Hamas veröffentlicht ersten Bericht seit Kriegsbeginn

24. Januar 2024von 5,4 Minuten Lesezeit

Nach mehr als vier Monate Krieg hat die Hamas ihren ersten Bericht veröffentlicht, der ihre Sicht auf den Konflikt und den 7. Oktober darstellt. 

Jahrelang war die Hamas kaum Beachtung wert. Auch dass islamistische Bewegung von Israel unterstützt worden war, interessierte niemanden. Dann, quasi über Nacht wurde die Hamas zur „neuen ISIS“. Damit wurde es auch zum politisch tabu, Stellungnahmen der „terroristischen“ Hamas wiederzugeben.

Der alte Konflikt….

Um ein kompletteres Bild rund um den Konflikt in Israel zu bekommen, braucht es aber auch die Stimme der Hamas. Diese hat nun zum ersten Mal seit Kriegsbeginn einen Bericht veröffentlicht, der die eigene Sicht der Dinge – selbstverständlich nicht frei von eigenem Interesse – wiedergibt. Das Dokument ist zweifellos mit Vorsicht zu genießen, aber ist ein wichtiges Dokument im aktuellen Konflikt. Denn es ist wichtig, die Standpunkte aller Seiten in einem Konflikt nachvollziehen zu können.

Hier eine kurze Zusammenfassung der 16 Seiten:

Der Bericht beginnt damit den Angriff, die „Operation Al-Aqsa-Flut, in ein einen größeren Kontext einzuordnen. Hier ein paar Punkte der Hamas:

Der Kampf des palästinensischen Volkes gegen Besatzung und Kolonialismus begann nicht am 7. Oktober, sondern vor 105 Jahren, darunter 30 Jahre britischer Kolonialismus und 75 Jahre zionistische Besatzung.

In diesen langen Jahrzehnten litt das palästinensische Volk unter allen Formen von Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Enteignung seiner Grundrechte und der Apartheidpolitik.

Leider haben die US-Regierung und ihre Verbündeten dem Leiden des palästinensischen Volkes in den letzten Jahren keine Beachtung geschenkt, sondern der israelischen Aggression Deckung gegeben.

Deshalb sehen wir die USA und andere westliche Länder als Komplizen und Partner der israelischen Besatzung bei ihren Verbrechen und beim anhaltenden Leiden des palästinensischen Volkes.

Israel zerstörte systematisch jede Möglichkeit, einen palästinensischen Staat zu gründen, durch eine breit angelegte Kampagne zum Bau von Siedlungen und zur Judaisierung der palästinensischen Gebiete im besetzten Westjordanland und in Jerusalem.

Laut der Hamas sei der „Western“ als Komplizen also mitverantwortlich für den Krieg und Israel nicht an einem Frieden interessiert. Und damit wird „die Operation Al-Aqsa-Flut am 7. Oktober“ begründet und legitimiert. Diese sei „ein notwendiger Schritt und eine normale Reaktion auf alle israelischen Verschwörungen gegen das palästinensische Volk und seine Sache“ gewesen.

…der 7. Oktober

Der zweite Teil des Dokuments befasst sich dann explizit mit eben jenen Ereignissen des 7. Oktobers. Die Darstellung weicht naturgemäß weit von jener des westlichen Mainstreams ab. So sagt die Hamas, dass die Operation sich gegen militärische Ziele und nicht gegen Zivilisten gerichtet hätte. Sei die Hamas für den Tod von Zivilisten verantwortlich gewesen, dann sei das eine indirekte Folget der Zusammenstöße gewesen.

Die Hamas im Originalton:

Die Operation „Al-Aqsa-Flut“ am 7. Oktober richtete sich gegen israelische Militäreinrichtungen und zielte darauf ab, gegnerische Soldaten festzunehmen, um Druck auf die israelischen Behörden auszuüben, damit diese im Rahmen eines Gefangenenaustauschs Tausende von Palästinensern freilassen, die sich in israelischen Gefängnissen befinden. Daher konzentrierte sich die Operation auf die Zerstörung der Gaza-Division der israelischen Armee, d. h. der israelischen Militärstandorte, die in der Nähe der israelischen Siedlungen im Gazastreifen stationiert sind.

