Die Bedeutung iranischer Luftschläge gegen Pakistan

17. Januar 2024von 6,6 Minuten Lesezeit

In der Nacht auf Montag griff der Iran Ziele im Irak und Syrien an. Sowohl US-Basen als auch der Mossad waren betroffen. Wenig später beschoss das Land Ziele in Pakistan. Es entsteht der Eindruck, dass der Iran Pakistan als eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung betrachtet, die der israelischen Spionagebasis im Irak und der ISIS-Basis in Syrien, die er ebenfalls nacheinander angegriffen hat, in nichts nachsteht.

Der Iran hat am Dienstag mehrere Drohnen- und Raketenangriffe gegen Stützpunkte der Terroristengruppe Jaish al-Adl (JAA) in der pakistanischen Grenzregion Belutschistan gestartet, um Vergeltung für den Angriff dieser Gruppe auf eine Polizeistation in der iranischen Grenzregion der Provinz Sistan und Belutschestan im vergangenen Monat zu üben- Damals sind elf Polizisten getötet worden. Dies geschah kurz nach den Angriffen auf eine angebliche israelische Spionagebasis in der irakischen Region Kurdistan und auf ISIS-Stützpunkte in Syrien im Rahmen der bisher umfangreichsten regionalen Anti-Terror-Operation des Iran.

Aufruhr in Pakistan

Pakistan reagierte, indem es „die unprovozierte Verletzung seines Luftraums“ verurteilte, bei dem laut pakistanischen Angaben zwei Kinder getötet und drei Mädchen verletzt wurden, und warnte, dass dies „schwerwiegende Folgen haben kann“, die „eindeutig auf das Konto des Irans gehen werden“. Man fügte hinzu, dass „es noch besorgniserregender ist, dass dieser illegale Akt stattgefunden hat, obwohl es mehrere Kommunikationskanäle zwischen Pakistan und dem Iran gibt.“ Pakistan betrachtet die iranischen Angriffe ganz klar als einen Bruch des bilateralen Vertrauens, aber Teheran hat seine eigene Seite zu dieser Geschichte.

Aus Sicht der Islamischen Republik war es vielleicht kein unglücklicher Zufall, dass der Terroranschlag der JAA im vergangenen Monat zur gleichen Zeit stattfand wie die Reise des pakistanischen Generalstabschefs Asim Munir in die USA. Denn damit wurde die seit langem vermutete Annäherung in den Beziehungen zwischen Pakistan und den USA bestätigt. Viele Beobachter gehen davon aus, dass der postmoderne Putsch gegen den ehemaligen Premierminister Imran Khan im April 2022 dazu geführt hat, dass die amerikanische Hegemonie über Pakistan in den fast zwei Jahren seither wieder gestärkt wurde.

Trotzdem war der Iran bestrebt, die pragmatischen Beziehungen zu Pakistan aufrechtzuerhalten und auszubauen. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass beide Länder Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO) sind und der Iran erst letztes Jahr ein vollwertiges Mitglied der SOZ (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) wurde, an der Pakistan seit 2017 in gleicher Funktion teilnimmt. Zu diesem Zweck versuchten die beiden, gemeinsame Probleme mit als terroristisch eingestuften Gruppen wie der JAA und der „Balochistan Liberation Army“ (BLA) in der größeren Subregion Belutschistan gemeinsam zu bewältigen.

Beide beschuldigen sich seit jeher gegenseitig, solche Gruppen mit Waffengewalt zu bekämpfen. Egal, ob als Teil ihres eigenen Sicherheitsdilemmas, das seit 1979 besteht, oder aus mutmaßlichen sektiererischen Gründen und/oder auf Geheiß Indiens und der USA in Bezug auf Iran bzw. Pakistan. Die Erwähnung dieser Anschuldigungen soll nicht dazu dienen, ihnen Glaubwürdigkeit zu verleihen, sondern lediglich dazu, den Leser über den Hintergrund der jüngsten Entwicklungen zu informieren. Dies ist wohl das heikelste Thema in den bilateralen Beziehungen, und das schon seit einiger Zeit.

