
Der einsame Kampf des Bürgers gegen die Digitalisierung
Die Digitalisierung schreitet unaufhaltbar voran. Scheinbar. Ob bargeldlose Supermärkte mit Selbstbedienungskassen, die App-isierung, elektronische Patientenakte, Pass-Anträge oder sonstige Verwaltungsprozesse: Alles Mögliche wird momentan digitalisiert.
Und alles, was digitalisiert ist, steht – früher oder später – Datenkraken wie Palantir zur Verfügung, eine Entwicklung, die für kritische Menschen keine positive ist. Im Gegenteil – DSGVO hin oder her- schon jetzt weiß Palantir alles über uns, was wir zu irgendeinem Zeitpunkt im Internet hinterlassen haben.
Aber es gibt Menschen, die sich dagegen wehren. Es gibt diese Digitalisierungsverweigerer, die auf smartes Telefon verzichten und lieber intelligente Gespräche führen, die stur ihren analogen Weg gehen bzw. auch dann gehen wollen, wenn sie von Behördern in die digitale Welt gezwungen werden sollen.
Ich sprach mit Udo (Name geändert), den ich im Rahmen der Veranstaltungen zum 9.5.2023 in Berlin kennengelernt habe. Er lässt sich nicht so einfach in die digitalen Abläufe des Systems integrieren.
- Mayer, Peter F.(Autor)
Udo ist 1964 in der DDR geboren und hat Karosseriebau gelernt. 1992 – also kurz nach der Wende – hat er sich im Fahrzeughandel selbstständig gemacht und kam viele Jahre gut über die Runden. 2008 ging sein Geschäft aber aufgrund der Abwrackprämie den Bach runter. Sein Einkommen war nur noch minimal, er konnte seine Wohnung nicht mehr finanzieren und ging daher zum Jobcenter. Seitdem ist er auf diese finanzielle Unterstützung angewiesen, da er aus gesundheitlichen Gründen – schwere Allergien – viele Tätigkeiten nicht wahrnehmen kann.
Wie begann Dein Kampf mit den digitalen Formularen?
Als der Antrag auf die Weiterbewilligung des Bürgergeldes fällig war, erhielt ich vom Berliner Jobscenter ein Schreiben. Normalerweise bekomme ich ja gleich den neuen Antrag dabei mit zugesendet. Der war dieses Mal aber nicht mit dabei und es wurde mir geschrieben, dass es nicht zugeschickt wird. Ich soll das jetzt alles online machen, mir einen Account auf ihrer Seite anlegen. Es wurde ausführlich beschrieben, wie das geht und mit vielen Worten bejubelt, wie toll die neue Online-Formularwelt ist.
Im Schreiben gab einen QR-Code, damit man den Service aufrufen kann und den Hinweis auf die neue Jobcenter-App. Nur: Da ich aber keinen Computer und kein Handy besitze, ist es für mich schwer, das online auf die Reihe zu bekommen.
Da sind ja auch sensible Daten dabei, da möchte ich damit nicht ins Internetcafé gehen oder sonst wohin. Das muss doch vertraulich bleiben. Ich kenne mich damit auch nicht aus, bin auf Unterstützung dritter angewiesen – und das bei so persönlichen Daten – das wollte ich nicht.
Aber in dem Formular stand, „Die Online-Antragstellung ist unbedingt notwendig, damit Ihnen Bürgergeld ohne Unterbrechung weitergezahlt werden kann.“ Und ich bin auf das Geld angewiesen.
Und wie ging es dann weiter?
Ich habe versucht, irgendwie an dieses Formular ranzukommen und bin zum Jobcenter gegangen. Nur leider war da geschlossen und ich wurde ziemlich unhöflich abgefertigt. Man wollte mir nicht mal sagen, ob bzw. wann ich das bekomme. Ich solle einen Termin beantragen, war die einzige Auskunft, die ich bekam.
