WHO-Reform: Warnung und Kritik von Rechtsexperten

28. Februar 2023von 4,8 Minuten Lesezeit

Pandemievertrag und internationale Gesundheitsvorschriften: Aktuell arbeitet die WHO an zwei weitreichenden Reformen. Die beiden juristischen Fachexperten Silvia Behrendt und Marei Müller haben eine genaue Analyse vorgelegt.

Vergangene Woche wurde in der WHO-Zentrale in Genf weiter an den „Internationalen Gesundheitsvorschriften“ (IHR) verhandelt. Zuletzt zeigte sich aber auch innerhalb der WHO deutlicher Dissens: Das Prüfkomitee hatte erhebliche Einsprüche zu den geplanten Änderungen, die eine massive Machterweiterung für die WHO bedeuten würde, vorgelegt. Außerdem wird ein neuer „Pandemievertrag“ ausgehandelt, dafür trifft man sich wieder im Mai.

Im Schatten der Öffentlichkeit

Die Salzburger Juristin Silvia Behrendt und frühere Rechtsberaterin des IHR-Sekretariats der WHO hat am Montag gemeinsam mit der Juristin Amrei Müller eine Analyse zur WHO-Reform veröffentlicht. Behrendt ist eine Expertin auf diesem Gebiet, hat sie doch zu den IHR auch promoviert (Universität St. Gallen/Georgetown University Law Center, Washington).

Die beiden Rechtsexperten kritisieren, dass es bisher „kaum öffentliche oder rechtswissenschaftliche Diskussionen über diese umfangreichen Änderungen (und die parallelen Prozesse innerhalb der WHO zur Aushandlung eines neuen Vertrags über die Bereitschaft und Reaktion auf Pandemien)“ geben würde. Tatsächlich werden die Verhandlungen von den Leitmedien mehr oder weniger ignoriert, berichtet wird hauptsächlich von sogenannten „Alternativmedien“ – TKP hat die WHO-Reform intensiv begleitet.

Behrendt und Müller zeigen sich darüber überrascht, denn dem Urteil einiger weniger Kritiker stimmen sie durchaus zu. Die Verhandlungen erhalten kaum öffentliche Aufmerksamkeit, „obwohl die Ergebnisse dieser Prozesse das Potenzial haben, die Lebensgrundlagen, das Leben, die Gesundheit und die Menschenrechte von Menschen auf der ganzen Welt zu beeinträchtigen, unter anderem, weil die vorgeschlagenen Änderungen, wenn sie angenommen werden, der WHO und insbesondere ihrer Generaldirektorin (DG) einzigartige “Notfall”-Befugnisse verleihen und damit die sicherheitsorientierten Ansätze zur Bewältigung des Ausbruchs von Infektionskrankheiten, die in der so genannten Global Health Security (GHS)-Doktrin verankert sind, die die von der WHO geführte globale Reaktion auf Covid-19 dominiert hat, im internationalen Gesundheitsrecht verankern.“

Im Blog für internationales Recht „OpinioJuris“ verfassten die beiden deshalb einen „menschenrechtsbasierten Kommentar zu ausgewählten Änderungsvorschlägen, wobei der Schwerpunkt auf Änderungen liegt, die darauf abzielen, die Notfall- und Bioüberwachungsbefugnisse der WHO zu erweitern.“ Und auch andere rechtliche Punkte werden in der Analyse intensiv diskutiert.

Beide Reformen, der Pandemievertrag und die Änderungen der IHR, wirken für die Juristen „übereilt“. Im Mai 2024 sollen beide Reformen verabschiedet werden – das ist zumindest der Plan. Es braucht eine einfache Mehrheit, um die IHR-Änderungen zu beschließen. Dann „werden die Änderungen der IHR innerhalb von 12 Monaten für alle Staaten in Kraft treten, es sei denn, ein Staat legt innerhalb einer 10-monatigen Frist proaktiv Ablehnungen oder Vorbehalte.“ Der Pandemievertrag braucht stattdessen eine 2/3-Mehrheit und die nationale Ratifizierung beruht auf nationalem Recht.

