Deutsche Wirtschaftsforscher verfassen Schmierenstück zu Intensivbetten

15. Juli 2023von 7,7 Minuten Lesezeit

Wirtschaftsforscher wurden beauftragt, die Belegung der Intensivbetten im Herbst 2020 im Hinblick auf die besonderen, damaligen gesetzlichen Regelungen zu untersuchen. Offenbar war die Vorgabe keine Hinweise auf „strategisches Berichten“ zu finden. Die Autoren versuchten verzweifelt, dem zu entsprechen und begingen zahlreiche kritische Fehler. Das sinnvollste wäre, wenn dieser Artikel zurückgezogen würde.

Das Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, gemeinhin als ZEW bzw. durch seinen ZEW-Index bekannt, bezeichnet sich selbst als der „Ort für alle, die sich für Wirtschaft und Wissenschaft interessieren“. Dies hinderte das Institut aber nicht daran, sich in der C19-Krise an Diffamierungskampagnen auf Basis abwegiger Untersuchungen zu beteiligen. So kam von dort ein „Diskussionspapier“, das im Nachgang zur Leipziger Anti-C19-Demo im November 2020 behauptete, dass Demoteilnehmer, dort „Coronaleugner““ genannt, die damaligen Inzidenzraten in die Höhe getrieben hätten.

Obwohl dieser Artikel heftigst kritisiert wurde, mochte das ZEW diesen Artikel nicht zurückziehen. Kunststück … der war auf der Homepage des Instituts veröffentlicht worden und niemals in einem wissenschaftlichen Journal, wo der Artikel vermutlich nie angenommen worden wäre – und wenn, dann eine Rückziehung kassiert hätte.

Aber für den Zweck, als Stichwortgeber für willigen Mainstream-Journaille zu dienen, allemal hinreichend.

Das Diskussionspapier des ZEW

Nun kam aus diesem Hause ein neues Diskussionspapier, oder um es vorwegzunehmen, ein schlimmes Machwerk, zu Intensivbettenkapazitäten in Deutschland im Herbst 2020.

Hintergrund war, dass die deutsche Bundesregierung meinte, einen Bonus für freie Intensiv(ITS)-betten ausloben zu müssen. Ab dem 17. November 2020 konnten Krankenhäuser demnach Bonuszahlungen erhalten,

  • wenn das Krankenhaus zuvor vom Kreis „bestimmt“ worden war,
  • wenn der sogenannte Inzidenzwert über 70 pro 100.000 Einwohner im Kreis lag,
  • wenn die Auslastung im Kreis mindestens 75% betrug.

Je mehr freie Betten über der 75% Auslastung, desto höher die Bonuszahlungen.

Nun ist aber bekannt, dass Marktteilnehmer, hier also Krankenhäuser, dazu neigen die zu meldenden Zahlen so zu beeinflussen, dass Bonuszahlungen möglich werden. Das wird beschönigend als strategic reporting bezeichnet.

Seinerzeit gab es viele Autoren, die diese Umstände schon frühzeitig aufgriffen. Diese Umstände hielten sogar Einzug in die Mainstream-Medien und selbst Lauterbach und der Bunderechnungshof kritisierte die Regelungen der Bundesregierung wie auch das Verhalten der Krankenhäuser.

Bei so validen Gegenargumenten und Publizität könnte man es als gewagtes Unterfangen werten, dass das ZEW sich überhaupt hergab, die Krankenhäuser nun zu exkulpieren. Es wird also gute, sprich finanzielle, Argumente gegeben haben. Man munkelt von einer halben Million Euro.

Tatsächlich behaupteten die ZEW-Autoren in der Schlussfolgerung:

We find no evidence of strategic reporting … (Wir finden keine Hinweise auf strategische Berichterstattung …)

Ich wurde nun gebeten, dieses Diskussionspapier zu begutachten:

Gutachten-ZEW 23-012_2023-07-14

Dieser ZEW-Artikel enthält eine kaum mehr überschaubare Menge an schweren und kritischen Mängeln. Selbst ein einziger kritischer Mangel würde zur Ablehnung im Peer Review-Prozess eines wissenschaftlichen Journals führen.

Essentiell ist, dass die Schlussfolgerung, nämlich dass es angeblich keine Anhaltspunkte für „strategisches Berichten“ gab, unhaltbar ist. Außerdem widersprechen sich die Autoren sogar selbst, denn nach ihrem angeblichen Befund zum „Ob?“, wonach es kein strategisches Berichten gab, hätten sie die weiteren Analysen („Wie?“) gar nicht mehr machen sollen. Machten es dennoch.