Die militärischen Auswirkungen der iranischen Anti-JAA-Schläge in Pakistan sind jedoch weit weniger wichtig als die Optik und der Zeitpunkt. Man bekommt den Eindruck, dass Teheran seinen Nachbarn als ernsthafte Sicherheitsbedrohung betrachtet, die mit den israelischen Spionagebasen im Irak und den ISIS-Basen in Syrien, die es ebenfalls nacheinander angriff, gleichzusetzen ist. Da alle drei Anschläge zu einem Zeitpunkt erfolgten, als der jüngste Krieg zwischen Israel und der Hamas zu einem regionalen Stellvertreterkrieg zwischen Israel, den USA und dem Iran eskalierte, liegt die Vermutung nahe, dass Pakistan mit ihnen gegen Teheran verbündet ist.

Im größeren Kontext

Nichtsdestotrotz hätte der Iran versucht, den von Pakistan ausgehenden terroristischen Bedrohungen auf diplomatischem Wege zu begegnen, bevor er auf einseitige militärische Maßnahmen zurückgriff. Das deutet darauf hind, dass solche Bemühungen gescheitert sind oder als unzureichend angesehen wurden, wenn man bedenkt, was Islamabad zu tun versprach oder behauptete, bereits getan zu haben. Die iranischen Entscheidungsträger hätten nur dann so gehandelt, wenn sie der Meinung gewesen wären, dass Pakistan nicht in der Lage oder nicht willens war, die legitimen Sicherheitsinteressen ihres Landes zu gewährleisten, und dass die terroristische Bedrohung weiter zunahm.

Schließlich ist es keine Kleinigkeit, dass der Iran einen atomar bewaffneten „Major Non-NATO Ally“ (MNNA) der USA und ein anderes ECO-SCO-Mitglied einseitig angegriffen hat, obwohl es „mehrere Kommunikationskanäle“ zwischen den beiden Ländern gab, um diese Frage zu klären, so dass diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen worden wäre. Der Iran wusste, dass er Pakistan in den Augen des globalen Südens als „Schurkenstaat“ hinstellen würde, der möglicherweise sogar als amerikanischer Stellvertreter zur Unterstützung von Israels Hybridkrieg gegen den Iran agiert.

Aus innerpakistanischer Sicht könnten diese Angriffe die Streitkräfte diskreditieren, die nicht in der Lage waren, die Angriffe abzuschrecken oder abzufangen, weil sie in den letzten zwei Jahren aufgrund von Inkompetenz und/oder falschen Prioritäten gegen die Oppositionspartei PTI des ehemaligen Premierministers Khan vorgegangen sind. Was auch immer der Grund dafür sein mag, dass Pakistan diese Angriffe nicht abwehren oder abfangen konnte, die Öffentlichkeit könnte eine Antwort fordern, um die Integrität ihres Landes zu wahren, und damit eine gefährliche Eskalation riskieren.

Gegenseitige Schläge gegen von Islamabad als Terroristen bezeichnete Separatisten im Iran könnten von Teheran als falscher Vorwand für das israelisch-amerikanische Duopol benutzt werden, um das Land stellvertretend anzugreifen, selbst wenn Pakistan nur unbewohnte Gebiete angreift, sei es einseitig oder nachdem es dem Iran im Voraus einen Tipp gegeben hat. Der globale Süden wird eher mit dem Iran als mit Pakistan sympathisieren, wenn er gezwungen ist, sich zwischen ihnen zu entscheiden, da der Iran Palästina unterstützt, wie es die Mehrheit der Welt tut, während Pakistan eine MNNA der USA ist.

Ein größerer iranisch-pakistanischer Krieg ist jedoch unwahrscheinlich, da Pakistan riskieren würde, sich einer groß angelegten Offensive der in Afghanistan ansässigen und von Islamabad aus operierenden TTP-Terroristen auszuliefern. Indien könnte auch dazu verleitet werden, in Pakistan ansässige und von Delhi benannte Terroristen/Separatisten anzugreifen, wie es dies in den letzten zehn Jahren bereits einige Male getan hat, was Islamabad jedoch stets bestritten hat. Im zweiten Szenario könnte Pakistan jedoch ein nukleares Patt provozieren, so dass das erste Szenario wahrscheinlicher ist, da es nicht dasselbe tun kann, wenn die TTP es angreift.

