
Recht bekommen statt Recht haben?
Eine Airline hatte früher als Slogan „Service is our Sucess“. Die Regel heute ist jedoch „Ohne Service geht’s auch“. Gerichte wissen nicht einmal was Service ist, denn sie wurden digitalisiert und entbürokratisiert. Das ist das Rezept für nicht nur eine Odyssee, sondern gleich zwei.
Man muss nicht nur Recht haben, man muss auch Recht bekommen! Man kann mitunter beobachten, dass besonders große Unternehmen diese Lebensweisheit in der Weise abändern, dass Sie die Worte „nur“ und „auch“ aus ihr streichen. Werden dann die Worte „man muss“ durch „wir müssen“ ersetzt, führt das zu der Devise: „Wir müssen nicht Recht haben, wir müssen Recht bekommen!“
Vor diesem Hintergrund soll über ein Verfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt, Geschäftsnummer 32018 C 505/24, berichtet werden, bei dem nicht das Urteil, sondern der Sachverhalt von Bedeutung ist. Es ist keine abwegige Befürchtung, dass die spanische IBERIA als beklagte Fluggesellschaft und mit ihr vielleicht auch einige Mitwettbewerber die Lehren aus einer Niederlage vor dem Amtsgericht ziehen und ihre Sachverhaltsgestaltung im Sinne der abgewandelten Lebensweisheit optimieren. Die Wirklichkeit kehrt langsam zum Recht des Stärkeren zurück!
Sachverhalt
Am 25.05.23 buchte der anwaltlich nicht vertretene Kläger über das Portal Expedia.de bei IBERIA für den 25.06.23 einen Flug der Business-Class von Frankfurt in die spanische Provinz mit Zwischenlandung in Madrid. Der planmäßige Abflug war um 6:30 Uhr, die Ankunft um 13:10 Uhr und die Wartezeit in Madrid von 9:20 bis 12:00 Uhr. Praktisch gleichzeitig wurde dieser Vertragsabschluss von der Fluggesellschaft bestätigt. Am Tag nach der Ankunft um 10:00 Uhr hatte der Kläger einen wichtigen Termin und am Abend des Anreisetags eine lockere Verabredung für ein Vorbereitungstreffen. Außerdem musste er sein Hotelzimmer bis spätestens 23.00 Uhr beziehen. Am 11.06.23 um 21:14 erhielt er eine Mitteilung der IBERIA, dass sein Anschlussflug von 12.00-13:10 auf 19:50-21:05 verlegt worden sei. Damit hätte er das Vorbereitungstreffen nicht durchführen und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch sein Hotelzimmer nicht mehr beziehen können. Dieses Angebot war also nicht nur wegen der über 10stündigen Wartezeit in Madrid unzumutbar.
- Mayer, Dr. Peter F.(Autor)
Am 12.06. schrieb der Kläger der Beklagten auf Deutsch und Spanisch, dass er die IBERIA unter ihrer auf der Website angegebenen Rufnummer nicht erreichen könne und dass ihm die Website die Absendung eines Beschwerdeformulars verweigere. Er lehnte weiterhin die Änderung des Beförderungsvertrags ab und bestand auf der Vertragserfüllung oder einem gleichwertigen Ersatz. Es wies die IBERIA darauf hin, dass es etwa zur gleichen Zeit einen Lufthansa-Flug nach Barcelona gebe, und von dort 2,5 Stunden später ein Weiterflug mit Vueling möglich sei. Hierauf erhielt er umgehend die automatische Nachricht, dass diese Adresse nicht mehr erreichbar sei und er sein Anliegen an info@iberia.es richten solle, was der Kläger auch umgehend per Weiterleitung tat.
Hierzu erhielt der Kläger auch eine Eingangsbestätigung. 3 Stunden und 41 Minuten später erhielt er eine automatische Antwort, für die Änderung seines Tickets müsse er sich an die ausstellende Agentur wenden. Diese Antwort lag völlig neben der Mitteilung des Klägers, denn er wünschte keine Änderung des Fluges, sondern seine Beibehaltung. Weil die Antwort vom 12.06., 15:41 Uhr auf Englisch war antwortete der Kläger nun auch auf Englisch, dass auf seine Forderung nach Einhaltung des Vertrags ggf. auch mit einem gleichwertigen Ersatzangebot nicht geantwortet wurde; seine bisherigen Mitteilungen auf Deutsch und Spanisch fügte er bei. Zusätzlich schickte er diesen Vorgang am 13.06.23 an den Abfertigungsagenten der IBERIA in Neu-Isenburg bei Frankfurt mit der Bitte um Weiterleitung. Auch hierauf hat er keine Rückmeldung erhalten.
