Mercosur-Abkommen schadet österreichischer Landwirtschaft – mit diesen Tricks will es die EU durchbringen

8. Dezember 2023von 6 Minuten Lesezeit

In Österreich haben sich zahlreiche Akteure – beispielsweise Arbeiterkammer, der ÖVP-Landwirtschaftsminister, Attac, oder Greenpeace gegen das geplante Mercosur-Abkommen positioniert. Politischer Widerstand kam insbesondere von der FPÖ. Trotz dieses Widerstands stand das Abkommen zwischen der EU und Mercosur, das bereits seit 1999 verhandelt wird, in diesen Tagen ohne öffentliche Debatte unmittelbar vor dem Abschluss.

Aufgrund des Widerstandes des neu gewählten argentinischen Präsidenten Javier Milei, der nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden wollte, muss nun jedoch weiter verhandelt werden. Aus juristischer Sicht ist bemerkenswert, wie versucht wird, nicht nur den Widerstand einzelner Mitgliedstaaten des Mercosur (wie insbesondere Argentiniens) zu umgehen. Auch das Vetorecht Österreichs im Europäischen Rat soll durch zwei „verfahrensrechtliche Tricks“ ausgehebelt werden. Dies verheißt nichts Gutes für die Rolle Österreichs in der EU.

Welche Konsequenzen hat das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur, und warum gibt es Kritik daran?

Mercosur ist die Abkürzung für „Mercado Común del Sur“ und bedeutet „Gemeinsamer Markt Südamerikas“. Vollmitglieder sind Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay.1

Auf der Grundlage des Mercosur-Abkommens sollen unter anderem Rindfleisch, Zuckerrohr, Futtersoja und Biosprit aus dem Mercosur noch billiger und in noch größeren Mengen in die EU importiert werden können (aufgrund niedrigerer Zölle bzw. Zollbefreiungen). Diese Produkte tragen allerdings zur Zerstörung von Wäldern und Ökosystemen in den Mitgliedstaaten des Mercosur bei, weil bei ihrer Produktion viel Anbau- und Weidefläche benötigt wird. Dazu werden große Teile des Regenwalds gerodet. Überdies erfolgt die Produktion unter massivem Einsatz von Pestiziden und Hormonen. Kurz gesagt läuft die Kritik darauf hinaus, dass das Mercosur-Abkommen zu einem Import billigerer Lebensmittel in die EU führt, die mit niedrigeren Umweltstandards produziert wurden und zu schlechteren Arbeitsbedingungen als in der EU. Dass dies für die österreichische Landwirtschaft massiv schädlich wäre, liegt auf der Hand.2

Umgekehrt würden aus der EU insbesondere Pestizide sowie Autos mit Verbrennermotoren günstiger bzw. in größerem Umfang in den Mercosur exportiert werden können.3 Diese Exportförderung für Verbrennermotoren sowie die Ausweitung der Weideflächen für Rinder in den Staaten des Mercosur kann man vor dem Hintergrund der EU-Klimapolitik wohl nur als Heuchelei bezeichnen.

Widerstand aus Argentinien ‑ warum soll das Freihandelsabkommen gerade jetzt durchgepeitscht werden?

Auch aus den Mercosur-Staaten gibt es von verschiedenen Gruppen wie Bauern oder Gewerkschaften Widerstand gegen das Mercosur-Abkommen. Der frisch gewählte argentinische Präsident Javier Milei ist angeblich auch dagegen, obwohl er als Wirtschaftsliberaler gilt. Daher soll Gerüchten zufolge das Abkommen noch vor dem Amtsantritt von Milei am 10. Dezember durchgepeitscht werden.

Insbesondere Deutschland und Brasilien machen Druck. In der EU hat andererseits Frankreichs Präsident Macron jüngst Widerstand angekündigt; daher hatten EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch die Reise zum Mercosur-Gipfel am 7. Dezember abgesagt.

Wie soll der Widerstand aus Österreich umgangen werden? Die „verfahrensrechtlichen Tricks“ der EU

Aufgrund eines Beschlusses im Nationalrat aus 2019, der von allen Parteien ‑ mit Ausnahme der NEOS – mitgetragen wurde, ist die österreichische Bundesregierung zur Ablehnung von Mercosur verpflichtet: „Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert, auf Europäischer Ebene alle Maßnahmen zu ergreifen, um einen Abschluss des Mercosur-Abkommens zu verhindern.“4

Der zuständige Bundesminister Martin Kocher ist also verpflichtet, im Europäischen Rat das Vetorecht Österreichs auszuüben – damit wäre mangels Einstimmigkeit im Rat der Abschluss des Mercosur-Abkommens gar nicht möglich, da der Abschluss dieses Abkommens nach Art. 218 Abs. 6 lit. a v des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) der Einstimmigkeit bedarf.

