Eurokraten wollen EU-Superstaat vor Jahresende

1. November 2023von 15,6 Minuten Lesezeit

Nachdem kürzlich die nächste Phase des „digitalen Euro“ beschlossen wurde (TKP hat berichtet), kam der Europäische Rat letzte Woche in Brüssel zusammen, um u.a. die Zukunft der EU zu erörtern. Diese regelmäßigen Gipfeltreffen sind (zu) wenig beachtet, finden dort doch immer wieder Weichenstellungen statt. Diesmal geht es erneut um die Zukunft der EU und des Euro-Finanzsystems, wobei der sprichtwörtliche Teufel nicht nur in den Details verborgen steckt.

Vorneweg eine knappe Kontextualisierung: die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank verfolgen seit geraumer Zeit ein übergeordnetes Ziel, nämlich die Kreation einer Art von EU-Zentralstaat, der sich über gemeinsame Anleihen (sog. „Eurobonds“) finanziert; unerwähnt verbleibt gewöhnlich deren zweiter Teil, denn wer Eurobonds sagt, muss diese auch über vergemeinschaftete Steuern finanzieren.

Hier finden Sie die Einschätzung von Norbert Häring zu der vor rund zwei Wochen erfolgten Weichenstellung in Richtung eines „digitalen Euro“, der über eine Art „Streit“ zwischen EU-Kommission und EZB spricht. Dies ist übrigens eine Position, die ich nicht teile, da Häring eben den zweiten Teil der EU/Euro-Steuern unerwähnt belässt.

Mit dem letzte Woche erfolgten EU-Gipfel ist nun zumindest bestätigt, dass es aber just um diese Sache geht. Anders formuliert: Die EU-Kommission und die EZB ziehen an einem Strang – und dies ist der Galgenstrick um den Nacken der verbleibeneden Souveränität – und der politischen Verantwortlichkeit der Regierungen gegenüber den Bürgern – der EU/Eurostaaten.

EU-Gipfel in Brüssel, 26.-27. Okt. 2023

Die Unterlagen des Treffens finden Sie hier.

Was aber ist Wichtiges geschehen? In aller Kürze seien in Folge die Ereignisse zu den „Kapital- und Finanzmärkten“ skizziert (hier und in Folge meine Übersetzungen und Hervorhebungen):

Die Staats- und Regierungschefs nahmen die laufenden Arbeiten der Eurogruppe zur Zukunft der europäischen Kapital- und Finanzmärkte zur Kenntnis, darunter

  • Steigerung der Investitionen des Privatsektors
  • Erschließung von Finanzierungsmöglichkeiten für gemeinsame Herausforderungen
  • Demonstration der Führungsrolle bei der grünen und digitalen Transformation

Sie werden die Fortschritte auf dem nächsten Euro-Gipfel im März 2024 überprüfen.

Was dies konkret bedeutet, können interessierte Bürger auf der folgenden Unterseite zu der „Zukunft der europäischen Kapital- und Finanzmärkte“ herausfinden: Die EU befinden sich aktuell (bis Jahresende) in der „zweiten Phase“ eines Dreistufenplans zur „grenzüberschreitenden Harmonisierung“ der Kapital- und Finanzmärkte. Ab 1. Jänner 2024 tritt die dritte Phase in Kraft, wo es um die Gesetzwerdung dieser Schritte gehen wird, die vor Sommer nächsten Jahres beim nächsten EU-Gipfel angenommen werden sollen. Es ist also alles auf Schiene, wie man so schön sagt.

Ab 1. Jänner tritt übrigens auch der Maastricht-Vertrag mit seinen Neu- und Gesamtverschuldungsgrenzen wieder in Kraft, und ab dann gilt es wieder, ein Defizit von max. 3% der Wirtschaftsleistung bzw. 60% der Staatsverschuldung einzuhalten.

Diese Maastricht-Kriterien waren angesichts der „Corona-Krise“ ausgesetzt worden – und die Chancen auf deren Einhaltung ab 1. Jänner 2024 sehen eher „durchwachsen“ aus, wie aktuelle Daten der EZB zeigen:

  • Das öffentliche Defizit im Verhältnis zum BIP sank in der EU von -4,7% im Jahr 2021 auf -3,3% im Jahr 2022.
  • In der EU verringerte sich der öffentliche Schuldenstand im Verhältnis zum BIP von 87,4% Ende 2021 auf 83,5% Ende 2022.
  • Ende 2022 reichte der öffentliche Schuldenstand im Verhältnis zum BIP von 18,5% in Estland bis 172,6% in Griechenland (sowohl Estland als auch Griechenland sind Eurozonen-Staaten).