Am 14.06.23 leitete der Kläger auch die Bitte um Weiterleitung durch den Abfertigungsagenten an die Beklagte weiter. Am 16.06.23 erhielt der Kläger eine automatische Mitteilung der IBERIA, dass seine Mitteilung angeblich nicht zugestellt werden konnte.
Am 16.06.23 um 20:30 erhielt der Kläger dann wieder eine automatische Mitteilung mit der Mitteilung von zwei spanischen Servicenummern. Als der Kläger dort anrief erhielt er wieder nur die Aussage, vom 12.06.23, 15:41 Uhr, für eine Umbuchung solle er sich an den Vermittler wenden.
Mit der Aussage des Klägers, er wolle keine Umbuchung, sondern eine Vertragserfüllung, konnte der offenbar inkompetente Mitarbeiter des Call-Centers nichts anfangen.
Nach diesen 5tätigigen Bemühungen um einen gleichwertigen Ersatz buchte der Kläger wie angekündigt den Flug mit Lufthansa und Vueling mit Zwischenlandung in Barcelona. Am 18.06.23 um 12:59 Uhr erhielt der Kläger eine automatische Mitteilung der Beklagten, dass sie ihm eine gute Reise für den Flug am 25.06.23 mit Zwischenlandung in Madrid wünsche. Aus dieser Nachricht schloss der Kläger, dass die IBERIA jederlei Sorgfalt für ihre Kunden aufgegeben hat und sich nur noch auf Maschinen statt auf Menschen verlässt. Es gab anscheinend keinen Menschen, der die Nachrichten des Klägers ernst genommen hatte.
Am 23.06.23 um 7:36 Uhr erhielt der Kläger eine automatische Mitteilung der Beklagten, dass nun auch der Rückflug am 10.07.23 geändert werden solle, nun aber 3,25 Stunden vorverlegt. 4 Stunden später erhielt der Kläger dann fast die gleiche Mitteilung, nur dass der Flug jetzt wieder auf die ursprüngliche Zeit zurückverlegt wurde. Hieraus schloss der Kläger, dass der Rückflug nicht ausgefallen, aber wahrscheinlich überbucht war. Es dürfte der IBERIA dann doch aufgefallen sein, dass der Kläger schon beim Hinflug das Opfer einer Umbuchung wurde, und dass man nun jemand anderen als Opfer auswählen wollte. Am 24.06.23 erhielt der Kläger von der Beklagten die Informationen zum Hinflug.
Nach der zweifachen Flugzeitenänderung für den Rückflug und dem Verdacht der Überbuchung interessierte den Kläger, ob der Hinflug wirklich ausgefallen, oder nur überbucht war. Der Flug aus Barcelona mit planmäßiger Ankunft um 13:35 Uhr war in etwa pünktlich. Aus den Anzeigetafeln entnahm der Kläger, dass der Iberia-Flug aus Madrid schon angekommen war, also stattgefunden hat. Am 26.06.23 erhielt der Kläger eine Nachricht von Expedia.de, ihm stünde wegen der Stornierung des Flugs möglicherweise eine Entschädigung i.H.v. 260 € zu und es wurde eine „Air-Help-Website“ empfohlen, um diesem Anspruch geltend zu machen. Darauf informierte der Kläger den Vermittler über seinen Sachverhalt und dass er keinen pauschalen Schadenersatz, sondern eine Kostenübernahme für die Ersatzvornahme fordere. Darauf erhielt er nur eine weitere automatische Mitteilung des Vermittlers über einen bestehenden pauschalen Schadenersatzanspruch.
Am 09.07.23 erhielt der Kläger eine automatische Mitteilung der IBERIA zum Rückflug. Am 10.07.23 erhielt er wieder eine weitere automatische Mitteilung des Vermittlers über einen bestehenden pauschalen Schadenersatzanspruch; seine Antwort hatte also auch dort niemand gelesen. Ebenfalls am 10.07.23 erhielt der Kläger eine automatische Mitteilung der Beklagte, sie freue sich, dass der Kläger am Vortag pünktlich in Madrid angekommen sei. Nach dem Weiterflug nach Frankfurt freute sie sich nicht.
