40 Jahre Revolution in Burkina Faso – Von Sankara zu Traoré

5. August 2023von 7,3 Minuten Lesezeit

Burkina Faso, eines der ärmsten Länder der Welt, ist wieder in den internationalen Blick geraten. Doch das war schon einmal so. Unter Thomas Sankara setzte das Land in wenigen Jahren historische soziale Reformen durch. 35 Jahre nach seiner Ermordung ist der westafrikanische Staat wieder am Boden, aber eine Generation versucht, Sankaras Fußstapfen zu finden. 

Am 4. Oktober 1983, gestern vor 40 Jahren, wurde Thomas Sankara zum revolutionären ersten Präsidenten von Burkina Faso. Bis dahin hieß das Land Obervolta, unter Sankara wurde Land in Burkina Faso umbenannt. Der Name bedeutet „Land der aufrichtigen Menschen“. Bis zu Sankaras Ermordung 1987, in die auch  CIA und der französische Geheimdienst involviert gewesen waren, setzte der ideologisch von Anti-Kolonialismus, Anti-Imperialismus und Panafrikanismus geprägte Präsident tiefgehende Reformen durch.

Das Land umgebaut

Innerhalb von vier Jahren konnte die Alphabetisierungsrate von 13 auf 73 Prozent erhöht werden. Um die Wüstenbildung zu stoppen, ließ er 10 Millionen Bäume pflanzen. Ohne ausländische Hilfsgelder setzte das Land Infrastrukturprojekte wie neue Straßen und Eisenbahnstrecken um. Frauen wurden in hohe öffentliche Ämter berufen und ermutigt, am öffentlichen Leben sowie am Staatswesen teilzuhaben. Genitalverstümmelung, Zwangsehen und Polygamie wurden verboten. Feudale Grundbesitzer wurden enteignet und das Land an Bauern übergeben. So stieg die Weizenproduktion innerhalb von drei Jahren von 1700 kg pro Hektar auf 3800 kg pro Hektar. Damit wurde Burkina Faso unabhängig von Nahrungsimporte. Sein eigenes Gehalt und jenes der Politiker wurde radikal gekürzt, die Mercedes-Dienstwagenflotte verkauft und mit gebrauchten Renaults ersetzt.

Heute ist Burkina Faso eines der unterentwickeltsten Länder der Welt (Platz 184 von 191 im „Human Development Index“). Das Land ist ebenso wie Sankara für Jahrzehnte aus dem internationalen Fokus geraten. Gerade ändert sich das nicht nur aufgrund der Spannungen in Niger.

Verantwortlich dafür ist vor allem Ibrahim Traoré, der seit September der Staatschef des Landes ist. Ebenso wie Sankara kam er durch einen Staatsstreich an die Macht. Ebenso wie Sankara versucht er, die (neo/post)-kolonialen Strukturen aufzubrechen. Er ist der jüngste Staatschef der Welt, laut Martin Sonneborn aktuell auch der „Smarteste“ des Planeten. In der Bevölkerung ist Traoré enorm beliebt.

Traoré gilt nicht als orthodox-marxistisch wie Sankara, doch sieht er sich klar in einer anti-kolonialen Tradition. Seine Rede auf dem Russland-Afrika-Gipfel vom 27.-28. Juli wurde viel beachtet. Auch in Bezug auf den Staatsstreich in Niger sagte er am Gipfel:

„Unsere Vorgänger haben uns eines gelehrt: Ein Sklave, der nicht in der Lage ist, seine eigene Revolte zu führen, verdient es nicht, bemitleidet zu werden. Wir bemitleiden uns nicht selbst, wir bitten niemanden, uns zu bemitleiden. (…) Das Problem sind die afrikanischen Staatsoberhäupter, die nichts zu den Kämpfen der Menschen beitragen, aber das gleiche Lied wie die Imperialisten singen, uns als Milizen bezeichnen und uns als Menschen bezeichnen, die die Menschenrechte nicht achten. Von welchen Menschenrechten ist die Rede? Wir sind beleidigt, es ist beschämend. Wir afrikanischen Staatschefs müssen aufhören, uns wie Marionetten zu verhalten, die jedes Mal tanzen, wenn die Imperialisten an den Fäden ziehen.“

Zum politischen Kurs

Am 2. Oktober 1983, also zwei Monate nach der Machtübernahme, hatte Sankara eine viel beachtete und lange Rede „zum politischen Kurs“ gehalten. Sie wurde anlässlich des Jubiläums von einer anti-imperialistischen Gruppe im Internet veröffentlicht. Die ganze Rede findet man hier.