Alle Kämpfer der Al-Qassam-Brigaden haben sich aus religiösen und moralischen Gründen verpflichtet, die Zivilbevölkerung, insbesondere Kinder, Frauen und ältere Menschen, nicht zu verletzen. Wir bekräftigen, dass der palästinensische Widerstand während der Operation völlig diszipliniert und den islamischen Werten verpflichtet war und dass die palästinensischen Kämpfer nur auf die Besatzungssoldaten und diejenigen zielten, die Waffen gegen unser Volk trugen. In der Zwischenzeit waren die palästinensischen Kämpfer darauf bedacht, keine Zivilisten zu verletzen, obwohl der Widerstand nicht über präzise Waffen verfügt. Wenn es überhaupt einen Fall gab, in dem Zivilisten ins Visier genommen wurden, so geschah dies zufällig und im Verlauf der Konfrontation mit den Besatzungstruppen.

Andere israelische Zeugenaussagen bestätigten, dass bei den Razzien der israelischen Armee und den Operationen der Soldaten viele israelische Gefangene und ihre Entführer getötet wurden. Die israelische Besatzungsarmee bombardierte die Häuser in den israelischen Siedlungen, in denen sich palästinensische Kämpfer und Israelis aufhielten, in klarer Anwendung der berüchtigten „Hannibal-Direktive“ der israelischen Armee, die eindeutig besagt, dass es „besser ist, eine tote zivile Geisel oder einen toten Soldaten zu haben, als lebend gefangen genommen zu werden“, um einen Gefangenenaustausch mit dem palästinensischen Widerstand zu vermeiden.

Die Behauptung, dass die palästinensischen Kämpfer Vergewaltigungen an israelischen Frauen begangen haben, wurde auch von der Hamas-Bewegung entschieden zurückgewiesen. In einem Bericht der Nachrichtenseite Mondoweiss vom 1. Dezember 2023 hieß es unter anderem, dass es keine Beweise für „Massenvergewaltigungen“ gebe, die angeblich von Hamas-Mitgliedern am 7. Oktober begangen wurden, und dass Israel diese Anschuldigung benutze, „um den Völkermord in Gaza anzuheizen“.

Am Ende des Textes artikuliert die Hamas ihre Forderungen:

  1. Die sofortige Einstellung der israelischen Aggression gegen den Gazastreifen, der Verbrechen und der ethnischen Säuberungen, die gegen die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens begangen werden, die Öffnung der Grenzübergänge und die Ermöglichung der Einreise von humanitärer Hilfe nach Gaza, einschließlich der Wiederaufbauwerkzeuge.

  2. Die israelische Besatzung rechtlich für das von ihr verursachte menschliche Leid gegenüber dem palästinensischen Volk zur Rechenschaft zu ziehen und sie für die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, die Infrastruktur, Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen, Moscheen und Kirchen anzuklagen.

  3. Die Unterstützung des palästinensischen Widerstands gegen die israelische Besatzung mit allen möglichen Mitteln als ein legitimes Recht gemäß den internationalen Gesetzen und Normen.

Journalist Thomas Fazi, der das Dokument auf seinem Blog behandelt hat, schreibt abschließend als Kontext:

„Machen Sie aus den obigen Ausführungen, was Sie wollen – und nehmen Sie sie, wie gesagt, mit Vorsicht zur Kenntnis. Ich beschränke mich auf die Feststellung, dass es etwas sehr Verrücktes hat, wenn sich (zumindest im Westen) als terroristisch eingestufte Organisationen wie die Hamas oder sogar Ansar Allah im Jemen auf internationales Recht und internationale Institutionen berufen, während die westlichen Nationen, die diese internationalen Rechtsinstitutionen geschaffen haben, sie systematisch missachten. Es gibt kaum ein aussagekräftigeres Beispiel für den Zerfall der vom Westen geführten Ordnung.“

Hier noch einmal der Link zum Bericht der Hamas.

Bild „Orthodox Jews with Palestinian Flags Supporting the Palestine Solidarity Campaign.“ by alisdare1 is licensed under CC BY-NC 2.0.

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9 Kommentare

  1. A-w-n-3 26. Januar 2024 at 13:58Antworten

    Nur 6 Kommentare von 5 Lesern – das Thema scheint nicht zu interessieren oder es überfordert. Hätte Herr Oysmüller doch titeln sollen a la ,Schock! Alle Morde, Vergewaltigungen, Geisselnahmen nun im Hamas Report – nur vom Mossad erfunden?‘

  2. A-w-n-3 25. Januar 2024 at 14:29Antworten

    Nochmal auf Wiki en nachgesehen, Quelle dort World Fact Book 2018. Da waren in Gaza 93.3% der Bevölkerung jünger als 55 (1-54) und 6.1% alter als 54. In der West Bank 92.4 % 1-54 und 8.2% älter. D.h. nimmt man 1967 als letzt territoriale Veränderung (auch im sog. ‚Hamas-Narrative‘ Report), und gegeben dass auch von den über 54 viele in Gaza und Westjordanland schon geboren wurden, nehmen wir mal 50% an, dann haben 97% der Bevölkerung von Gaza und 96.5 % der Bevölkerung des West Jordanlands nie ausserhalb dieser Gebiete gelebt, sondern sind dort schon geboren. Und die 3% bzw. 3.5% die von Ausserhalb gekommen war sind alle 55 oder älter. D.h. nur 3-3.5% könnten irgendwohin ausserhalb von Gaza oder Westjordanland zurückkehren, 96.5-97% nicht.