Nachdem er auch auf seine Schadenersatzforderung keine Antwort kam, beantragte der Kläger einen Mahnbescheid gegen die Beklagte, per Adresse des Abfertigungsagenten, der am 31.08.23 erlassen wurde. Der Abfertigungsagent schickte den aber am 05.09.23 mit der Begründung zurück, keine Postvollmacht zu haben; trotzdem hatte er den Brief geöffnet.
Hierüber informierte das Amtsgericht Hünfeld den Kläger am 07.09.23. und erklärte ihm, dass die Zustellung damit nicht erfolgt sei. Ebenfalls am 07.09.23 meldete sich ein Anwalt beim Gericht und legte namens und in Vollmacht der Beklagten Widerspruch ein.
Hierauf antwortete der Kläger dem Gericht, dass mit diesem Widerspruch ein Empfangsbekenntnis impliziert und der Mahnbescheid damit zugegangen sei. Es wurde gleichzeitig um die Abgabe an das Amtsgericht Offenbach gebeten, was für den Sitz des Abfertigungsagenten zuständig war. Hierauf erhielt der Kläger erst am 10.11.23, also nach mehr als 2 Monaten ein Schreiben des Amtsgerichts Hünfeld, dass es weiter nicht von einer formwirksamen Zustellung ausgehe und es fragte an, ob eine Neuzustellung an den Prozessbevollmächtigen beantragt werde, was der Kläger auch sofort tat.
Der Mahnbescheid wurde aber trotzdem erst am 28.02.24, also nach weiteren 3 Monaten erneut zugestellt, und der Anwalt der IBERIA hat am 13.03.24 dagegen Widerspruch eingelegt. Erst jetzt wurde dem Kläger mitgeteilt, dass das Verfahren an das Amtsgericht Offenbach abgegeben wurde.
Ob diese 5 Monate Verzögerung mit der Digitalisierung der Gerichte zu tun hatten, oder einfach nur als Bürokratieabbau anzusehen sind, ließ sich nicht aufklären.
Am 13.06.24 teilte die Geschäftsstelle dem Kläger mit, dass die am 08.05.24 eingegangene Anspruchsbegründung dem Anwalt der Beklagten zur Kenntnis zugestellt worden sei.
Am 04.10.24 erhielt er einen Beschluss des Gerichts vom 29.05.24, wonach die 4 Monate zuvor weitergeleitete Anspruchsbegründung aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht zur Akte gelangt sei und um nachmalige Zusendung gebeten wurde.
Der Kläger wurde aufgefordert, einen Verweisungsantrag an das Amtsgericht Frankfurt zu stellen, was dieser auch tat. In dem Beschluss wies der Richter darauf hin, dass die elektronische Akte kaum Erleichterungen mit sich bringe, sondern zu erheblichen Mehrbelastungen führe, und mit erheblichen Verzögerungen zu rechnen sei. So etwas nennt man heute Entbürokratisierung!
Mit Beschluss vom 17.12.24 ordnete das Amtsgericht Frankfurt nach § 495a Zivilprozessordnung (ZPO) das schriftliche Verfahren an und bestimmte den Termin für die Einreichung von Schriftsätzen, die dem Schluss der mündlichen Verhandlung entsprächen, auf den 07.02.25. Mit Beschluss vom 19.02.25 wurde ein nochmaliger Termin auf den 18.04.25 festgesetzt.
Am 22.09.25 meldete sich die Kanzlei des Anwalts der IBERIA per e-mail beim Kläger und bat ihn um die Angabe seiner Bankverbindung für die Auszahlung des Schadenersatzanspruchs, die am 24.10.25 erfolgte. Dem Kläger wurde bisher dahin kein Urteil zugestellt. Erst auf Nachfrage erhielt er die Information, dass das Urteil vom 26.08.25 am gleichen Tag in die elektronische Gerichtsakte eingestellt wurde, zu der der anwaltlich nicht vertretene Kläger aber keinen Zugang hatte. Erst danach wurde ihm das Urteil zugeschickt, aber nicht per Postzustellungsurkunde, sondern mit einfachem Brief.