Hier kommen nun die „verfahrensrechtlichen Tricks“ der EU-Kommission ins Spiel: Statt des ursprünglich geplanten Gesamtabkommens, in dem nicht nur die Handelserleichterungen, sondern auch Umwelt- und Sozialauflagen enthalten wären, soll es ein „Splitting“ geben, also eine Aufteilung auf ein Handelsabkommen einerseits und ein allgemein politisches Abkommen (mit den Umwelt- und Sozialauflagen) andererseits. Das Handelsabkommen beruht auf Art. 207 des AEUV und kann daher mit qualifizierter Mehrheit im Rat beschlossen werden; das allgemein-politische Abkommen beruht auf Art. 218 AEUV und benötigt somit weiterhin Einstimmigkeit (weswegen es möglicherweise niemals abgeschlossen werden wird). Damit fallen auch die Umwelt- und Sozialauflagen „unter den Tisch“. Der zweite Trick wäre der Abschluss eines „vorläufigen“ Abkommens (Interim-Abkommen), das ebenfalls als Handelsabkommen gem. Art 207 AEUV bereits mit qualifizierter Mehrheit im Rat beschlossen werden kann.

Infolge dieser „verfahrensrechtlichen Tricks“ genügt daher eine qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat, sodass das Mercosur-Abkommen auch ohne die Zustimmung Österreichs – und vielleicht auch ohne die Zustimmung Frankreichs – durchgepeitscht werden könnte.

Wie kann sich Österreich gegen eine solche Vorgehensweise bei Mercosur wehren?

Der juristische Haken an der Vorgehensweise der EU-Kommission liegt daran, dass die Kommission weder für ein Splitting noch für ein Interim-Abkommen ein Mandat hat (was in einem von Greenpeace in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten überzeugend erläutert wird5).

Die Bundesregierung muss daher im Rat deponieren, dass sie gem. Art. 218 Abs. 11 AEUV ein Gutachterverfahren über die Vereinbarkeit des Mercosur-Abkommens mit EU-Recht initiieren wird, wenn das Splitting oder ein Interim-Abkommen kommen soll. Ist das Gutachten des Gerichtshofs ablehnend, so kann das Mercosur-Abkommen nur in Kraft treten, wenn entweder das Abkommen oder die EU-Verträge geändert werden.

Die Bundesregierung muss außerdem eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 1 und 2 AEUV vorbereiten um gegen ein gesplittetes Abkommen oder ein Interim-Abkommen vorzugehen. Gem. Art. 278 iVm Art. 279 AEUV muss die Bundesregierung außerdem einstweiligen Rechtsschutz beantragen.

Was politisch allerdings wirklich passieren wird, hängt von einer möglicherweise neuen Politik Argentiniens ab.

Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU – in Zukunft gar kein österreichischer Widerstand mehr möglich

Sollte die EU einen dieser „verfahrensrechtlichen Tricks“ anwenden, verheißt dies für die Zukunft Österreichs in der EU nichts Gutes. Auf EU-Ebene ist nämlich geplant, das Einstimmigkeitsprinzip im Rat abzuschaffen. Das Europäische Parlament hat sich bereits für dessen Abschaffung ausgesprochen. Damit hätte Österreich in Zukunft in der EU kein Vetorecht mehr, und die EU könnte über Österreich in allen Fällen genauso „drüberfahren“ wie sie es – vielleicht – beim Mercosur-Abkommen tun wird.

Referenzen

1 Die Mitgliedschaft von Venezuela ist derzeit suspendiert. Verschiedene Staaten wie Bolivien, Chile, Kolumbien, Ecuador und Peru sind mit dem Mercosur assoziiert.

2 Siehe zB https://greenpeace.at/hintergrund/eu-mercosur-abkommen-einfach-erklaert/ und https://www.arbeiterkammer.at/mercosur (unter diesem link ist auch eine Studie der AK zu finden).


Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wieder. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Univ.-Prof. MMag. Dr. Christoph Urtz, LL.M. ist Professor an der Universität Salzburg und Rechtsanwalt.


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1 Kommentar

  1. Hasdrubal 8. Dezember 2023 at 7:46Antworten

    @„Diese Produkte tragen allerdings zur Zerstörung von Wäldern und Ökosystemen in den Mitgliedstaaten des Mercosur bei, weil bei ihrer Produktion viel Anbau- und Weidefläche benötigt wird.“

    Als Oligarchen-Helfeshelfer (politisch korrekt: Helfeshelfende:innen) haben sich die Ökos für mehrere Generationen blamiert. Bitte mit Öko-Anliegen im nächsten Jahrhundert wiederkommen.

    Gegen billigen Rindfleisch habe ich nichts, sogar ganz umgekehrt. Her damit!

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