Ich habe mich dann um einen Termin bemüht und habe die Terminanfrage schriftlich eingereicht. Die bekamen also eine Anfrage mit der Bitte um einen Termin, bei dem ich mir das Formular dann abholen kann. Schließlich brauche ich es in Papierform. Das Ganze machte ich natürlich wie immer handschriftlich, da ich keinen Computer habe.
Dann bekam ich den Hinweis, dass es Partnerfirmen des Jobcenters gibt, die hier helfen. Ich soll mich dort melden und die übernehmen das dann für mich. Drei Firmen sind da wohl beauftragt, Leuten wie mir zu helfen. Also bin ich zu so einer Firma hingegangen. Das ist eine der Weiterbildungsfirmen, die sowieso schon mit dem Jobcenter zusammenarbeitet.
Da die Firma in der Nähe vom Jobcenter ist, bin ich hin und habe mich dort erkundigt. Die haben mir dann gesagt, dass sie ein Formular in ihrem Computer hätten, was sie dann zusammen mit mir dort am Bildschirm ausfüllen würden. Aber dafür muss ich dann noch einige Sachen mitbringen. Zum Beispiel die letzten drei Kontoauszüge, den letzten Bewilligungsbescheid und Informationen zu allem, was sich verändert hat. Das muss ja alles in das Online-Formular eingetragen werden.
Es gibt also Online-Formulare auch ohne persönliches Jobcenter-Konto?
Vermutlich. Die können das ja da mit mir in eine PDF-Datei eintragen, die sie dann ausdrucken. Dann würde ich es bekommen- also letztlich doch in Papierform- um es dann im Jobcenter abzugeben.
Daraufhin hatte ich die Idee, dass ich mit Hilfe einer Freundin mal im Internet auf der Jobcenter-Seite nachgucke, ob da vielleicht was zu finden ist und wir haben dort dann auf irgendeiner Seite die Formulare als PDF gefunden und ausgedruckt. Das teilt das Jobcenter allerdings den Kunden wie mir eben nicht mit in ihrem Schreiben- da stand ja nur die Möglichkeit des Online-Formulars in dem für mich angelegten persönlichen Account.
Jetzt bin ich dabei, die Sachen zusammenzusuchen und den Antrag fertig zu machen.
Also der Partner vom Jobcenter legt keinen Account an, sondern erfasst die Daten, druckt sie aus – und bekommt für diese Dienstleistung Geld?
Ja. Sie drucken es aus und der Antrag kann wie bisher in den Briefkasten geworfen werden, so wie ich es früher immer gemacht habe. Aber ich werde es nicht per Post schicken, sondern den Termin dazu nutzen, zu klären, wie es weitergehen soll, weil ich ja keinen PC habe.
Ich müsste erst einen kaufen. Das Geld habe ich natürlich nicht dafür. Selbst wenn er gebraucht ist, müsste er ja auch bedient werden. Und ob ich jetzt endlich einen Computerkurs bekomme, weiß ich auch nicht.
Warum endlich?
Ich hatte schon mal nachgefragt, ob das möglich ist. Das war schon 2015. Aber da sind die Computerkurse flachgefallen, weil ja so viele Sprachkurse gemacht wurden. Seitdem kam dann nichts mehr.
Hat Dir das Jobcenter irgendwelche Arbeitsangebote gemacht?
Ja, natürlich haben sie mir Angebote gemacht. Aber es war nie etwas dabei, was ich mit meinen gesundheitlichen Einschränkungen hätte machen können. Ich hatte mich ja selbstständig gemacht, um genau diesen Problemen aus dem Weg zu gehen.
Es gab einige Sachen die ich ausprobiert habe, aber es gab immer wieder Probleme mit meiner schweren Allergie.
Wie gesagt, den Computerkurs habe ich bis jetzt nicht bekommen. Und jetzt bin ich über 60, da interessiert es die beim Jobcenter wohl auch nicht mehr, was aus mir wird. Mal sehen, wie das jetzt mit der Digitalisierung weitergeht. Vielleicht kriege ich ja das Geld, um mir den Computer zu kaufen. Aber der sogenannte Service vom Jobcenter ist wirklich nicht erwähnenswert.