Gerichtsstand
Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Offenbach ergibt sich nach der Auffassung des Klägers aus § 21 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat am Sitz ihres Abfertigungsagenten eine Niederlassung, von der aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden.
Der Flug ab Frankfurt hatte auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung Bezug. Die Formulierung „Geschäfte schließen“ kann sich nicht nur auf das Verpflichtungsgeschäft beziehen, sondern muss auch das Erfüllungsgeschäft umfassen. Wenn IBERIA ab Frankfurt Flüge nach Spanien anbietet und durchführt, unterhält sie in Frankfurt eine Niederlassung i.S.d. § 21 ZPO. Dabei ist es unerheblich, ob sie sich von einem Abfertigungsassistenten als Subunternehmer vertreten lässt, oder eigene Arbeitnehmer beschäftigt. Aus der Formulierung „Geschäfte schließen“ ergibt sich nach der Rechtsauffassung des Klägers weiter, dass nicht die physische, sondern die organisatorische Abwicklung für den Ort der Betriebsstätte maßgebend sein muss. Wenn die Fluggesellschaft diese Organisationsaufgaben durch einen Subunternehmer ausführen lässt, wäre eher der Sitz des Subunternehmers für den Ort der Betriebsstätte maßgebend.
„Die Niederlassung muss nach der vorgenannten, von der Rspr entwickelten Definition vom Inhaber errichtet worden sein, wobei es insoweit nur auf den äußeren Anschein ankommt (BayObLG Beschl v 20.3.19 – 1 AR 6/19, Rz 10 – juris; St/J/Roth § 21 Rz 11). Eine Niederlassung erfordert ferner im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 253 I) bestehende und bestimmungsgemäß genutzte, zur Entfaltung gewerblicher Tätigkeit geeignete, körperlich-gegenständliche (nicht bloß im Internet vorgehaltene: Fricke VersR 01, 925, 933 f) Betriebseinrichtungen (wie zB Geschäftslokal; Büroräume) zum Zwecke eines Tätigwerdens von nicht ganz vorübergehender Dauer (München AnwBl 89, 294). Demnach scheiden Messe- oder Marktstände mangels hinreichender Betriebsdauer nach ganz hM als Niederlassung aus (Musielak/Voit/Heinrich § 21 Rz 2).“ (https://www.haufe.de/recht/deutsches-anwalt-office-premium/pruettinggehrlein-zpo-kommentar-zpo-21-zpo-besonderer-gerichtsstand-der-niederlassung_idesk_PI17574_HI15263348. html) Aus dem mit der festen Flugverbindung vermittelten äußeren Anschein ergibt sich, dass das Erfüllungsgeschäft der IBERIA von einer Niederlassung durchgeführt wird. Sie nutzt über den Abfertigungsagenten für die Abfertigung der Passagiere regelmäßig die Räume des Flughafenbetreibers, weshalb es feste Geschäftsräume gibt.
Ob der Verkauf (= Verpflichtungsgeschäft) in eigenem Namen oder von einem Mittler erfolgt, kann für das Erfüllungsgeschäft keine Rolle spielen, selbst wenn der zwischengeschaltete Verkäufer eine Internetseite in Panama oder anderswo auf der Welt betreiben würde. Im vorliegenden Fall war es Singapur.
Ein Flughafen in drei Amtsgerichtsbezirken
Im vorliegenden Fall war die genaue Bestimmung des Ortes der Niederlassung von Bedeutung, weil sich der Flughafen Frankfurt auf dem Gebiet mehrerer Gemeinden befindet, für die auch noch unterschiedliche Amtsgerichte zuständig sind. Neben den Amtsgerichten Frankfurt und Offenbach käme auch das Amtsgericht Rüsselsheim in Betracht.
Das Amtsgericht Offenbach hat seine Unzuständigkeit nicht näher begründet, meinte aber vermutlich, dass der Ort des Abflugs oder der Ankunft und nicht die Büroadresse des Agenten maßgebend wäre. Dabei ist aber anzumerken, dass dann wohl nicht das Terminal, sondern der Standort des Flugzeugs zu prüfen wäre. Regelmäßig werden die Passagiere mit Bussen auch über längere Strecken zum Flugzeug gefahren. Dann wäre es aber für einen Kläger kaum aufzuklären, an welchem Stellplatz sich das Flugzeug vor dem Abflug befunden hat und auf dem Gebiet welcher Gemeinde dieser Stellplatz liegt.