    Also, mir kommt da die Idee für eine salomonische Lösung (war der…der war ‚abgefallen‘) – wenn man noch 20 Jahre ‚rumbringt‘ und dann jedem das Recht einräumt, an seinen Geburtsort/Territorium zurückzukehren und zu leben, dann würde dies ergeben, dass Israelis und Palästinenser auf dem jeweiligen heutigen Territorium leben würden, ggf. mit Frage der jüd. Siedler. Fällt jemanden was besseres ein? Das ist wie gesagt nur eine Idee, ich bin ja ‚keine Partei dabei‘ und konnte jetzt nicht alles abwägen…aber hoffe die Leser werden es verstanden haben…

    …was ich sagen möchte, es ist eben jetzt nicht 1948 und nicht 1967, sondern 2023, und bald ist es 2040, also wenn man noch vorne schaut, wann könnte es denn eine Lösung geben. Und wenn man dann schaut, wer ist denn wo geboren, dann sieht das so aus…

  3. A-w-n-3 25. Januar 2024 at 13:07Antworten

    In der Presse wird dies als offizielles Hamas Dokument bezeichnet, mir scheint die Autorschaft nicht bewiesen. Ich habe es nur zur Hälfte gelesen. Merkwürdig ist, es beinhaltet keine eigene Darstellung der Ereignisse am 7.10. insb. was das Nova Festival, Angriffe auf Kibuzze, Geiselnahmen und sexuelle Übergriffe angeht. Es werden nur Zeitungsquellen zitiert, explizit und implizit. Keine neuen Infos. Dann heisst es dort an einer Stelle die Vergewaltigungen seien voll bestritten worden ‚including by the Hamas movement‘. Hier und auch sonst scheint es, als habe eine dritte Partei dies geschrieben und würde über unter anderem die Hamas schreiben. Die Hamas sei ausserdem nach einigen Kommentatoren gespalten in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Zielen, siehe zB auf voltairenet, werden sie eine gemeinsame Meinung haben und Erklärung geben? Dann wie auch Presse schon hinterfragt hat, wenn nur militärische Ziele angegriffen wurden, wie erklären sich die Angriffe auf die Kibbuzze und Geiselnahme von Privatpersonen incl. Senioren und Kindern? Schliesslich war auch der Jihad beteiligt.

    Ein politischer Vertreter des Jihad hatte es in einem Interview als bewussten zuvorkommenden Angriff bezeichnet. Wenn echt, dann würde zumindest auch die Hamas es als bewusste geplante Aktion verantworten. Während hier immer Kommentatoren waren, welche das Ganze nur als Make it happen on purpose oder reine Fabrikation der Israelis erscheinen lassen wollten. Auch TKP muss zur Kenntnis nehmen, Jihad und Hamas haben dies als eigene Aktionen dargestellt. Das die Reaktion darauf nicht deren Verantwortung sei, ist bezeichnent.

    Das heisst nicht, dass die Reaktion nicht verhältnismässig sein müsse.

    Ferner, im Dokument wird gesagt, 7 Mio Palästinenser würden auf eine Rückkehr in ihre von Israel besetzten Gebiete warten. Wie ich hier mehrfach mit Quellen gezeigt habe und es ist einfach nachzugoogeln: die palästinensische Bevölkerung hat eine abnormal hohe Wachstumsrate, vor 20 Jahren gab es nur die Hälfte, 20 Jahre davor ein Viertel von heute. Über 3/4 der Palästinenser ist in Gaza und im Westjordanland geboren und hat niemals ausserhalb dieser Territorien gelebt und kann dorthin nicht zurückkehren daher.

    Ausserdem wurden inzwischen Generationen von Israelis dort geboren, andere sind zugezogen. Soll deren Wohnrecht abgesprochen werden. Wo ist hier von einer ‚Lösung‘ die Rede?

    Das sind alles Fakten, nicht nur meine Meinung.