Das Jobcenter schickt den Antrag einfach nicht mit, informiert seine Kunden nicht darüber, dass man dieses Formular online zum Ausdrucken finden würde, sondern will einem de facto zwingen, sich ein Online-Konto anzulegen. Und dass sie fremde Firmen mit dem Ausfüllen und Ausdrucken beauftragen, verstehe ich überhaupt nicht.
Wieso?
Eigentlich ist es doch die Aufgabe des Jobcenters, Menschen wie mich zu betreuen. Aber durch diese Vorgehensweise wird wieder Geld an Fremdfirmen verteilt, die dadurch noch mehr verdienen. Dabei ist das doch Geld der Steuerzahler, mit dem man sparsam umgehen sollte.
Es ist so offensichtlich: Sie wollen die Menschen in die digitale Welt zwingen, ob die es wollen oder nicht. Es gibt sicher viele Menschen, die das toll finden. Aber darum geht es nicht. Wie machen das Menschen, denen die Sprache fehlt? Es muss für Menschen, die das nicht können oder nicht wollen, immer auch eine andere Möglichkeit geben. Bei Ausländern oder uns Bürgergeld-Empfängern tun sie sich – aufgrund der Abhängigkeit – natürlich leicht. Aber wie man sieht, noch gibt es Auswege. Man muss sie nur suchen und finden.
Du bist also ein Digital-Verweigerer?
Ja. Es geht um digitale Kontrolle und die muss ich nicht haben. Bis 2020 konnte ich sogar ohne Konto leben, bekam das Geld über einen Barscheck und die Miete wurde vom Jobcenter überwiesen. Aber um meine Fahrkarte zu einer Jobcenter-Maßnahme zu bekommen, musste ich mir ein Konto einrichten. Schon in der DDR wurde ich gedrängt, ein Konto einzurichten – obwohl ich das nicht wollte. Bis 1986 ging es noch mit Barauszahlung, dann gab es Kontozwang. Wofür? Schon damals wurden damit die Weichen zur digitalen Kontrolle gestellt, etwas, was ich schon damals abgelehnt habe.
Du verweigerst die digitale Kontrolle also schon lange?
Ja. Das kann man so sagen. Und ich werde weiterhin mein Möglichstes tun, mich nicht in die Hände von den Überwachungskonzernen zu begeben.
Firmen wie Palantir haben an Menschen wie Dir keine große Freude. Und das ist gut so. Danke!
Bild: David gegen Goliath, Gebhard Fugel (1863–1939)
Unsere Arbeit ist spendenfinanziert – wir bitten um Unterstützung.
Folge uns auf Telegram und GETTR
Verbrechen vorhersagen: Palantir bei der deutschen Polizei
Fordert Boris Reitschuster den Überwachungsstaat?
Ihre Vision, deine Zukunft: Doku über das kommende digitale Gefängnis
Es war ein Versuch von mir:
Wo ich mit Karte gezahlt habe, bekomme ich Werbung per Mail.
Bei Barzahlung nicht!!
Kritisch zu sein ist fraglos gut und Widerstand auch, aber wenn man sein eigenes Leben dadurch so massiv einschränkt, indem man so gut wie alles ablehnt? Was soll denn das bringen? Eine seltsame Form von Egoismus – natürlich auch berechtigt. Ein bisschen aber schon auch so, als würde man im 21. Jht. das Rad komplett ablehnen, weil es auch viereckig geht….nur halt äußerst schwer. Man muss das für sich selbst schon irgendwie sinnvoll austarieren dürfen. Die einen machen jeden Schmarrn mit, andere sind halt so…
Da wäre ich eher für eine nutzbringende Mitte. Irgendwann droht sonst die „Personenbetreuung“…und dann? Ist man wohl komplett irgendeinem Smombie ausgeliefert…
Die sogenannte meist uneruierbare Mitte hängt doch sehr von der Anzahl der sich wehrenden Bürger ab!