Es sieht, höflich formuliert, nicht danach aus, dass die Maastricht-Kriterien von allen Eurozonen-Staaten eingehalten werden (können); die Frage ist m.E. eher, welche bzw. wie viele Länder werden sich „Ausnahmen“ von den Regeln erbeten? Und: Ab welchem Zeitpunkt ist der Maastricht-Vertrag mit seinen Kriterien als „totes Recht“ zu kategorisieren?

Europas „Großer Sprung“ in Richtung „Integration“

So lautet es zumindest auf der erwähnten Homepage des Maastrichter Vertrags, doch die Realität sieht deutlich anders aus.

Vom Standpunkt der EU-Kommission und EZB ist WHO-erklärte, sog. „Corona-Pandemie“ nahezu eine Art „Gottesgeschenk“. Lange schon strebte man in Brüssel und Frankfurt am Main danach, einen zentralistischen EU-Superstaat zu schaffen, der über eigene Steuer- und Schuldenhoheit verfügt, deren Punkt eben die „Unabhängigkeit“ von den Mitgliedstaaten ist.

Wie das eigenmächtige Vorgehen der EU-Kommission in der „Pandemie“ zeigt, geriert sich „Brüssel“ immer mehr wie ein Machtfaktor, der gleichsam entrückt von den souveränen Bürgern der europäischen Staaten agiert. Das beste Beispiel für das übergeordnete Ziel der EU-Kommission ist der Corona-Wiederaufbau-Fonds, der eigentlich aus 800 Mrd. Euro vergemeinschafteten Schuldverschreibungen besteht, die die EZB in Widerspruch zu den Verträgen von Maastricht und Lissabon – die klar gemeinsame Haftung ausschließen – ausgegeben hat.

Wie etwa Reuters im Frühjahr 2023 berichtet hat, strebt die EU-Kommission parallel zu der Verstetigung solcher gemeinsamer „Eurobonds“ noch eine weitere Änderung an:

Die Europäische Union bereitet sich darauf vor, an Indexanbieter heranzutreten, damit ihre Schuldtitel in deren Staatsanleihen-Indizes aufgenommen werden, sagte ein EU-Beamter gegenüber Reuters, ein Schritt, der eine stetige Nachfrage von einem viel größeren Pool globaler Investoren anziehen würde.

Die Aufnahme in einen Index „ist etwas, das wir derzeit mit den Marktteilnehmern diskutieren, während wir auch unsere interne Analyse durchführen“, sagte der Beamte, der prüft, wie die EU die Kriterien der Indexanbieter erfüllt.

EU-Anleihen sind zwar in breit angelegten Anleihenindizes enthalten, aber die Aufnahme in spezielle Indizes für Staatsanleihen, die von Unternehmen wie Bloomberg, JPMorgan oder FTSE Russell zusammengestellt werden, würde den Markt grundlegend verändern, da Anlegerfonds in Billionenhöhe, die die Indizes nachbilden, praktisch zu Zwangskäufern würden.

Hier kann erneut der Modus operandi der EU beobachtet werden: Zunächst wird etwas „für den Fallesfall“ errichtet (hier die Finanzierungsinfrastruktur), und nachdem diese existiert heißt es in Brüssel lediglich, man habe nun ja bitteschön Jahre darauf verwendet, es wäre doch zu schade, dieses oder jenes Instrumentarium nicht auch anzuwenden.

„Eurobonds“ als „Ablasshandel“

Unterm Stricht kommt dabei heraus, dass die EU „nun ihre Bemühungen verstärkt, als staatlicher Kreditnehmer behandelt zu werden“. Der Streitpunkt aus Sicht der Indexanbieter ist, dass die EU (noch) keinen direkten Zugriff auf Steuereinnahmen hat. Reuters zitiert hierzu Cosimo Marasciulo, Leiter des Bereichs Fixed Income Absolute Return bei Europas größtem Vermögensverwalter Amundi, der sich ebenso für die Aufnahme der EU in die Indizes für Staatsanleihen ausspricht:

Es gibt Anleihen, bei denen das Risiko zwischen verschiedenen Ländern geteilt wird, auch wenn sie von einer Instanz [EZB, Anm.] emittiert werden, die keine Steuerkompetenz hat, aber ich glaube nicht, dass das relevant ist. Das ist ein Teil der Integration, die wir auf europäischer Ebene haben.