WHO als globaler Gesetzgeber

Das Tempo der Reform sehen die Juristen jedenfalls äußerst kritisch:

„Die Aushandlung eines neuen multilateralen Vertrags in weniger als drei Jahren ist höchst ungewöhnlich. Die Staaten hatten auch nur vier Monate Zeit, um Änderungsanträge zu den IHR einzureichen, und die Experten, die den RC-Bericht verfasst haben (S. 11, 15), kritisierten den kurzen Zeitrahmen, innerhalb dessen der Bericht erstellt werden musste, was ihr Mandat einschränkte.“

Doch das sei nicht alles:

„Gleichzeitig bleibt das angestrebte Verhältnis zwischen den beiden Instrumenten [Pandemievertrag und IHR] unklar. In ihrer derzeitigen Form gibt es in fast allen geregelten Bereichen inhaltliche Überschneidungen, und es ist unklar, warum die WHO und ihre Mitgliedstaaten Ressourcen für die Aushandlung von zwei internationalen Instrumenten mit überlappendem Geltungsbereich und Inhalt verwenden.

Behrendt und Müller analysieren dann präzise und tiefgehend die Änderungen der IHR, die gerade am Tisch liegen. Einige wichtige Punkte aus ihrer Perspektive zusammengefasst:

  • Die Vorschläge zielen darauf ab, die Situationen, in denen die Generaldirektion einen gesundheitlichen Notfall ausrufen kann, erheblich auszuweiten, was zahlreiche rechtliche und praktische Konsequenzen nach sich ziehen würde.
  • Der Generaldirektion könnte Befugnis erhalten, einen “mittleren Gesundheitsalarm” auszurufen, wenn ein Ereignis im Bereich der öffentlichen Gesundheit nicht die Kriterien einer Gesundheitskrise (einem sogenannten „public health emergencies of international concern“, PHEIC) erfüllt, aber “eine verstärkte internationale Sensibilisierung und Bereitschaftsmaßnahmen erfordert.“ Hier fehlt eine eindeutige Definition, was ein solcher Gesundheitsalarm wäre. Es fehlt ein eindeutiger Maßstab: „Die Frage, ob solche Cluster ein erhebliches Risiko für eine internationale Ausbreitung und für internationale Reise- und Handelsbeschränkungen darstellen, muss nicht bewertet werden, und es bleibt unklar, wie der “Schweregrad” bewertet wird.“
  • Die Zulassung, Herstellung und Anwendung von Arzneimittel soll bereits im Vorfeld einer Gesundheitskrise gelockert werden.
  • Aus den aktuellen „unverbindlichen Empfehlungen“ der WHO könnten rechtsverbindliche Anweisungen werden und die WHO wird während eines Gesundheitsnotfalles zu einem „globalen Gesetzgeber“. Die WHO könnte dann „legislative Befugnisse verfügen, die mit Ausnahme des UN-Sicherheitsrats kein anderes UN-Organ oder eine UN-Sonderorganisation hat.“ Viele Änderungsvorschläge seien in diesem Kontext zu lesen.

In der Analyse kommen Behrendt und Müller zum Schluss: „Diese erste Analyse der vorgeschlagenen Änderungen kann diejenigen, die an den Verhandlungsprozessen in der WHO beteiligt sind, dazu ermutigen, die Vorschläge auch auf ihre Vereinbarkeit mit den Pflichten der Staaten zur Achtung, zum Schutz und zur Verwirklichung der Menschenrechte zu prüfen, einschließlich der Sicherstellung, dass ihre Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie der WHO sie nicht daran hindert, diesen Pflichten nachzukommen.“

Hinweis: Am 17. März wird Silvia Behrendt im Rahmen des Symposiums “Permanenter Ausnahmezustand? Von der Pandemie in die Energiekrise” in Wien zum Thema “Das geplante Krisensicherheitsgesetz und die Vorhaben der WHO” auftreten.