Ein paar Auszüge:

„Nach 23 Jahren Neokolonialisierung sieht die Lage unseres Landes ganz knapp gesagt folgendermaßen aus: Paradies für die einen, Hölle für die anderen.

Nach 23 Jahren imperialistischer Herrschaft und Ausbeutung ist unser Land noch immer ein rückständiges Agrarland, in dem der landwirtschaftliche Sektor, der mehr als 90% der Erwerbsbevölkerung beschäftigt, lediglich 45% des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet und 95% der Gesamtexporte produziert. Einfacher gesagt: Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass in anderen Ländern die Bauern weniger als 5% der Bevölkerung ausmachen, nicht nur ihre eigene Ernährung, sondern die Versorgung des ganzen Landes sicherstellen und noch dazu riesige Mengen an landwirtschaftlichen Produkten exportieren. Bei uns hingegen leiden mehr als 90% der Bevölkerung trotz großer Anstrengungen unter Hunger und Nahrungsmittelknappheit und sind wie der Rest der Bevölkerung auf den Import von Agrarprodukten oder gar auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das damit geschaffene Ungleichgewicht zwischen Importen und Exporten trägt mit dazu bei, die Abhängigkeit unseres Landes vom Ausland zu vergrößern. Das entsprechende Handelsbilanzdefizit nimmt von Jahr zu Jahr spürbar zu. Der Deckungsgrad der Importe durch die Exporte beträgt ca. 25%. Um es deutlicher zu machen: Wir kaufen mehr im Ausland, als wir ins Ausland verkaufen; eine Wirtschaft, die so funktioniert, ruiniert sich allmählich selbst, sie steuert auf eine Katastrophe zu

[…]

Im Bildungsbereich gehört unser Land mit einer Einschulungsrate von 16,4% und einer Analphabetenrate von durchschnittlich 92% zu den rückständigsten Ländern überhaupt. Von 100 Bürgern können in Obervolta offensichtlich kaum 8 lesen und schreiben, in welcher Sprache auch immer.

Was den Gesundheitsbereich angeht, sind die Morbiditäts- und die Sterberate in unserer Subregion wegen der starken Verbreitung übertragbarer Krankheiten und der Mangelernährung mit am höchsten. Wie könnte die Lage auch weniger katastrophal sein, da bei uns bekanntlich auf 1.200 Einwohner ein Krankenhausbett und auf 48.000 Einwohner ein Arzt kommt?

Mehr als diese wenigen Fakten braucht es nicht, um das Erbe zu veranschaulichen, das uns 23 Jahre Neokolonialisierung, 23 Jahre einer Politik des totalen Versagens, hinterlassen hat. Die Lage könnte trister kaum sein; sie kann keinen Bürger Obervoltas, der sein Land liebt und ehrt, gleichgültig lassen.

Dabei hat unser tapferes, fleißiges Volk diese Verhältnisse nie hingenommen. Weil es verstand, dass es sich dabei nicht etwa um Schicksal, sondern um die Folgen einer ungerechten Gesellschaftsordnung handelte, die nur einer Minderheit zugutekam, trug es vielfältige Kämpfe aus, suchte Mittel und Wege, um diesen überkommenen Verhältnissen ein Ende zu setzen. Daher begrüßte unser Volk enthusiastisch die Gründung des Nationalrates der Revolution und die Augustrevolution als Lohn für die Anstrengungen und Opfer, die es gebracht hat, um die alte Ordnung zu stürzen und eine neue zu schaffen. Eine Ordnung, die geeignet ist, die Obervoltaer zu rehabilitieren und unserem Land einen festen Platz im Konzert der freien, prosperierenden, geachteten Nationen zu geben.

[…]

Die Geschichte unseres Landes wurde bis heute im Wesentlichen von den konservativen ausbeutenden Klassen bestimmt, deren Diktat auf der Kontrolle von Politik, Wirtschaft, Ideologie, Kultur, Verwaltung und Justiz beruhte.