Anders ausgedrückt: die EZB emittiert Anleihen in der Höhe von 800 Mrd., die durch keine Einnahmen gedeckt sind, aber das sei ja nicht relevant, folgt man dem Glaubensbekenntnis von Herrn Marasciulo. Eventuell kann man bei der EZB in Zukunft ja auch einen Ablass erwerben, denn mehr als Glaubenssache war dies ja auch nicht (von den durchaus „anderen“ Folgen einmal ganz abgesehen).

Die von der EZB emittierten „Eurobonds“ halten sich übrigens nicht besonders „gut“ in den Finanzmärkten, wie die aktuellen Daten der EZB zeigen: ursprünglich mit 0,6% pro Jahr verzinst, stehen die Leitzinsen der EZB nun bei 4,5%.

Die EU hat inmitten der WHO-erklärten, sog. „Corona-Pandemie“ eben diese gemeinsamen Schuldverschreibugnen ausgegeben, deren „Investoren“ – die u.a. auch die Nationalbanken der Mitgliedstaaten selbst sind – nun auf massiven Verlusten sitzen.

Von welchen Dimensionen sprechen wir hier? Eine SURE*-Anleihe im Wert von 7 Mrd. € mit einem Kupon von 0,1 % und Fälligkeit im Oktober 2040 wird derzeit mit einer Rendite von 3,867% gehandelt. Das sieht gar nicht so schlecht aus, bis man den Kurs dieser Anleihe betrachtet, der mit einer Geld-Brief-Spanne von 0,54/0,55 gehandelt wird – und dem geneigten Investor aktuell einen Verlust von 45% einbringt.

(*SURE ist das Akronym für die gemeinsamen Anleihen von der EZB mit dem Titel „Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency„, aud Deutsch etwa „Unterstützung bei der Minderung des Arbeitslosigkeitsrisikos in Notfällen“; per 14. Dez. 2022 sind insgesamt rund 98,4 Mrd. Euro an die Teilnehmerstaaten ausgegegen worden.)

EZB-Chefin Lagarde fordert „mehr Integration“

Man muss kein Finanzgenie sein um zu erkennen, dass die Begeisterung unter den Investoren sich dieser Instrumente anzunehmen endenwollend ist (und dabei haben wir über die bis anhin weiterhin hohe Inflation noch gar nicht gesprochen, aber 0,1% jährliche Zinsen sind doch…“toll“).

Deswegen arbeitet die EU-Kommission hinter den Kulissen an der Aufnahme der „Eurobonds“ in die Indices, denn dadurch wird deren Ankaufen jeglicher Marktdynamik (die wir aktuell beobachten können) entzogen und vielmehr zu einer politischen (Zwangs-) Verpflichtung. Das Ergebnis wäre, dass diese „Eurobonds“ sozusagen als gleichwertig wie etwa Schuldverschreibungen der Deutschen Bundesbank gelten würden.

Wenig überraschend, so feuert auch die EZB aktuell aus allen Rohren, um „einen Fiskalpakt um der Einheit willen“ zu etablieren, wie etwa Bloomberg Ende letzter Woche berichtete:

In Lagardes Gespräch am Montag [23. Okt. 2023, Anm.] mit der Chefin der Kommission, Ursula von der Leyen, dem Präsidenten der Eurogruppe, Paschal Donohoe, und dem Chef des Rates, Charles Michel, warnte sie, dass ohne eine Einigung über das weitere Vorgehen die Gefahr bestehe, dass die Geldpolitik unter Druck gesetzt werde, mehr zu tun, so mit der Angelegenheit vertraute Personen.

Donohoe, der die Eurogruppe der Finanzminister leitet, soll damals geantwortet haben, es stehe viel auf dem Spiel, um noch in diesem Jahr eine Einigung zu erzielen, und es sei machbar, aber sehr schwierig.

Lagarde nimmt an dem Gipfeltreffen in Brüssel teil, einen Tag nachdem die EZB die Zinssätze zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr unverändert gelassen hat. Nach dieser Entscheidung erklärte die EZB-Präsidentin gegenüber Reportern, dass die „Reform des wirtschaftspolitischen Rahmens der EU vor Ende dieses Jahres abgeschlossen werden sollte.