Bild https://www.nursetogether.com/WHO World Health Organization on Coronavirus pandemic COVID-19CC BY 4.0


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Zusammenfassung: Die geplanten Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften

Diktatorische WHO-Reform strauchelt – Hauseigenes Prüfkomitee lehnt Änderungen ab

6 Kommentare

  1. federkiel 1. März 2023 at 9:06Antworten

    Es ehrt Frau Berendt, daß sie das analysiert hat, nur diese Global Health Responsibility Agency ist eine NGO, grad mal 2 Jahre alt, also wen von offizieller Seite kümmert das?
    Das Mindeste wäre doch, dazu eine Presseaussendung zu machen, oder das Elaborat an die zuständigen österreichischen Vetreter in der WHO zu schicken oder den Gesundheitsminister, oder wer auch immer dafür zuständig ist. Auch an diverse Medien,
    wobei mir die Wiener Zeitung am ehesten empfänglich erscheint. Dann kann keiner sagen, er hätte es nicht gewußt.

  2. Stunning Greenhorn 1. März 2023 at 7:35Antworten

    Mir ist aufgefallen: “Die Zulassung, Herstellung und Anwendung von Arzneimittel soll bereits im Vorfeld einer Gesundheitskrise gelockert werden.” Es genügt demnach, wenn ein Pandemieprophet wie Gates seine greise Hand hebt, um den Arzneimittelherstellern und Gesundheitssystemem Narrenfreiheit zu gewähren. Die vergangenen drei Jahren haben gezeigt, dass nicht einmal eine Pandemie erforderlich ist, damit die Maschinerie anläuft, die greise Hand genügt.

  3. Andreas N 1. März 2023 at 7:16Antworten

    Der lobgesang auf der eu-website über gründe und ziele dieser reform ist unerträglich. Wer aus falschen annahmen und selbstverschuldeten politischen maßnahmen eine pandemie konstruiert, kann nur zu noch schlechteren lösungen finden. Wenn “gemeinam” draufsteht ist es mit der meinungsfreiheit vorbei, das wissen wir ja bereits.
    Nicht besprochen hingegen wird der verlust der nationalen souveränität sowie die grundrechtsverluste jedes einzelnen bürgers. Allein das setzt jede alarmglocke in bewegung.
    Die aussagen von pascal najadi beim mwgfd-symposium gestern abend unbedingt anhören, er kündigte auch ein gespräch bei auf1 zum gleichen thema an. Gut, dass wir die neuen medien haben, danke tkp!

  4. therMOnukular 28. Februar 2023 at 23:26Antworten

    Scheint die Öffentlichkeit auch wenig zu interessieren…..;))

    Vor 25 Jahren habe ich zum 1. Mal versucht zu antizipieren, ob es sich in meinem Lebenszyklus noch ausgeht, dass mir die nächste Implosion der Gesellschaft ins Totalitäre erspart bleibt. Ich war damals der Meinung, dass es sich knapp ausgehen müsste, bzw, dass ich dann schon alt genug sein werde um zu sagen “ich habe mein Leben gehabt”.

    Die Geschehnisse seit 2020 haben diese “Berechnungen” über den Haufen geworfen. Seither hoffe ich nur noch, dass es möglichst schnell über die Bühne geht, vlt. geht sich dann noch ein netter Lebensabend aus, samt Ehrenmedaille & Denkmal natürlich. Und ich freue mich schon darauf, Schulkindern dann zu erzählen, wie es damals wirklich war. ;))

    Vlt schafft es diese Welt endlich einmal, VOR der absoluten Katastrophe aufzuwachen, um wenigstens nicht wieder bei quasi 0 beginnen zu müssen wie nach ’45 oder gar noch schlimmer im Falle nuklearer Zerstörung. So wie die Welt gerade drauf ist, kann man leider nichts mehr ausschließen.

    • Mine 1. März 2023 at 2:40Antworten

      So ähnliche Gedanken hatte ich auch schon. ;-) Es geht sich auch bei mir leider nicht aus.

      Die Geschichtsschreibung ist ebenso subjektiv und verdrehend wie die Lügenpresse, besonders, wenn es sich um Ereignisse handelt, die noch nicht so lange her sind. Das bedeutet, Putin ist schuld.

  5. Jurgen 28. Februar 2023 at 23:03Antworten

    Da hilft nur die vollständige Kündigung des Vertrages mit der WHO!

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