Es würde also eine völlig überflüssige Hürde für den Kunden geschaffen, für eine Klage gegen eine ausländische Fluggesellschaft ohne eigenes Büro das richtige Amtsgericht ausfindig zu machen.
Die Aussage des Abfertigungsagenten, keine Postempfangsvollmacht zu haben, ist unglaubwürdig, denn er benötigt eine solche Vollmacht für seine Arbeit. Vorstellbar ist allenfalls, dass behördliche und gerichtliche Zustellungen von der Vollmacht ausdrücklich ausgenommen waren. Dann stellt sich aber die Frage, warum der Brief mit dem Mahnbescheid trotzdem geöffnet und dem Anwalt eine Kopie geschickt wurde. Weiter wäre zu fragen, ob in einer solchen Beschränkung der Vollmacht nicht eine verweigerte Annahme nach § 179 ZPO zu sehen ist. Wer nach § 21 ZPO eine Niederlassung unterhält, muss auch dafür sorgen, dort erreichbar zu sein.
Hätte sich nicht der Anwalt der IBERIA selbst beim Amtsgericht Hünfeld gemeldet, wäre die Zustellung komplizierter geworden. Dass diese Meldung dort nicht als Zustellungsbekenntnis gewertet und das gerichtliche Mahnverfahren mit der nachmaligen förmlichen Zustellung an den Anwalt um 6 Monate verzögert wurde, ist schwer nachvollziehbar.
Die Sorge ist nicht völlig unbegründet, dass die Fluggesellschaften aus diesem Verfahren die Lehre ziehen, sich auf einen Mahnbescheid nicht zu melden und ihre Kunden zu zwingen, eine komplizierte Zustellung im Ausland zu bewirken. Auf der Seite https://www.mahngerichte.de/verfahrensueberblick/besondere-verfahrensgestaltung/antragsgegner-mit-auslandswohnsitz/ befindet sich eine Liste von Ländern, bei denen diese Hürde überwindbar ist. Bei den hier nicht genannten Ländern würde das viele Kunden von der Verfolgung ihrer Ansprüche abhalten.
Argumentation der IBERIA
Zunächst trug der Anwalt vor, die Änderung der Flugzeiten sei mehr als 14 Tage vor dem Flug erfolgt. Er hat aber keine gesetzliche oder vertragliche Regelung zitiert, die der Fluggesellschaft diese Änderung erlauben würde. Der Anwalt könnte eine Annullierung des Fluges i.S.d. Art. 2 Buchst. l der VERORDNUNG (EG) Nr. 261/2004 gemeint haben, bei der diese Frist relevant ist. Weil der Flug aber tatsächlich stattfand, lag eine Nichtbeförderung nach Art. 4 und keine Annullierung nach Ar.t 5 vor. Mit seiner Andeutung bewegte sich der Anwalt auf dünnem Eis. Er hat nicht ausdrücklich die wahrheitswidrige Behauptung aufgestellt, der Flug habe nicht stattgefunden. Mit der Berufung auf die Zwei-Wochen-Frist hat er dies nur angedeutet, vielleicht um das Gericht in eine falsche Richtung zu lenken, ohne ausdrücklich eine Annulierung zu behaupten. Dieses Argument wurde auch später nicht näher ausgeführt.
Die Fluggesellschaft hat ihre Leistung allerdings nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu erbringen. Eine mögliche Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) findet dort ihre Grenze, wo der Verwender der AGB die geschuldete Leistung durch eine minderwertige oder gar völlig unbrauchbare Leistung ersetzen will. Der Kläger hatte nicht zwei Flüge gebucht, sondern einen Flug mit Zwischenlandung. Mit der von der IBERIA geforderten Änderung mit einem über 10 Stunden langen Zwischenaufenthalt war die angebotene Ersatzleistung schon minderwertig. Anders als bei Touristenflügen ist der Zweck eines Fluges in der Business-Clans, dass der Kunde einen geschäftlichen Termin wahrnehmen will. Ein Ersatzflug, bei dem der Kunde trotz eines ursprünglich geplanten ausreichenden Zeitpuffers seinen Termin nicht wahrnehmen kann, ist mindestens in der Business-Class unbrauchbar.
