Vorbereitung in der Ukraine auf Worst-Case-Szenario

1. März 2024von 5,2 Minuten Lesezeit

Das ukrainische Geheimdienstkomitee bereitet sich auf das schlimmste Szenario vor: Friedensgespräche und die Absetzung von Selenski.

Was aus Sicht der herrschenden ukrainischen Elite und ihrer westlichen Herren als das Worst-Case-Szenario gilt, ist für den Rest der Welt das Best-Case-Szenario. Sollte Selenski abgesetzt und die Friedensgespräche sofort wieder aufgenommen werden, sobald Russland die Kontaktlinie durchbricht, könnte sich die NATO durch ihr Sicherheitsdilemma mit Russland nicht so sehr gedrängt fühlen, in der Ukraine konventionell zu intervenieren. Das würde das Risiko eines Dritten Weltkriegs durch Fehlkalkulationen verringern.

Maidan 3

Der ukrainische Geheimdienstausschuss warnte in einem aktuellen Telegram-Post vor dem schlimmsten Szenario. Dieses könnte im Juni eintreten könnte, wenn ein russischer Durchbruch über die Kontaktlinie (LOC) mit Protesten gegen die Wehrpflicht und gegen Selenski zusammenfällt. Die Proteste könnten mit wachsender Müdigkeit innerhalb der westlichen und ukrainischen Gesellschaften sowie zivil-militärische Spannungen in Kiew zusammen. Auch wenn diese nur „russische Desinformation“ seien, existieren sie aber trotzdem tatsächlich.

„Selenski versucht verzweifelt, potenziell bevorstehende Proteste gegen ihn präventiv zu diskreditieren“, und deshalb behauptete er Ende November, Russland habe sich verschworen, einen so genannten „Maidan 3“ gegen ihn zu inszenieren. Darauf hat sich der Geheimdienstausschuss in seinem Beitrag ausdrücklich bezogen. Die Warnung kommt zeitgleich mit der Meldung, dass Selenski plant, das Verfassungsgericht zu bitten, über die Abhaltung von Wahlen während des Kriegsrechts zu entscheiden, um seine Legitimität nach Ablauf seiner Amtszeit am 20. Mai zu erhalten.

In diesem türkischen Bericht wird auch erwähnt, dass „die Führer der Oppositionsparteien Petro Poroschenko und Julia Timoschenko die Bildung einer Koalitionsregierung vorgeschlagen haben, um eine Legitimitätskrise zu vermeiden“. Vom Chef des Nationalen Sicherheitsrates Danilow wurde das aber zurückgewiesen. Das Interessante an diesem Vorschlag ist, dass er zuerst von einem Experten des mächtigen Think Tanks Atlantic Council in einem Artikel, der Mitte Dezember in Politico veröffentlicht wurde, unterbreitet wurde, um genau diesen Zweck zu erfüllen.

Diese Erinnerung und der darauffolgende Vorschlag der beiden Oppositionsführer widerlegen die Vorstellung, dass die Zweifel an der Legitimität Selenskis allein auf „russische Desinformation“ zurückzuführen sind. Ebenso wie die jüngste Umfrage eines führenden europäischen Think Tanks vom Januar die gleiche Behauptung über die Kriegsmüdigkeit widerlegt. Der Europäische Rat für Auswärtige Beziehungen, der nicht als „pro-russisch“ bezeichnet werden kann, stellte fest, dass nur 10 Prozent der Europäer glauben, dass die Ukraine Russland besiegen wird.

Auf der anderen Seite des Atlantiks beweist die festgefahrene Situation im Kongress in Bezug auf weitere Hilfen für die Ukraine, dass solche Ansichten in den Hallen der Macht geteilt werden. Diejenigen, die diese Ansichten vertreten, wollen verständlicherweise nicht weiterhin hart erarbeitete Steuergelder in einen zum Scheitern verurteilten Stellvertreterkrieg stecken. Die westlichen Staats- und Regierungschefs insgesamt sind jedoch eindeutig in Panik über die jüngsten militärisch-strategischen Entwicklungen, die auf das Scheitern der Kiewer Gegenoffensive im letzten Sommer und den jüngsten russischen Sieg in Awdejewka folgten.

Deshalb debattierten viele von ihnen am Montag bei einem Treffen in Paris, an dem über 20 europäische Staats- und Regierungschefs teilnahmen, über eine konventionelle Intervention in der Ukraine. Der französische Präsident Macron sagte, dass dies nicht ausgeschlossen werden kann, obwohl es keinen Konsens in dieser Frage gibt. Sein polnischer Amtskollege bestätigte, dass dies der hitzigste Teil ihrer Diskussionen an diesem Tag war. Daraufhin haben alle anderen westlichen Staats- und Regierungschefs heftig dementiert und behauptet, dass sie dies niemals genehmigen würden, aber ihre Worte können nicht ernst genommen werden.