Das oberste Ziel der Revolution besteht darin, die Macht aus den Händen der proimperialistischen Bourgeoisie Obervoltas in die der vereinigten Volksklassen zu legen. Das bedeutet, dass das nun ermächtigte Volk der von der reaktionären Allianz der proimperialistischen Klassen getragenen diktatorischen, volksfeindlichen Ordnung nunmehr seine demokratische Macht entgegensetzen muss.

Diese demokratische Volksmacht wird eine solide Basis für die revolutionäre Ordnung in Obervolta bilden. Die vordringliche Aufgabe dieser Volksmacht wird darin bestehen, die Staatsmaschine mit ihren Gesetzen, ihrer Verwaltung, ihren Gerichten, ihrer Polizei und Armee, die allesamt geschaffen wurden, um den egoistischen Interessen der reaktionären Klassen und Schichten zu dienen, vollkommen umzugestalten. Aufgabe der Volksmacht wird es sein, den Kampf gegen konterrevolutionäre Machenschaften zu organisieren, die auf die Rückeroberung des „verlorenen Paradieses“ ausgerichtet sind, und den Widerstand der Reaktionäre endgültig zu zerschlagen. Daher die Notwendigkeit und die Rolle der Komitees zur Verteidigung der Revolution als Instrument der Volksmassen zum Sturm auf die reaktionären Zitadellen der Konterrevolution.

[…]

Schließlich gilt es, die obervoltaische Revolution im Kontext des weltweiten revolutionären Prozesses zu verorten. Unsere Revolution ist ein integraler Bestandteil der globalen Bewegung für Frieden und Demokratie, gegen Imperialismus und jede Form von Hegemoniestreben.

Daher sind wir darum bemüht, unabhängig ihres jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Systems mit anderen Staaten diplomatische Beziehungen aufzunehmen, und zwar auf Grundlage folgender Prinzipien: gegenseitiger Respekt der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität und der nationalen Souveränität, gegenseitiger Nichtangriff, Nichteinmischung in Innere Angelegenheiten, Handel mit allen Ländern auf Augenhöhe und zum gegenseitigen Vorteil.

Unsere Solidarität und aktivistische Unterstützung gelten den nationalen Befreiungsbewegungen, die für die Unabhängigkeit ihrer Länder und die Befreiung ihrer Völker kämpfen. Unsere Unterstützung gilt insbesondere dem Volk Namibias unter Führung der SWAPO, dem Volk der Sahraoui im Kampf für die Wiedererlangung seines Staatsgebiets, dem palästinensischen Volk für die Erlangung seiner nationalen Rechte.

In unserem Kampf sind die antiimperialistischen afrikanischen Länder unsere natürlichen Verbündeten. Die Verständigung mit diesen Ländern ist wegen der neokolonialen Bündnisse auf unserem Kontinent unbedingt erforderlich.

Es lebe die demokratische Volksrevolution!

Es lebe der Nationalrat der Revolution!

Vaterland oder Tod, wir werden siegen!“

Bild „20211115_152543“ by faride311 is licensed under CC BY-NC-SA 2.0.

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3 Kommentare

  1. […] in de traditie van de orthodoxe marxist Thomas Sankara, een revolutionair die veertig jaar geleden de macht in het land greep. Hij was een militair, maar hij zag de nood en de ellende van het land en probeerde het te […]

  2. […] orthodoxen Marxisten Thomas Sankara, einem Revolutionär, der sich vor 40 Jahren in dem Land an die Macht putschte. Er war ein Militär, sah jedoch das Not und Elend des Landes und strebte an, es aus den […]

  3. Jurgen 5. August 2023 at 18:33Antworten

    Diese armen Menschen werden dauerhaft destabilisiert durch die gierigen kolonialen Interessen. Die Idioten sollen sogar ihre Militärs in USA haben ausbilden lassen und wundern sich, dass nationale Interessen so nachrangig umgesetzt werden.
    Radio Eriwan empfiehlt:
    Raus aus der Propagandaschleife der Kolonialmächte, die nur euer Bestes wollen. Das solltet ihr ihnen keinesfalls geben für’n’Apple&Ei.

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