Sterblichkeit von Covid-19 nach Land – der Vergleich macht Sie unsicher

12. Juli 2020von 3,5 Minuten Lesezeit

Wer kennt noch den alten Werbeslogan von Siemens „Der Vergleich macht Sie sicher“? Vergleiche haben in Zeiten von SARS-Cov-2 Saison. Politiker teilen gerne Tabellen, die ihr Land auf Platz 1 oder 2 zeigt. Vor allem Sterblichkeitsraten und -zahlen sollen beweisen, wie gut man selbst ist und wie schlecht die anderen, insbesondere Schweden.

Aber wir kennen auch die alte Weisheit von „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Derzeit kursieren im Zusammenhang mit dem Coronavirus vor allen Daten und Grafiken mit „bestätigten Fällen“, oft auch noch falscher als „Erkrankungen“ bezeichnet. Warum diesen Statistiken nicht zu trauen ist, ist hier dargelegt.

Ähnliches passiert bei den Sterblichkeitszahlen. Es wird ein Ausschnitt genommen eingeengt auf mit oder an Covid-19 Verstorbene. Dabei erhält man damit kein klares Bild von der Situation eines Landes oder einer Region. Denn wegen verschobener Operationen und Behandlung anderer Krankheiten kommt es ebenfalls zu Todesfällen, die aber unbeachtet bleiben.

Doch in einer Gesamtbetrachtung der Todesfälle offenbart sich das komplette Bild, wie es Twitter User @DaFeid grafisch dargestellt hat.

Total_deaths_per_mln

In der Grafik oben sehen wir die Todesfälle pro Million Einwohner vom 1. Jänner bis 7. Juni zusammengestellt aus den Daten des europäischen Statistikamtes eurostat. Und da sehen wir, dass die gesamten Todesfälle pro Monat in Deutschland am höchsten sind, obwohl sie bei den reinen Covid-19 Todesfällen weit besser abschneiden als Spanien, Belgien, UK, Niederlande, Frankreich und Schweden.

Schweden hat auch weniger Todesfälle als seine Nachbarn Finnland und Dänemark, die immer gerne als Vergleich zu Schweden herangezogen werden. Das ist auch in der folgenden Grafik erkennbar, wo die kumulierten Todesfälle pro Million Einwohner von 1. Jänner 2020 bis 7. Juni aufgetragen sind. Die Zahlen in Schweden (grau) liegen unter denen von Finnland (orange) und Dänemark (blau), die beide einen Lockdown hatten, aber über denen von Norwegen (gelb).

deaths_cumul_Nordic

Im folgenden Chart sieht man, dass in einigen Ländern es zu einem Anstieg der Todesfälle pro Million Einwohner erst einige Zeit nach dem Lockdown kam, der ziemlich in allen Ländern (mit Ausnahme von Schweden) um Mitte März (Woche 11, 12 oder 13) erfolgte. Deutliche Wölbungen der Kurven nach oben zeigen Spanien (grau), Belgien (blau), UK (dunkelgrau), Frankreich (gelb) und Niederlande (hellblau). Die Kurve von Deutschland verläuft so ziemlich gerade, aber die meiste Zeit und ach am Ende wieder am weitesten oben, also die höchste Sterberate pro Million Einwohner. Schweden dagegen hat nur eine leichte Delle nach oben und insgesamt die tiefste Kurve, also die geringste Sterblichkeit pro Million von den verglichenen Ländern.

deaths_cumul

Sehr spannend ist auch der Vergleich der Gesamtsterblichkeit zwischen dem Jahr 2018, wo wir eine etwas stärkere Grippewelle hatten, und dem Jahr 2020 jeweils bis zur Woche 23. Hier sehen wir 6 Länder, bei denen die kumulierte Sterblichkeit der ersten 23 Wochen 2018 über denen von 2020 liegt, nämlich Ungarn, Deutschland, Finnland, Dänemark, Slowakei und Norwegen. Bei 4 Ländern gibt es fast keinen Unterschied, nämlich bei Schweiz, Österreich, Schweden und Portugal. 2020 etwas höhere Zahlen als 2018 haben 4 Länder nämlich Frankreich, Niederlande, UK und Spanien. In Summe, die beiden Balken ganz rechts, sind die Zahlen nahezu identisch.

Deaths_2018_vs_2020

Aus den Daten ist zumindest eines klar zu entnehmen: Nimmt man nur einen Teil der Todesfälle, so bekommt man kein deutliches Bild der Vorgänge in diesem Jahr. Wir erinnern uns an die Berichte in den Wochen unmittelbar folgend auf den Lockdown, dass es weniger Schlaganfälle und Herzinfarkte gegeben habe. Tatsächlich haben sich weniger Patienten in Spitäler zu gehen getraut, einerseits aus Angst vor Ansteckung und andererseits um diese nicht zu belasten. Bekannt ist zum Beispiel aus Italien, dass die Übersterblichkeit im Februar und März nur zu 52% auf Todesfälle in Verbindung mit einer Coronavirus Infektion stehen. Ähnliches wurde für die USA gezeigt.

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Gesundheitliche Kollateralschäden durch Corona-Maßnahmen in den USA

Niedrige Letalität von Covid-19 dank weit verbreiteter Hintergrundimmunität

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1 Kommentar

  1. Wolfgang Finke 21. März 2021 at 12:34

    eher privat denn als Kommentar gedacht: Selbst ein 3/4 Jahr nach Veröffentlichung dieses Beitrags, ist mir seine Relevanz immer noch präsent. Ich habe davon inspiriert, eine Schätzwette gemacht, bei der ich um den Anteil der covidbedingten Lebenserwartungsminderung im Vergleich zu der alltäglich akzeptierten Verminderung durch Lebensführung, in Relation setzen möchte und zwar über den Zeitraum meiner 20-jährigen ärztlichen Tätigkeit. Mir fehlen allerdings die Daten und das mathematische Können, um meine intuitive Schätzung, welche so zwischen 1 und 3 % rangiert, überprüfen zu können. Haben Sie da einen Ansatz? Die Frage wäre also nochmals so formuliert: wie viel Lebensverkürzung akzeptieren wir in “Germany” im Vergleich zu den mediterranen Ländern oder UK/Schweden im Alltag, gemessen über zwanzig Jahre. Oder anders augedrückt- wieviel macht Wurst und Autofahren gegenüber Covid aus, wenn wir eine meditarrene Lebensweise als weder asketisch noch unrealistisch betrachten? Einen visionärer Artikel gab es auch mal im Dt. Ärzteblatt anno 2008: https://www.aerzteblatt.de/archiv/62816/Gesundheitsfoerderung-und-Praevention-Muehsamer-Weg-zum-richtigen-Lebensstil
    Viele Grüße

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