Es sieht so aus, als ob so manchen Leuten in „Brüssel“ der Hut brennt, wenn man nun, kurz bevor die EU-Mitgliedstaaten erneut die Maastricht-Kriterien einhalten müssen, eine „Reform des wirtschaftspolitischen Rahmens“ noch vor (!) Jahresende 2023 als unabdingbar beschrieben wird.

Die EU zwischen Skylla (Maastricht-Kriterien) und Charybdis (Eurobonds)

Im Licht der vorerwähnten Tatsachen aber ist just dies – höflich formuliert „Wunschdenken“, praktisch aber droht eine gesellschaftspolitische und letzten Endes legitimatorische Katastrophe für „Brüssel“: Die Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien bedeutet letzten Endes eine massive Kehrtwende weg von nahezu unbegrenzt steigenden Ausgaben in der WHO-erklärten, sog. „Corona-Pandemie“ zu den Zuständen vor dem Wirtschaftskrach 2007/08 = blockweite Austeritätspolitik.

Die Austeritätspolitik von 1992 bis 2007 trug maßgeblich zu den ersten Rufen nach einer Vergemeinschaftung von Eurozonen-Anleihen bei, wie dies etwa von Dirk Meyer in seinem Aufsatz „Eurobonds: A Turning Point for Europe“ klar beschrieben wird:

Eurobonds sind der Schlüssel zu einer politisch-normativen Frage…Der unbegrenzte und bedingungslose Zugang der Krisenländer zu Krediten ist völlig unsicher…

Ökonomisch gesehen verstoßen Eurobonds gegen das marktwirtschaftliche Prinzip der Haftung. An die Stelle der Marktkontrolle tritt die politische Kontrolle. Die damit verbundene Aussetzung des Zinsmechanismus ist mit hohen impliziten Transfers verbunden, führt zu einer Kapitalreallokation in die Krisenländer mit fragwürdiger Verwendung und verringert deren Anreize zu notwendigen Strukturreformen. Das Prinzip der Begrenzung von Fehlerfolgen wird dadurch verletzt, dass ein Ausstieg aus einem Eurobonds-Programm aufgrund des Samariter-Dilemmas kaum möglich wäre. Sie wären der Eintritt in eine unumkehrbare Transferunion. Langfristig kann eine Kriseneskalation durch den Kaskadeneffekt für die stabilen Mitglieder nicht ausgeschlossen werden.

Herr Meyer spricht hier eine für „Brüssel“ unfassbar unangenehme Wahrheit deutlich aus: Wer „Eurobonds“ sagt, spricht von einem massiven Einschnitt in der EU-Integration, der nicht weniger bedeutet denn auch nichts anderes als eine grundlegende Veränderung aller existierenden EU-Verträge.

Fürchtet die Brüsseler just dann, wenn sie „Geschenke“ bringen

Die EU-Kommission fordert „Eurobonds“.

EZB-Chefin Lagarde assistiert und spricht von einer „bis Jahresende notwendigen Reform“.

Erinnert sei an die durchaus längere Zeitspanne, die der Maastrichter Vertrag brauchte (1983-1992/93); es dauerte auch mehrere Jahre (2001-2007/09), bis dessen „Update“ im Vertrag von Lissabon gipfelte.

Nun aber ist es vorgeblich zwingend notwendig, in den nächsten zwei Monaten (!) eine grundlegende Veränderung zu erwirken, die nicht nur EU-vertragswidrig ist, sondern auch gegen so gut wie alle Verfassungen der EU-Migliedstaaten – nicht „nur“ der Eurozone – verstößt, wie dies auch von Dirk Meyer konzise formuliert wird:

Eurobonds sind daher nicht geeignet, einen Beitrag zur Lösung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone zu leisten. Vielmehr führen sie die Eurozone in ein neues institutionelles Verhältnis zwischen den Staaten in Form einer Transferunion ohne Souveränität der Mitgliedstaaten, was derzeit weder mit dem Lissabon-Vertrag noch mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Aber just dieses „neue institutionelle Verhältnis…in Form einer Transferunion ohne Souveränität der Mitgliedstaaten“ ist, was Ursula Von der Leyen und Christine Lagarde fordern. Vor Jahresende 2023.