Obwohl der Kläger die IBERIA sofort auf diese Unbrauchbarkeit hingewiesen und einen anderweitigen Ersatz gefordert hat, ist sie untätig geblieben und hat sogar jede Kommunikation mit dem Kläger verweigert. Hätte sich die Beklagte auf eine Klausel in ihren AGB stützen wollen, so wäre diese nach § 305c BGB kein Vertragsbestandteil. Folglich war der Kläger zur Ersatzvornahme berechtigt und er konnte von der Beklagten Schadenersatz in Höhe der durch die Ersatzvornahme zusätzlich entstandenen Kosten verlangen. Dieser Meinung des Klägers hat sich das Gericht angeschlossen. Die IBERIA hatte zu ihrem Argument dann auch keine weiteren Angaben gemacht, so dass eine Prüfung der Vereinbarkeit mit § 305c BGB nicht möglich und auch nicht nötig war.
Schließlich bestritt der Anwalt der IBERIA die Passivlegitimation seiner Mandantin, weil die Flüge jeweils die Zusatzangabe „operated by Air Nostrum“ getragen haben. Daraus wurde abgeleitet, dass der Vertrag des Klägers mit der Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo, S.A. und nicht mit der IBERIA L.A.E. S. A. geschlossen worden sei.
Für den Kläger stellte sich die Situation aber so dar, dass sein Vertragspartner die IBERIA und Air Nostrum deren Subunternehmer war. Folgerichtig erfolgte das Angebot einer Verlegung der Flugzeiten für den Anschlussflug auch durch die Beklagte, konkret „IBERIA CONECTA <noreply@iberia.es>. Auch alle anderen elektronischen Mitteilungen der Beklagten erfolgten unter <…@iberia.es>. Daraus ergibt sich, dass Air Nostrum lediglich als Subunternehmer anzusehen ist, der die Leistung als Beauftragter der Beklagten physisch bewirkt hat. Rechtlich war das aber eine Leistung, die der Beklagten zuzurechnen war, und die nicht der vertraglich zugesagten Leistung entsprach.
Strategie der IBERIA
Insgesamt erschien die Argumentation des Anwalts improvisiert. Der Geschäftsführung in Spanien scheint nicht bewusst gewesen zu sein, dass sie trotz der Schließung ihres Büros in Deutschland nach § 21 ZPO immer noch dem deutschen Recht unterliegen würden.
Grundsätzlich scheint die Fluggesellschaft sich Schadenersatzansprüchen ihrer Kunden dadurch zu entziehen, dass sie nicht mit ihnen kommuniziert und diese auflaufen lässt. In vielen Fällen dürften sie mit dieser Abschreckung auch Erfolg haben. Es ist deshalb zu erwarten, dass das vorliegende Verfahren ausgewertet wird, um die Rechtsposition der IBERIA zu verbessern.
Im vorliegenden Fall wurde offensichtlich versucht, eine Nichtbeförderung nach Art. 4 der VERORDNUNG (EG) Nr. 261/2004 wahrheitswidrig als Annullierung des Fluges i.S.d. Art. 5 darzustellen. In den meisten Fällen wird der Kunde den Wahrheitsgehalt eine solchen Behauptung auch nicht überprüfen können. Das hätte auch für den Kläger gegolten, sofern die Fluggesellschaft ihm einen zumutbaren Ersatz angeboten hätte, statt ihn zu einer Ersatzvornahme zu provozieren. Es ist damit zu rechnen, dass es sich hier um keinen Einzelfall gehandelt hat. Als Reaktion auf den jetzt entschiedenen Fall könnte versucht werden, der Fluggesellschaft in den AGBs ein Kündigungsrecht einzuräumen, das sie bei Überbuchungen wahrnehmen könnte. In diesem Fall wäre Anwälte und Gerichte gefordert, die Zulässigkeit einer solchen Klausel genau zu prüfen.