Es könnte lange dauern, bis sich die iranisch-pakistanischen Beziehungen nach den jüngsten Ereignissen wieder erholen, wobei sich der Zeitrahmen noch weiter nach hinten verschiebt, falls Pakistan opportunistisch mehr militärische Unterstützung der USA gegen den Iran anstrebt. Das ideale Szenario wäre, wenn die Streitkräfte vorrangig Anti-Terror-Operationen gegen die JAA durchführen würden, aber daran scheinen sie nicht interessiert zu sein und haben diese Bedrohung vielleicht sogar nur deshalb weiter schwelen lassen, um einen iranischen Angriff zu provozieren, damit sie mehr Hilfe von Amerika anfordern können.

(Anmerkung TKP: Am Mittwoch hat Pakistan bekanntgegeben, seinen Botschafter aus dem Iran abzuziehen. Man behalte sich das Recht vor, auf die „illegalen Angriffe“ Teherans zu antworten, heißt es weiter. Zudem ist ein Bild von einem Treffen des iranischen Finanzministers und dem pakistanischen Premierminister am WEF veröffentlicht worden.)

Bild „Iran’s flag“ by blondinrikard is licensed under CC BY 2.0.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wieder. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer politischer Analyst, der sich auf den globalen systemischen Übergang zur Multipolarität spezialisiert hat. Er veröffentlicht auf Englisch auf seinem Substack-Blog. Auf Deutsch exklusiv bei TKP.


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4 Kommentare

  1. Jurgen 17. Januar 2024 at 16:44Antworten

    Dass Pakistan im Arsch der USA steckt ist schon länger klar. Alleine können die ihre Atomwaffen nicht in Schuß halten. Atombomben haben ein 50 Jahre Ablaufdatum nach dem der Kernbrennstoff wieder waffenfähig gemacht werden muss. Daher „modernisieren“ die USA auch die in der EU stationierten Atomwaffen…

  2. Hasdrubal 17. Januar 2024 at 13:38Antworten

    @„… dass beide Länder Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO) sind und der Iran erst letztes Jahr ein vollwertiges Mitglied der SOZ (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) wurde, an der Pakistan seit 2017 in gleicher Funktion teilnimmt. …“

    Daher wundert mich, dass beide Länder im gerade entscheidenden Kampf gegen das Woke Imperium um die USA nicht an einem Strang ziehen. Pakistan mag nicht reich sein, doch ob man „you will own nothing“ begehrt, wenn man nicht gerade zu den westlichen Oligarchen gehört?

    Bereitet das von den USA unterstützte Muslime-Abschlachten in Gaza den Pakistanis keine Kopfschmerzen?

    • Hasdrubal 17. Januar 2024 at 14:13Antworten

      Vielleicht ist den Leuten in Ländern wie Pakistan nicht klar, wieviel auf dem Spiel steht. Wenn die von den Globalen Psychos fest geplante Landwirtschaft-Zerstörung zum Hunger führt, wie viele Millionen oder gar Milliarden müssten sterben? Wie viele davon in Pakistan?

      Zugegeben, Länder wie Russland und China (vermutlich auch Iran) kommunizieren es nicht deutlich genug – es wird etwas über Geopolitik erzählt, aber stets Zuwenig, wie verheerend die Woke Kabale wirkt und noch wirken könnte. Westliche Oligarchen haben die letzten Bedenken und Hemmungen abgelegt, das sollte man glasklar realisieren. Verrückt, wer noch für kleine kurzfristige Vorteile mit der tödlichsten Bedrohung der Menschheitsgeschichte flirtet.

      Wenn der Artikelautor es lesen sollte – was meint er dazu?

    • Jan 17. Januar 2024 at 22:54Antworten

      Iran/Persien ist Chinas Öl.

      Wenn die Saudis den BRICS beitreten, verbleibt dem Westen nur noch der Irak – wenn überhaupt. NATO muss – MUSS – daher eines der Gebiete: Kaspisches Meer oder Iran „befreien“.

      Die Frage ist halt, wieviel Kooperationspartner Russland und China gleichzeitig verteidigen können.

      USA-Heimatland sind jedenfalls weit. Das ist ein strategischer Vorteil.

      Im Zweifel wird Russland Raketen auf Europa richten und die USA werden sagen: Europa? Brauchen wir nicht!

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