Brüsseler Großmachtambitionen im Hintergrund

Der einzige Weg, wie „Brüssel“ dies erwirken kann, ist eine herbeigeführte Krise massiven Ausmaßes.

Der dafür wohl gewählte Weg ist die Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien, deren Austeritäts-Folgen alleine wohl ausreichen, um einen drastischen Wirtschaftskrach zu verursachen (oder, was ich persönlich für wahrscheinlicher halte, diesen massiv zu verstärken).

Es würde mich keineswegs überraschen, wenn die nächsten Wochen von einer konzertierten Panikmache gekennzeichnet sein werden, die die Rückkehr zu den Vertragsbedingungen von 1992/93 als Schreckensgespenst und Horrorszenario an die Wand malen.

Gleichzeitig werden wir wohl die alten (Lügen-) Geschichten über die „unverantwortlichen Südeuropäer“ und deren Bedürfnis, das Geld anderer Leute (im „verantwortungsvolleren Norden“) auszugeben, erleben. Währenddessen werden die Zinsen für die bereits aufgelegten „Eurobonds“ in die Höhe schnellen und zu einem Rückkopplungseffekt von Staatsschuldenkrise und -Insolvenzen führen, was eben jene „drastische Krise“ herbeiführt, die für das als „Notstandsmaßnahme“ verkaufte permanente Aussetzen der Verträge von Maastricht und Lissabon als Vehikel dient.

Anders formuliert: eine herbeigeführte Schuldenkrise der EU-Mitgliedsstaaten ist „notwendig“, um das „Vertrauen“ der Investoren in die „Glaubwürdigkeit“ der EZB-Anleihen zu gewährleisten. Glauben Sie bitte nicht mir alleine, doch ist dies auch die Ansicht von Rolf Strauch, seines Zeichens Chefökonom des Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM), der sich Anfang Oktober 2023 wie folgt Bloomberg gegenüber äußerte:

„Wir haben viele Marktkontakte, und wir sehen deutlich, dass die Investoren an einem klaren Bild der Finanzpolitik interessiert sind. Es wäre sehr hilfreich, wenn der neue Rahmen in Bezug auf die künftige Ausrichtung vorhanden wäre.“

Da die Zinssätze noch einige Zeit höher sein werden…müssen sich die Regierungen laut Strauch an ihre Zusagen für einen restriktiveren finanzpolitischen Kurs halten.

Anders formuliert: die bevorstehende Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien ist der Hebel, an dem EU-Kommission und EZB nun ansetzen.

Was aber kommt nun auf Europa zu?

Die enormen öffentlichen Ausgaben der letzten Jahre haben den Haushalten und Unternehmen ein Polster verschafft, das die Risiken mindern wird, wenn die Zinserhöhungen der EZB auf die Wirtschaft durchschlagen…insgesamt sei die Schuldenlast der Unternehmen überschaubar, und Stresstests zeigten, dass die Banken einen schweren Abschwung überstehen könnten.

Wir sehen: die Aussetzung der Maastricht-Kriterien hat uns allen einen „Polster“ verschafft; die EZB wird bald die Leitzinsen weiter anheben, aber immerhin sind „die Banken“ so gut aufgestellt, dass sie „einen schweren Abschwung überstehen könnten“. Gut zu wissen, nicht wahr?

Rolf Strauch zeigt sich „positiv“:

Die Frage, die sich für den ESM immer stellt, ist, ob wir die Widerstandsfähigkeit haben, um eine systemische Finanzstabilitätskrise zu vermeiden. Der klare Punkt ist, dass wir diese Widerstandsfähigkeit haben, weil wir immer noch einige Puffer im System sehen, die es ihm erlauben, diese Situation zu bewältigen.

Auf den Punkt gebracht sieht es also so aus, dass die bereits aufgelegten „Eurobonds“ zu klar anderen Werten gehandelt werden als etwa deutsche Anleihen. Die verfügbaren Berichte der EU-Kommission lassen auf ein gerüttel Maß an Konsternation schließen (etwa hier über das erste Halbjahr 2023):

Die Renditen von EU-Anleihen waren durchweg höher als die von großen staatlichen Emittenten gezahlt werden, trotz der erhöhten Liquidität, der hohen Kreditwürdigkeit und des stetigen Angebots von EU-Anleihen.

Investoren wie Eurokraten wollen eine Fiskal- und Transferunion, was ggf. Wettbewerbsvorteile gegenüber den USA bringen könnte, aber das große Problem ist, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger hierzu durchwegs, nun, sagen wir einmal „anderer Meinung“ sind als die Protagonisten in „Brüssel“ und „Frankfurt am Main“.