Aus den damaligen Regeln ergibt sich vor allem, dass die Auslastung ab dem 17. November 2020 kaum mehr unter die Marke von 75% fallen sollte. Mithin sollte die Datenstruktur sich ungefähr ab Einführung dieser Regeln verändert haben.

Wie war es tatsächlich?

Aus mir zugänglichen Daten habe ich folgende Abbildung angefertigt. Es ist leicht zu erkennen, dass mit Einführung jener Regeln es zu einer erheblichen Verzerrung der Datenstruktur kam. Warum wohl zeigten die ZEW-Leute nichts dergleichen?

  1. Auslastung auf ITS in Deutschland
    Monatswerte. Datenquelle: Rainer Hagemann

Mit den obigen Überlegungen hätte man einfach eine Analyse auf Basis der kategorisierten Daten, also Meldungen mit Auslastung <75% und ≥75% anfertigen können bzw. müssen. Also ein Vergleich der Vor-Regel-Phasen (September, Oktober) mit den Regelphasen, am Besten genau ab dem 17. November 2020. Mir standen leider keine Tag-genauen Daten zur Verfügung, sondern nur die Monatswerte, die eine wesentlich geringere Trennschärfe aufweisen.

Wenn der Unterschied dennoch erdrückend ist: Umso mehr ist ein signifikanter Unterschied ein Beweis für „strategisches Berichten“. Die Ergebnisse für die Monatswerte waren:

  • September 2020 (66,6%) vs. November 2020 (49,5%), p <0,00001 (X² = 715)
  • September 2020 (66,6%) vs. Dezember 2020 (31,7%), p <0,00001 (X² = 2941
  • Oktober 2020 (63,8%) vs. November 2020 (49,5%), p <0,00001 (X² = 503)
  • Oktober 2020 (63,8%) vs. Dezember 2020 (31,7%), p <0,00001 (X² = 2530)
  • Anteil <75% in Klammern, Chi-Quadrat-Test mit Yates Korrektur-
    Bei allen X² Werten > 18,44 gilt p <0,00001. 3- und 4-stellige X² Werte sind erdrückend.

Solche Analysen sind höchst robust. Es liegt auf der Hand, dass die Autoren sich genötigt sahen, an solchen Fakten vorbeizuschauen.

Mithin waren alle Vergleiche der Vor-Regel-Phasen mit den Regelphasen höchst signifikant. Schon damit kann als erwiesen gelten, dass ab November 2020 „strategisches Berichten“ vorlag. Dies widerspricht fundamental den Schlussfolgerungen der Autoren.

Was untersuchten die Autoren?

Warum die Autoren eine gegenteilige Aussage trafen, kann man, wie angedeutet, durch finanzielle Interessen, aber auch sachlich beantworten. Die Autoren schifften nämlich stets um die Frage des zeitlichen Zusammenhangs herum und konzentrierten sich auf das Überschreiten des „Inzidenzwertes“ von 70 pro 100.000 Einwohner im Kreis. Diese Frage spielte aber keine wichtige Rolle:

  1. Am 18. November 2020 lagen bereits 354 von 411 Landkreisen über dieser Grenze (DIVI Datenanalyse der Landkreisdaten, R. Hagemann). Bei den entsprechenden Krankenhäusern kam es also nur auf den Stichtag 17. November an.
  2. Einige Krankenhäuser waren per se von den Ausgleichszahlungen ausgeschlossen.

Analysen zum Überschreiten des Inzidenzwerts waren also nice to have, aber irrelevant für die Fragestellung „Ob?“.

Tatsächlich taten die Autoren alles, damit niemand schon am Zeitverlauf die Unsinnigkeit der Schlussfolgerungen in Frage stellen konnte. Dabei gab es sogar ein Kapitel zum Faktor Zeit (dort 4.5.2), in dem allerdings ein Kernsatz verschwurbelt wurde, um eben eine solche Analyse gar nicht zeigen zu müssen. An anderer Stelle zeigten die Autoren eine Analyse der Datenstruktur, aber nur für die Vor-Regel-Phase, die Gegenüberstellung zur Regelphase wäre essentiell gewesen.