Ein weiterer Ansatz könnte in einer Stärkung der Argumentation einer fehlenden Passivlegitimation bestehen. Der Kunde müsste weiterhin glauben, einen Vertrag mit der IBERIA L.A.E. S. A. geschlossen zu haben, die Beklagte dann in einem Prozess aber z.B. mit Franchise-Verträgen nachweisen könnte, dass die Air Nostrum Líneas Aéreas del Mediterráneo, S.A. den Vertrag geschlossen hat. Das würde nur dann einen Sinn ergeben, wenn der Kunde mit einem Prozess gegen die IBERIA die Frist für die Anmeldung von Ansprüchen gegen Air Nostrum versäumt hätte. Der Kunde dürfte also nicht wirklich in der Lage sein, die Rechtskonstruktion zu verstehen. Gleichzeitig dürfte den beiden Unternehmen keine Täuschungsabsicht nachzuweisen sein. Es sei mit Hinweis auf die Cum-Ex-Geschäfte erwähnt, dass es in der Praxis durchaus phantasievoll verschachtelte Vertragsbeziehungen gibt, deren praktischer Nutzen nicht erkennbar ist.
Das Urteil
Für das Gericht war wichtig, dass sich die Klage nicht auf die EU-Fluggastrichtlinie, sondern auf das deutsche BGB gestützt hat. Die Rechte aus der Richtlinie verdrängen die vertraglichen Rechte nicht. Das Gericht stellte fest, dass nicht nur in der Business-Clans die Ankunft mit gewissen zeitlichen Toleranzen von der Fluggesellschaft vertraglich geschuldet werde.
Allerdings wurde zur Passivlegitimation eingeräumt, dass bei Ansprüchen aus der Fluggastrichtlinie die ausführende Fluggesellschaft der Anspruchsgegner gewesen wäre. Darauf müssen die Reisenden bei einem Zusatz „operated by..“ also achten. Hier besteht die Gefahr, dass sie ihren Vertragspartner in Anspruch nehmen und gegenüber der ausführenden Fluggesellschaft die Frist für die Anmeldung ihrer Ansprüche versäumen. Diese Gefahr ist wegen der Nichtkommunikation mindestens der IBERIA mit ihren Kunden sehr real.
Zur Frage des Gerichtsstands hat sich das Amtsgericht Frankfurt nicht geäußert. Es war auch an die Feststellung aus Offenbach, dass Frankfurt zuständig sei, gebunden. Ansonsten ist das Gericht der Auffassung des Klägers gefolgt.
Bewertung
Es ist hier nicht die Rede von einer exotischen Fluggesellschaft aus Afrika oder Lateinamerika, sondern um den Teil eines Konzern, zu dem u.a. auch British Airways gehört. Die Verwendung von no-reply-mail-Adressen und die Anweisung an Call-Center-Mitarbeiter, Kunden bei Problemen möglichst abzuwimmeln, ist auch in anderen Branchen sehr verbreitet.
Aus der Marketing-Perspektive würde man eigentlich schon die Nichtkommunikation mit Kunden vermeiden, um keinen Image-Schaden zu riskieren. In diesem Sinne war es dann extrem riskant, vor Gericht mit undurchsichtigen Vertragsbeziehungen zu einem Subunternehmer zu argumentieren, ohne sie auch nur rudimentär darstellen zu können.
Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass sich die Fluggesellschaft auf Künstliche Intelligenz verlassen haben könnte, bei der die Algorithmen fehlerhaft waren. Ein natürlich-intelligenter Mensch hätte den Vorgang vollumfänglich erfasst und nicht eskalieren lassen. Wenn die Künstliche Intelligenz nur den Anschlussflug im Blick gehabt haben könnte und den ausländischen Kunden auf einem spanischen Inlandsflug als „leichtes Opfer“ für die Verletzung seiner Fluggastrechte identifiziert und einen möglichen deutschen Gerichtsstand nicht geprüft hätte, würde der ganze Vorgang plötzlich einen Sinn ergeben. Das würde aber bedeuten, dass die Verletzung der Fluggastrechte eine Vorgabe für die KI gewesen sein müsste. Dann wäre in Zukunft mit einer Vielzahl von ähnlichen Fällen zu rechnen.
Der Anwalt der Beklagten hat im vorliegenden Fall vor einem Scherbenhaufen und einem Kläger gestanden, der wider Erwarten keine leichte Beute war. Man hätte aber von ihm erwarten sollen, seiner Mandantin das dann auch frühzeitig mitzuteilen.