Vom „Demokratiedefizit“ zum „Legitimitätsdefizit“

Das unausgesprochene „Problem“ dieser Malaise ist, dass es nicht mehr länger um das vielfach diskutierte „Demokratiedefizit“ der EU geht. Vielmehr handelt es sich bei den hier beschreibenen Vorfällen v.a. um ein Legitimitätsproblem.

Nicht nur haben die Eurokraten in „Brüssel“ und „Frankfurt am Main“ keine Unterstützung der Menschen in Europa, sondern das mehr als nur politisch zweifelhafte Vorgehen von EU-Kommission und EZB ziehen letztlich die gesamte EU-Integration mit sich in den Abgrund.

Wie die Abstimmungsergebnisse aus Frankreich, Irland und den Niederlanden im Kontext der gescheiterten EU-Verfassungs- bzw. späteren Lissabonner Vertragswerke zeigt, waren die Menschen in Europa vor 15-20 Jahren klar gegen derartige Pläne. Betrachtet man den vorgegebenen Zeitrahmen von zwei Monaten, der für eine Regelung der Finanz- und Kapitalmärkte angeblich zur Verfügung steht, ist auszuschließen, dass die europäischen Bürger zu diesen fundamentalen Änderungen gefragt werden.

Wir stehen also vor der Transformation des „Demorkatiedefizits“ in ein „Legitimitätsdefizit“, denn die Ambitionen von EU-Kommission und EZB sind eher ein Fall für die Staatsanwaltschaft denn für die hohe Politik.

Ersichtlich ist, dass die bisher ausgegebenen „Eurobonds“ (technisch: die SURE- und NGEU-Anleihen) der Anfang eines EU-Zentralstaates mit Steuer- und Schuldenkapazitäten sein sollte.

Das fundamentale Problem unter den existierenden EU-Verträgen seit 1992/93 aber ist, dass die EU bzw. EZW keine direkte Steuerbefugnisse haben und deren Anleihen eben nicht kreditwürdig sind bzw. wenig mehr denn „Betrug mit Anlauf“, wenn diese „Eurobonds“ über AA+-Ratings verfügen (eben weil diese durch nichts gedeckt sind). Für Ablässe vor 500 Jahren hatte man wenigstens die Aussicht auf ewiges Seelenheil, die heutzutage verfügbaren „Eurobonds“ bedeuten nicht einmal das.

Am Ende dieses Beitrags angelangt, ist hoffentlich klar ersichtlich, worum es im Augenblick geht.

Kriege wie in der Ukraine, der aktuelle Nahostkonflikt und die „hohe Politik“ benötigen eine massive Krise – evtl. nimmt man „sogar“ den Bankrott der meisten oder aller EU-Staaten in Kauf – um über den Zahlungsausfall strengere Kapitalkontrollen einzuführen und eine fundamentale Veränderung der EU in einen „Superstaat“ ohne jegliche Mitsprache der Bevölkerung durchzubozen.

Bild Stavros Ioannides, P.I.O. Photo Department., Ursula von der Leyen and Nicos Anastasiades Cyprus 8 7 2021, CC BY-SA 4.0

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12 Kommentare

  1. E. T. 2. November 2023 at 8:00Antworten

    Erst wenn das Einstimmigkeitsprinzip ausgehebelt wird, mache ich mir Sorgen. Dann sind aber die „Vereinigten Staaten von Europa“ nur noch eine Frage von kurzer Zeit. Aber Europa ist nicht die USA. Die USA hat wegen seiner Einwanderungsgeschichte großen Zusammenhalt. Europa hingegen war nie eine Einheit und wird es auch nie sein, außer durch totalitären Zwang.

  2. Taktgefühl 1. November 2023 at 19:17Antworten

    Was wäre, wenn die Welt ganz anders funktionierte als uns die Wissenschaft glauben machen will? Dann irrten wir bis zum Untergang umher, um schließlich zu beklagen: warum hat uns niemand gewarnt?

    Haben die Christen 2000 Jahre lang Unfug geglaubt? Die meisten verwechseln den Glauben heute mit einer schrulligen Idee, aber der Glaube ist eine sehr ernste Angelegenheit. Es geht um die unsterbliche Seele, und da ist es nicht egal, wo die nach dem Ableben hinfährt.