Schließlich könnte das Worst-Case-Szenario, vor dem der ukrainische Geheimdienstausschuss gewarnt hat und das er aktiv als rein „russische Desinformation“ zu diskreditieren versucht, sie zu einem konventionellen Eingreifen zwingen, um den Zusammenbruch des Staates und eine Katastrophe wie in Afghanistan in Europa abzuwenden. Es ist unwahrscheinlich, dass die NATO tatenlos zusieht, wenn Russland nach dem Durchbrechen der Kontaktlinie bis zum Sommer durch die Kriegsruinen marschiert, weshalb eine konventionelle Intervention nicht ausgeschlossen werden kann.

Sie wäre im Westen sehr unpopulär, wie die jüngste Umfrage der bereits erwähnten Denkfabrik und die anhaltende Blockade des Kongresses in Bezug auf die Ukraine-Hilfe zeigen. Aber das bedeutet nicht, dass die Elite es nicht tun würde, da sie die öffentliche Meinung bei der Formulierung ihrer Außen- und Militärpolitik nicht berücksichtigt. Dennoch wollen die Eliten die großen Proteste, die in Europa folgen könnten, vermeiden, aber sie könnten sie dennoch riskieren, damit ihr geopolitisches Projekt in der Ukraine nicht völlig vergebens ist.

Die Durchschnittsbürger außerhalb der Ukraine können den Lauf der Dinge nicht beeinflussen, aber die Menschen in diesem Land könnten eine historische Rolle spielen, wenn sie sich mit Unterstützung befreundeter Elemente in den militärischen Geheimdiensten, wie denen, die den ehemaligen Oberbefehlshaber Zaluzhny umgeben, auflehnen. Sie würden ihr Leben aufs Spiel setzen, da der SBU Dissidenten misshandelt, inhaftiert und tötet, doch sind offensichtlich genügend von ihnen dazu bereit, wie die verzweifelten Bemühungen des ukrainischen Geheimdienstausschusses, sie zu diskreditieren, zeigen.

Es ist noch zu früh, um vorherzusagen, ob sie sich auflehnen werden, und schon gar nicht in dem Ausmaß und für die Dauer, die für die Absetzung Selenskis mit Blick auf die sofortige Wiederaufnahme der Friedensgespräche erforderlich sind, da der von der CIA unterstützte SBU ihre Pläne durch die Verhaftung ihrer Führer (insbesondere derjenigen in den militärischen Geheimdiensten) vereiteln könnte. Wenn sie dies jedoch tun und dies mit dem Durchbruch Russlands durch die Kontaktlinie zusammenfällt, könnte dies rasch zu einem Ende dieses Stellvertreterkriegs führen, vorausgesetzt, es gibt befreundete Eliten, die bereit sind, auch ihr Leben zu riskieren.

Bild wikimedia


Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wieder. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer politischer Analyst, der sich auf den globalen systemischen Übergang zur Multipolarität spezialisiert hat. Er veröffentlicht auf Englisch auf seinem Substack-Blog. Auf Deutsch exklusiv bei TKP.


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13 Kommentare

  1. Jurgen 3. März 2024 at 14:34Antworten

    Das Worst-Case Szenario ist der Verlust der bereits vom Westen eingekauften 70% der (illegal privatisierten) ukrainischen Landflächen. Das Worst-Case Szenario pleitet wahrscheinlich mindestens einen der Hedges Blackrock, Vanguard bzw. Statestreet, lässt iShares und ETFs deutlich an Wert verlieren und könnte einen schwarzen Freitag an der Börse auslösen. Übrigens, ich würde vorher noch an das Aussteigen aus diesen Papieren denken…

  2. Andreas I. 1. März 2024 at 21:04Antworten

    Hallo,
    „Die Durchschnittsbürger außerhalb der Ukraine können den Lauf der Dinge nicht beeinflussen“

    Das können sie sehr wohl.
    Jeder Cent, der nicht in die USA-Ökonomie fließt, verkürzt die Kriege.

    • Hannes Mitterer 2. März 2024 at 13:42Antworten

      Andreas I.
      1. März 2024 at 21:04Antworten

      Russland erteilt seiner Luftwaffe ein vorläufiges Flugverbot in der Ost und Südukraine, zwecks Aufklärung der massiven Verluste von militärischem Fluggerät, der vorangegangenen Tage.
      Bin schon gespannt wer dafür bezahlen wird.