    Und Herr Oysmüller, ich warte immer noch auf Ihre Darstellung ‚Was die Hamas wirklich will‘ analog zu Ihrem Artikel über Israel, dachte Sie wollen ausgewogen berichten, besser als die Standardmedien. Übrigens sind auf Times of Israel die Israelischen Getöteten frei zugänglich und man kann deren Namen auch dann weiter googeln…(nachdem auf Haaretz hinter Bezahlschranke verschwunden mal), hat dies irgendjemand hier schon mal gemacht?

  4. Luc Boncoeur 25. Januar 2024 at 12:12Antworten

    Entschuldigung, aber wer sich auf die Hamas als Quelle beruft, darf sich nicht wundern, von mir eindeutig […] eingeordnet zu werden.
    Langsam reichts dann aber auch.

  5. Andreas I. 25. Januar 2024 at 11:22Antworten

    Hallo,
    das ist weitgehend plausibel, speziell was den 7. Oktober angeht. Allerdings kennt die Hamas doch die israelische Armee (z.B. „Hannibal-Order“) und die israelische Propaganda und wie das im USA-Imperium verankert ist, also wie das dann im Westen dargestellt wurde, war vorher klar.

  6. Wolfang Müller 24. Januar 2024 at 21:02Antworten

    Ihre ständige Parteinahme für die Hamas bzw. für die Feinde Israels lässt tief blicken. Damit sind rennen Sie im Kanzleramt und auch im auswärtigen Amt offene Türen ein.

  7. Daisy 24. Januar 2024 at 20:01Antworten

    Auf micht hats den Eindruck gemacht, als wäre der Grund für die Anschläge gewesen, dass I. einen Grund hat, sich zu rächen…

    • Andreas Müller 24. Januar 2024 at 20:25Antworten

      Das würde ja auch Sinn machen, wenn das hier stimmen würde:
      „dass (die) islamistische Bewegung von Israel unterstützt worden war“
      Dass Israel die Hamas unterstützt haben soll und die Hamas gleichzeitig nur die Interessen des „palästinensischen Volkes“ im Sinn hat, passt dagegen weniger gut zusammen.

  8. Fritz Madersbacher 24. Januar 2024 at 19:40Antworten

    „Middle East Eye“ (Eigenbeschreibung: ‚Founded in April 2014, Middle East Eye is an independently funded digital news organisation covering stories from the Middle East and North Africa, delivers independent and unrivalled coverage and analysis of the Middle East, North Africa and beyond) paraphrasiert folgende Passagen dieses Berichts:

    „Hamas does not wage a struggle against the Jews because they are Jewish but wages a struggle against the Zionists who occupy Palestine,“ it said.
    „Yet, it is the Zionists who constantly identify Judaism and the Jews with their own colonial project and illegal entity.“
    It added that Palestinians stood against injustice against civilians, including „what the Jews were exposed to by Nazi Germany“.
    „Here, we remind that the Jewish problem in essence was a European problem, while the Arab and Islamic environment was – across history – a safe haven to the Jewish people and to other peoples of other beliefs and ethnicities,“ it said.
    „We reject the exploitation of the Jewish suffering in Europe to justify the oppression against our people in Palestine.“
    The report added that armed resistance against occupation was legitimate under international law, and said that lessons in history showed that „resistance is the strategic approach and the only way to liberation and ending the occupation“.
    Elsewhere, the movement also said that it „categorically reject[ed]“ any international or Israeli plans for the future of Gaza that „serve to prolong the occupation“, and that Palestinians should decide their own future.
    (Published date: 22 January 2024)

    Dem ist wenig hinzuzufügen. Der Hamas-Bericht ist wesentlich glaubwürdiger als die erfundenen und ständig (auch kürzlich wieder) nachgeschobenen Propaganda-Fiktionen der verbrecherischen israelischen Regierung, die begierig von den diversen Medien und Revolverblättern aufgesogen und verbreitet werden. Er wird bestätigt durch die von Seiten der israelischen Propagandaspezialisten völlig unglaubwürdig und widersprüchlich kommentierten Bilder der zerstörten Kibbuz-Häuser und Autos der Festival-Besucher, sowie durch die vielen – jetzt unterdrückten und zensurierten – Augenzeugenberichte beteiligter Israelis. Es ist offensichtlich, dass eine erdrückende Mehrheit der Weltöffentlichkeit dem notorischen Lügner „Westen“ sowie seinem in einen Blutrausch geratenen Schützling Israel nicht mehr über den Weg traut. Und das wird schwerwiegende Folgen haben …

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