    Glauben die Christen überhaupt richtig? Augustinus befand: Multi adorantur in Ora, qui cremantur in igne. (Viele werden angebetet, die im Feuer brennen) Zur Zeit, als das Christentum aufbrach, da waren die meisten Völker davon überzeugt, die Welt wäre prädeterminiert, also Schicksal. Der Wissenschaftsglaube ist nagelneu, wir haben nur vergessen, daß wir noch bis Mitte des letzten Jhds. ans Schicksal geglaubt haben. Auch unsere Dichter und Denker glauben daran. Shakesspeare war schicksalsgläubig. Seine Dramen beschäftigen sich fast alle mit dem Schicksal.
    Ödypuss ist ein markantes Beispiel.
    Wo Propheten sind, da ist auch Fügung. Wir halten uns für so wahnsinnig überlegen, aber in Wirklichkeit haben wir nicht das geringste begriffen.
    Ein bißchen Fügung gibt es nicht. Entweder ist alles Fügung oder nichts.

    Das Internet ist verkrustet. Die Debatten sind alle verkrustet. Wer sie aufbrechen will, hat ein Problem.

    Wenn es anders ist, dann ist alles anders.Ich glaube das nicht, damit kann man nur scheitern.

    • Hasdrubal 3. November 2023 at 3:11Antworten

      Christentum gibt es in Westeuropa kaum noch, die Papst-NGO und noch etwas mehr die Luther-NGO wurden von der woken Lobbyreligion mit Klimadings gekapert – Lagarde sagte übrigens schon öfter, die EZB-Finanzpolitik solle dem Klima dienen.

      In den letzten Jahren in einer Luther-Kathedrale in Norddeutschland gesehen – mit Kinder-Propagandabildern zum Klima behängt, etwa „Weltuntergang für 400 EUR gebucht“ – gemeint eine Flug-Pauschalreise.

      Da Putin und Xi es nicht offen sagen, ist jedes Indiz wertvoll – Russland arbeitet intensiv an eigenen Verkehrsflugzeugen ohne westliche Komponente. Wohl nicht, um den eigenen Bürgern Flüge zu verbieten, wie die westliche Klima-Lobbyreligion danach ruft. Gewisses Medium aus Rom 3.0 berichtete gestern vom Jungfernflug des Il-96-400M ohne westliche Teile – 370 Sitzplätze, 8100 Km Reichweite, vierstrahlig. Solche Nachrichten verbreiten Hoffnung.

  3. Glass Steagall Act 1. November 2023 at 13:10Antworten

    Der EU ein „Demokratiedefizit“ zuzusprechen ist eine haushohe Untertreibung! Im Prinzip ist die Demokratie in der EU mit der Funktion der Europäischen Kommission schon lange ausgehebelt worden! Die Europäische Kommission unter Frau von der Leyen hat sich inzwischen zu einer „Supermacht-Instanz“ entwickelt, die nicht mehr kontrolliert werden kann! Weisungen bekommt die Kommission nicht von den Bürgern oder vom Europäischen Parlament, sondern direkt von geheim gehaltenen NGOs oder unbekannten Milliarden! Diese Entwicklung sehen wir auch gleichzeitig bei der WHO!

    Das Parlament der Europäischen Union ist inzwischen zu einem extrem teuren Marionetten-Theater verkommen, denn die meist aus den europäischen Ländern ausrangierten und abgehalfterten „Überflüssigkeits-Politikern“, sitzen im EU-Parlament lediglich ihre restlichen politischen Jahre wie eine Made im Speck ab! Dort sitzen die hochbezahlten Judasse, die letztendlich ihre eigenen Bürger verkaufen!

    Das EU-Parlamant winkt lediglich noch die Eingaben der Europäischen Kommission ab, mehr nicht. Das bedeutet, ein mächtiger Milliardär gibt seine Vorstellungen von der Veränderung der EU bei der Kommission bekannt, diese beschließt (man nennt es dort Vorschlag) dann das neue Gesetz und das EU Parlament stimmt dann meist diese neuen Gesetze ohne Gegenwehr ab. Die jeweiligen Landesparlamente haben dann diese Gesetze in die Landesgesetze zu übernehmen! Das nennt sich dann lachhaft „Demokratie“ in Europa!

