider oft genug mit Erfolg. Daher werden wir ganz besonders intensiv mittels Zahlen beschissen und belogen.