Die Autoren fokussierten sich zudem bei der Analyse der Inzidenzwertes auf ein Modell namens „two way fixed effects (TWFE)“, welches recht beliebt bei Wirtschaftwissenschaftlern und im Prinzip in der Lage sein sollte, gewisse Antworten zur Frage „Wie konnte man manipulieren“ zu liefern. Die Autoren deuten die schwachen Befunde dann um: Da ist nichts, deshalb auch kein Effekt der Regeln. Dabei wäre das TWFE-Modell vermutlich überhaupt nicht sinnvoll anzuwenden gewesen, denn dieses Modell erfordert eine homogene Datenstruktur, was gerade hier gar nicht gegeben war.

Ein Schmankerl

Ein besonderes Schmankerl gibt es im zweiten Teil der Schlussfolgerung:

… at an economically meaningful and hence empirically detectable scale. (… in einem wirtschaftlich sinnvollen und damit empirisch nachweisbaren Umfang.)

Gewiss, des ZEW führt Wirtschaftsforschung im Namen. Allerdings betrachteten die Autoren in ihren Auswertungen nirgends eine ökonomische Fragestellung. Lediglich in der Einleitung wird allgemein der Bericht des Bunderechnungshofes zitiert, der aber diesen Regeln anhand der Zahlungen hohe wirtschaftliche Bedeutung beimaß; also auch hier das Gegenteil dessen, was die Schlussfolgerung behauptet. Tatsächlich ergab sich aus den Analysen des Bundesrechnungshofes, dass 10 Milliarden Euro aufgewendet wurden, um Krankenhäuser zu unterstützen und Intensivbetten auszubauen, dass aber ein Kapazitätszuwachs nicht gegeben war.

Auch das

and hence (und daher)

ist nicht weniger fragwürdig, weil es eine Umkehrung der Untersuchungen suggeriert.

Diese seltsamen Formulierungen geben Anlass zu Überlegungen, wie diese überhaupt zu Stande kommen konnten. Ich kann es mir nur so vorstellen: Eine besonders mächtige Person sollte das finale Plazet geben und hat bei dieser Gelegenheit diese Ergänzungen eingefordert. Offensichtlich hatte diese Person den Artikel nicht gelesen oder verstanden, sich aber gedacht, ZEW hat etwas mit Ökonomie zu tun und daher diese Attribute eingesetzt. Ebenso wie die Logikverdrehung mit „and hence“.

Offenbar ist diese Person derart mächtig, dass die Autoren sich nicht trauten, diese Korrektur nochmals zu redigieren.

Jeder Artikel mit falscher oder irreführender Schlussfolgerung muss zurückgezogen werden und darf nicht mehr zitierfähig sein, es sei denn als abschreckendes Beispiel.

Die wichtigsten, d.h. kritischen Mängel

  • Die Autoren hielten sich nicht an die eigene Vorgabe, zunächst das „Ob“? und nur wenn ja, das „Wie?“ zu untersuchen.
  • Die Darstellung der Regeln für Bonuszahlungen ist in jeder Hinsicht ungenügend.
  • Es fehlen sinnvolle Überlegungen zur Auswirkung der Regeln auf die Datenstruktur.
  • Die deskriptive Beschreibung der Daten ist ungenügend.
  • Bestimmte Häufungen wurden nicht näher untersucht.
  • Es fehlt jeglicher Vergleich der Regelphase mit der Vor-Regel-Phase. Dadurch konnte das „Ob?“ nicht sinnvoll untersucht werden.
  • Die TWFE-Auswertungen sind in vielerlei Hinsicht ungenügend.
  • Die Schlussfolgerung „no evidence“ ist unhaltbar.
  • Die Attribute „economically meaningful“ in der Schlussfolgerung sind unhaltbar, weil gar nicht Gegenstand der Untersuchung.

Mein Dank geht an Raimund Hagemann für Anregungen und Daten.


Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wieder. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Dr. Hans-Joachim Kremer verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in der klinischen Forschung und ist als freiberuflicher Medical Writer tätig.


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3 Kommentare

  1. Max Stirner 17. Juli 2023 at 3:02Antworten

    Das Niveau nennt sich „rumgedruksen“

  2. Dorn 15. Juli 2023 at 10:01Antworten

    Geld Geld Geld regiert die Welt. Es leben die Lügner und Ignoranten, die ohne Quittung nicht davon kommen werden. Vergessen wird dass es für alles eine Quituung gibt.

  3. Fritz Madersbacher 15. Juli 2023 at 9:17Antworten

    Leibniz hätte mit diesen Scharlatanen, die seinen Namen missbrauchen, wenig Freude gehabt …

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