    Tatsächlich ist es genau das, was man vor Jahren bereits als „Eine-Welt-Regierung“ bezeichnet hat, denn um das alles perfekt zu machen, stülpt man jetzt noch die WHO oben drüber!

    Somit lautet die Befehlskette in naher Zukunft, aber auch schon heute:
    Unbekannte Milliardäre an der Spitze über WHO über EU-Kommission über EU-Parlament über Landesregierungen! Der Bürger darf noch alle 4 Jahre die machtlosen Landesregierungen wählen. Er hat 0,00% Einfluss auf die tatsächliche Politik! Das nennt sich auch Scheindemokratie! Wahlen dienen nur noch zur Beruhigung der meist unpolitischen und unwissenden Bürgern, denn in Brüssel wird die Macht über Europa ausgeübt, während Brüssel ebenfalls nur noch ein Befehlsempfänger von einer noch höheren Instanz ist!

    So etwas wie „Wagenknecht-Partei“ oder dergleichen ist dann nur noch ein Schauspiel, um die Bürger weiter zu unterhalten, während man ihnen im Verborgenen sie weiter enteignet und ihnen die Freiheit beschneidet! Willkommen in der neuen Weltordnung!

  4. Jurgen 1. November 2023 at 12:57Antworten

    Schon wieder neue Betrugspapiere a la ETFs und iShares, nur bisher erstmal noch völlig ungedeckt durch Anlegergelder… Wer es halt braucht, sein sauer verdientes, privates Geld in eine Einbahnstraße ohne Wendehammer zu verleihen, ist selbst Schuld…

    Gold, Silber und andere Edelmetalle, Saatgut, Treibstoffe, Energie- und Maschinenanlagen aller Art haben einen realen Wert! Digitales Papier hat keinen Wert, es existiert nur als Idee, aber nicht in der Realität, weil der „Schuldner“ nicht regessierbar ist…

  5. suedtiroler 1. November 2023 at 12:04Antworten

    „Vom Standpunkt der EU-Kommission und EZB ist WHO-erklärte, sog. “Corona-Pandemie” nahezu eine Art “Gottesgeschenk”.“

    Na klar, ein “Gottesgeschenk”
    War ja nicht so als ob SARS-Cov2 im Labor erschaffen wurde.
    Und kurz vor „Ausbruch“ fand der Event201 statt.
    Die EUdSSR ist pleite so wie der Rest des Westens, und überall will man mehr Macht über die Untertanen. Das Geschenk haben die sich schon selbst gemacht.

    • Jurgen 1. November 2023 at 13:03Antworten

      Corona heißt doch schon vom Wort her, dass es die „Krönung“ ist!

    • Hasdrubal 1. November 2023 at 17:06Antworten

      Wenn man Bill Gates und Soros als eine Art Gottende*Innen betrachtet, dürfte die Aussage doch stimmen?

      Ein Medium aus Rom 3.0 schrieb gestern über eine Rede Putins über den globalen Kampf gegen westliche Oligarchen, der gerade am Dnepr ausgetragen wird – auch für die Freiheit Palästinas. Leider sagte er nichts über die Freiheit Europas, die sich ebenso von der korrupten Union der US-Vasallen befreien dürfte.

  6. SDMS 1. November 2023 at 11:48Antworten

    Solange eine Schwerstverbrecherin wie Von der Lügen die EU leiten darf, anstatt auf der Stelle verhaftet zu werden, können wir uns sicher sein, nicht in einer Demokratie zu leben.

  7. Unglaublich 1. November 2023 at 11:31Antworten

    „Am Ende dieses Beitrags angelangt, ist hoffentlich klar ersichtlich, worum es im Augenblick geht“

    Um unser Steuergeld und deren Machterhalt

    • EMF 1. November 2023 at 13:35Antworten

      Darum ging es immer. Wer selbst nichts erwirtschaftet, muß vom Geld anderer Leute leben.
      So jemanden bezeichnet man für gewöhnlich als Schmarotzer.

      • Jurgen 2. November 2023 at 0:00

        Schmarotzer ist zu wenig deutlich – Zecken trifft es besser bzgl. des Aussaugens… allein es gibt mindestens 10% Zecken in Deutschland, die in den „staatlichen Diensten“ und nochmal 40% Zecken über das Bürgergeld, alles wird bezahlt von den Steuern des Mittelstandes, den man loswerden will und inflationiert… Wo das in etwa hinführt ist jedem klar: großer Neustart!

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