  3. Reinhard Hardtke 1. März 2024 at 16:15Antworten

    „Aber das bedeutet nicht, dass die Elite es nicht tun würde (Intervention in der Ukraine), da sie die öffentliche Meinung bei der Formulierung ihrer Außen- und Militärpolitik nicht berücksichtigt.“

    Zunächst einmal das. Desweiteren ist zu konstatieren, dass die Unterstützung und Befürwortung für die Ukrainehilfe und die einseitige Schuldzuweisung an Russland, eine reine Medienblase ist. Das deckt sich nicht ansatzweise mit der Realität und der Bevölkerungsmeinung. Die Befürworter der „harten Line“ in der Bevölkerung gegenüber Russland merken offenbar überhaupt nichts von der einseitigen und emotionalisierten Berichterstattung der Medien. Diese machen ihren Job genauso „gut“ wie damals Ende der 1930er. Es gibt auch keine Instanz mehr, an die man die vielen Verletztungen des Pressecodecs melden könnte. Die komplette Kette ist korrumpiert und auf Kriegskurs eingeschworen. Wer ausschert, verliert selbstredend seinen Job.

  4. Fritz Madersbacher 1. März 2024 at 14:59Antworten

    „Die westlichen Staats- und Regierungschefs insgesamt sind jedoch eindeutig in Panik über die jüngsten militärisch-strategischen Entwicklungen … Es ist unwahrscheinlich, dass die NATO tatenlos zusieht, wenn Russland nach dem Durchbrechen der Kontaktlinie bis zum Sommer durch die Kriegsruinen marschiert, weshalb eine konventionelle Intervention nicht ausgeschlossen werden kann“
    Im Gegensatz zur westlichen Kriegspropaganda ist es unwahrscheinlich, dass „Russland … bis zum Sommer durch die Kriegsruinen marschiert“ – das darf man dem Gottseibeiuns Putin des Tucker Carlson – Interviews durchaus glauben, er ist nicht so irrational wie seine durcheinandergeratenen westlichen Gegenüber. Den westlichen Kriegsherren jedoch ist tatsächlich nach dem Schwund ihrer Macht nicht über den Weg zu trauen. Verläßlich ist Eines: auf die „Kriegstüchtigkeit!“ ihrer (nachpandemischen) Bevölkerungen ist auf lange Sicht kein Pfifferling zu verwetten, und „Kolononialtruppen“ wie früher werden sie nicht mehr bekommen, nach ihren Rauswürfen in Afghanistan (USA) oder Afrika (Frankreich, EU). Die westlichen Kriegsherren müssen sich langsam auf ihre imperialistische Schwindsucht und Schrumpfung einstellen, das „Einigkeits“- und „geschlossene Stärke“ – Geschwafel wird immer lächerlicher …

    • Ulrich5411 1. März 2024 at 15:42Antworten

      Die Kontaktlinie steht seit Tagen unter höchstem Druck und die Ukrainischen Truppen ziehen sich zu Fuss zurück.
      Die Russische Armee belegt die Ukrainischen Stellungen mit gezieltem Dauerfeuer. Egal welche Waffengattung, in allen Bereichen x fache Überlegenheit.
      Die rus. Infanterie rückt erst ein, wenn alles zu Klump geschossen wurde UND nur noch eine Art ukr. Nachhut verbleibt.
      Abnutzungskrieg mit dem Ziel der Demilitarisierung, Entnazifizierung und einer Demilitarisierten Zone zum Schutz Russischer Gebiete.

      Col. McGregor und Kollegen prophezeien das seit Monaten und jetzt offenbart es sich wie von selber nach dem Fall von der letzten grossen Festung Avdeevka.

      Das Wort „Festung“ erinnert stark an die letzten Monate der Wehrmacht … heute bis zum letzten Ukrainer.

      Die Schuld des WerteWestens und seiner degenerierten sogenannten Eliten aus dem WEF-YGL Programm wächst exponentiell. Aber sie haben in ihrer meghalomanischen Arroganz keinen Plan B geschmiedet.

      2030 ist nach wie vor das Endziel

    • Hasdrubal 1. März 2024 at 15:55Antworten

      Im Gegensatz zur westlichen Kriegspropaganda ist es unwahrscheinlich, dass „Russland … bis zum Sommer durch die Kriegsruinen marschiert“

      Mit etwas Glück brechen bis zum Sommer ökonazistische Linien östlich des Dnepr. Revolutionen gibt es oft, wenn der Führer weg ist. Oft heißt es, Putin habe einem israelischen Politiker versprochen, Schnorrlensky zu schonen – da Israel gegenüber Russland sehr feindselig wurde, gilt das Versprechen noch?