Problematisch für die Kunden ist, dass die deutschen Anwälte Fälle mit einem Streitwert von unter 600 EUR praktisch nicht übernehmen, weil ihr gesetzliches Honorar dafür zu niedrig wäre. Sie wollen immer vorher eine Rechtsberatung auf Stundenbasis verkaufen, die aber von der Gegenseite nicht erstattet werden muss. Vorliegend war die Rechtslage aber so eindeutig, dass eine Rechtsberatung absolut überflüssig war. Also hat der Kläger die Sache selbst in die Hand genommen. Allerdings wurde er von allen Gerichten (Hünfeld, Offenbach, Frankfurt) von oben herab behandelt, was sich z.B. aus der langen Bearbeitungszeit und der Nichtzustellung des Urteils ergibt.
In Vorbereitung dieses Artikels hat der in Spanien lebende Verfasser die Pressestelle der IBERIA auf Spanisch angeschrieben und ihr ausreichend Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben. Auf folgende Fragen hat er trotzdem keine Antwort erhalten:
- Sind Sie noch immer der Meinung, dass Sie für einen Flug unter Ihrer Kennung „IB“ mit dem Zusatz „operated by Air Nostrum“ nicht verantwortlich sind?
- Sind Sie noch immer der Meinung, dass Sie in Frankfurt, so Sie sich durch einen selbständigen Abfertigungsagenten vertreten lassen, keine Niederlassung unterhalten?
- Sind Sie noch immer der Meinung, dass Kunden, die ihr Ticket über eine Internet-Plattform gekauft haben, im Fall von Problemen an den Ticketverkäufer und nicht an Sie wenden müssen?
- Sind Sie noch immer der Meinung, dass Sie wesentliche Vertragsinhalte wie die Ankunftszeit eines Fluges nachträglich ändern dürfen?
- Ist es eine übliche Praxis Ihres Unternehmens, im Fall von Überbuchungen vorrangig Ausländer auf einen anderen Flug umzubuchen?
- Ist es in Ihrem Unternehmen üblich, auf den Widerspruch eines Kunden gegen eine einseitige Umbuchung seines Fluges grundsätzlich nicht zu antworten?
- Ihr deutscher Anwalt hat auf die 6-seitige Klagebegründung sowie eine 88-seitige Anlage mit den von ihm auf drei Sprachen (Deutsch, Spanisch, Englisch) verschickten E-Mails sowie den automatischen Antworten Ihres Unternehmens praktisch nicht erwidert. Wollen Sie auf diesen Vorfall eingehen und die Sache aus Ihrer Sicht darstellen?
- Ist es die Politik ihres Unternehmens, sich mit Ihren Kunden grundsätzlich nicht außergerichtlich zu verständigen? Wollen Sie die Mehrheit der unzufriedenen Kunden durch die Nicht-Reaktion mit einem Gerichtsverfahren drohen, und sie wegen des Aufwandes davor abschrecken?
Aus der Nichtbeantwortung dieser Fragen kann jeder Leser seine eigene Schlussfolgerung ziehen. Der Verfasser sieht seine Überschrift bestätigt: Es geht nicht darum, Recht zu haben, sondern Recht zu bekommen, und zwar das Recht des Stärkeren.
Image by Dimitris Vetsikas from Pixabay
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wieder. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.
Prof. Dr. Werner Müller, ehem. Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Mainz, seit 2023 pensioniert und wohnhaft in Spanien.
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Flughäfen werden Speerspitze des digitalen Überwachungsstaates
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„Die Wirklichkeit kehrt langsam zum Recht des Stärkeren zurück!‘
Das ist die eine Sache. Die andere ist, dass wir noch immer einen Haufen teurer Gerichte und Parlamentarier haben (Legislative) und dennoch keinen Rechtsschutz.
Da würden zwei oberste Richter genügen, die stets erklären, die Selbstvergöttlichte stünde über dem Gesetz und jede Kritik sei Terrorismus, also Bombenwerfen gleichgesetzt.
Die Gerichte sind nur noch dazu da, Staatspropaganda zu finanzieren.
Bei allen Unkenrufen, das könnte eine KI ebensogut Ginge zur Not mit der Serienbrieffunktion.
Na, ich glaube vieles, aber ohne fundierte juristische Kenntnisse führt man ein solches zivilrechtliches Mahnverfahren nicht vor deutschen Gerichten.
Wer es mal probiert hat, weiss von was ich rede.