    • Bernhard 1. März 2024 at 16:50Antworten

      Sehr richtig! Die Kriegstreiber wissen, dass sie nur verängstigte Menschen vor sich her treiben können. Leicht möglich sein, dass sie inzwischen selbst am meisten Angst haben.
      Wenn der abgabenfinanzierte Wolf in ORF 2 Nehammer dazu drängen will, an den 80% Neutralitätsbefürwortern vorbei Führung Richtung Krieg zu demonstrieren, ist das nur mehr jenseitig.
      Zum Glück suchen sich Schüler schon mit 13 von sich aus Leserbriefe aus, die den Krieg in Frage stellen. Speziell solche mit Migrations- und oft auch mit Kriegshintergrund setzen voll auf unsere Neutralität.
      Die Generation der Kriegstreiber ohne Kriegserfahrung wird hoffentlich bald ausgedient haben. Und sie werden dem Frieden nicht mehr im Wege stehen.

      • Fritz Madersbacher 1. März 2024 at 22:11

        @Bernhard
        1. März 2024 at 16:50
        „Wenn der abgabenfinanzierte Wolf in ORF 2 Nehammer dazu drängen will, an den 80% Neutralitätsbefürwortern vorbei Führung Richtung Krieg zu demonstrieren, ist das nur mehr jenseitig“
        Genauso ist es. Die Journaille ist ein Konzentrat von antineutralen NATO-Kollaborateuren und NATO-Narren. Das ist ein untrüglicher Hinweis auf die Gesinnung der (nicht gewählten) wahrhaft Herrschenden in Österreich, die schon längst auch formal und offiziell die Neutralität abschaffen wollen …

  5. Jan 1. März 2024 at 14:16Antworten

    Russland wird sicherlich nicht für die Tschernobyl-Ruine zahlen wollen. Europa kann sicher sein, dass Putin diesen Teil zB Polen umhängen wird. Leyden kann das dann als Sieg verkaufen.

  6. Georg Uttenthaler 1. März 2024 at 14:16Antworten

    Die Einpeitscher vergessen gerne zwei Sachen:
    1.) Putin lässt sich nicht in die Karten schauen und wird einen Teufel tun, gleich am Anfang die komplette Tastatur seiner Waffenorgel herunterzuspielen. Die morderne Technik ist noch gar nicht zum EInsatz gekommen und wird erst aus der Kammer geholt, wenn sie unbedingt gebraucht wird. Man spielt nicht den Joker als erste Karte aus. Putin ist Stratege.

    1a) Für die Einpeitscher des Krieges und vor allem die, die immer noch glauben, Russland bezwingen zu können, empfehle ich zu googeln „Stalin- Orgel“ und hört euch das Konzert mit Schalldämpfer an.

    Das ist die Vorbereitung auf das, was kommt, wenn wir unsere Kriegstreiber Bärbock und Flak Zimmermann samt Macron und Ampel nicht vorher in die Wüste schicken.

    2.) Putin hat den Finger näher am Roten Knopf, als uns lieb sein kann. Wenn der „russische Bär“ in die enge getrieben wird, wird erst einmal das modernere Zeugs ausgepackt, und wenn ihm die Nato dabei zu eng an die Unterwäsche rückt, dann drückt er den RK.
    Und all die Falken in Brüssel und Washington, denen freudig schon einer abgeht bei dem Gedanken an ihre Abfangstrategien, werden beim Durchrauschen der ersten Hyperschallraketen mit Atomsprengköpfen erstarren und erstaunt „Hoppala!“ rufen, wenn Millionen Menschen die Prophezeiungen der Deagel-Liste erfüllen.
    Langsam kann ich dieses Kriegsgebrüll und diese Todessehnsucht, ganz besonders aus der Ecke derer, die selbst Dienstverweigerer waren oder nie Dienst an einer Waffe machen…..wollten/mussten, nicht mehr hören. Sind die noch bei Sinnen? Haben die noch alle Tassen im Schrank? NEIN!!!

  7. George 1. März 2024 at 13:51Antworten

    Danke Andrew Korybko, dass Sie hier schreiben.

  8. suedtiroler 1. März 2024 at 13:02Antworten

    Mit dem Angriff Steiners wird das alles in Ordnung kommen!

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