Von der Aufklärung zur Kontrolle: Die Kommerzialisierung und Politisierung der Wissenschaft

28. Februar 2025von 6,6 Minuten Lesezeit

Einst als unabhängige Berater der Politik gegründet, stehen RKI und PEI heute zunehmend unter wirtschaftlichem und politischem Druck. Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen – und welche Folgen hat das für die Gesellschaft?

Die Wissenschaft, wie wir sie heute verstehen, entstand im Zeitalter der Aufklärung und brach bewusst mit der stark durch die Kirche kontrollierten Gelehrtenkultur in Klöstern und Universitäten. Wissenschaft sollte frei sein, was vor allem bedeutete, dass ihre Ergebnisse nicht durch eine Elite oder Obrigkeit kontrolliert werden. Die Befreiung der Wissenschaft, die auch ein Ergebnis der Französischen Revolution ist, führte in einigen Ländern zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich in Phasen von industriellen Revolutionen zeigte. Ausgehend von England verbreitete sich die Einsicht, dass wissenschaftliche Ergebnisse aus unabhängiger Forschung zu enormen wirtschaftlichen Erfolgen führen können, wenn man sie industriell anwendet.

In Deutschland führte der Übergang von einer Gesellschaft, die auf Landwirtschaft und Handwerk basierte, hin zu einer Industriegesellschaft zu erheblichem Wohlstand und wirtschaftlichem Erfolg. Da Deutschland praktisch über keine nennenswerten Rohstoffe verfügte, war die Wissenschaft die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung. Sie lieferte das Wissen für neuartige Verfahren, mit denen importierte Rohstoffe veredelt und mit Gewinn verkauft werden konnten.

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts erkannte der preußische Staat, dass eine erfolgreiche Staatsführung nicht allein auf juristischen Prinzipien beruhen konnte, sondern wissenschaftliche Fakten und Bewertungen mit einbezogen werden sollten. Zu diesem Zweck wurden anfänglich entsprechende Kollegien gegründet und später staatliche Forschungseinrichtungen etabliert, die wesentlich zur positiven wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands beitrugen. Das Konzept der staatlichen Forschungseinrichtungen in Form wissenschaftlicher Behörden wurde auch in anderen Ländern übernommen. So wurde 1901 nach dem Vorbild der 1887 gegründeten Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in den USA das National Bureau of Standards (heute das National Institute of Standards and Technology) gegründet.

Schon zu preußischer Zeit gab es bei der wissenschaftlichen Beratung jedoch Schwierigkeiten, weil Fachleute in den Kollegien teilweise eigene Interessen verfolgten. Die neu gegründeten staatlichen Forschungseinrichtungen sollten dem entgegenwirken, indem die Fachleute beim Staat angestellt und somit an diesen gebunden wurden. Dies führte jedoch auch zu der gegenteiligen Entwicklung, dass die Fachleute politisch abhängig und von den Ministerien vereinnahmt wurden.

Die wissenschaftliche und technische Beratung der Politik ist für eine Industriegesellschaft ein wichtiger Faktor mit erheblichem Einfluss auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines Staates. Von Anfang an stellte die Sicherung der Unabhängigkeit dieser Beratung eine besondere Herausforderung dar.

Neben der Beratung in wissenschaftlich-technischen Fragen ist für die Politik die Beratung in medizinischen Fragen ebenso wichtig, da die moderne Industriegesellschaft zum einen besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt ist und zum anderen auf die Gesundheit der einzelnen Leistungsträger angewiesen ist. Daher wurden 1891 und 1896 das Robert-Koch-Institut (RKI) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gegründet, um Staat und Politik in Gesundheitsfragen zu unterstützen.

Das RKI konzentriert sich auf den Schutz der Bevölkerung vor Infektionskrankheiten, während das PEI sich um die Arzneimittelsicherheit von Impfstoffen, Blutprodukten und biomedizinischen Arzneimitteln kümmert. Beide Bundesoberbehörden haben den gesetzlichen Auftrag, die Politik unabhängig in Gesundheitsfragen zu informieren und führen hierzu wissenschaftliche Forschungen durch. Diese Unabhängigkeit ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern ergibt sich auch aus dem Grundgesetz, das die Freiheit der Wissenschaft festschreibt. Diese Freiheit wird nur durch die Begrenzung der wissenschaftlichen Forschungen auf den gesetzlichen Auftrag eingeschränkt, der für beide Behörden jedoch weit gefasst ist.

Für die Bevölkerung bildet die Unabhängigkeit dieser wissenschaftlichen Bundesober­behörden eine entscheidende Basis des Vertrauens in staatliche Entscheidungen und Bewertungen, da nur eine unabhängige Beratung sicherstellt, dass politische Entscheidungen so objektiv wie möglich und frei von privaten oder politischen Interessen erfolgen. Doch obwohl die Unabhängigkeit der Fachleute für die Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags zentral ist, gestaltet sich ihre Umsetzung in der Praxis oft schwierig. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Abhängigkeit der Institutionen von finanziellen Mitteln zur Erfüllung ihrer Aufgaben. In der Praxis wird die wissenschaftliche Freiheit und damit die Unabhängigkeit der Forschung mitunter finanziellen Interessen geopfert. In solchen Fällen könnte man von einer Art Korruption sprechen; wenn dies im Rahmen der Gesetze geschieht, handelt es sich um legale Korruption.

Finanzierung von Wissenschaft und Forschung durch die Industrie

In den letzten Jahrzehnten wurde es zunehmend als zulässig betrachtet und ist mittlerweile gängige Praxis, dass die Industrie oder deren Verbände Projekte der Bundesoberbehörden finanzieren oder zu deren Finanzierung beitragen. Besonders für das RKI und das PEI lässt sich dies nachweisen. So erhielt die Industrie Einfluss auf die Bundesoberbehörden, der sich der parlamentarischen Kontrolle entzieht. Da für die entsprechenden Verträge die privatrecht­liche Vertraulichkeit gilt, bleibt auch die öffentliche Kontrolle weitgehend ausgeschlossen, da der Zugang über Informationsfreiheitsgesetze verwehrt ist.

Auch die politische Einflussnahme auf die Bundesoberbehörden hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen und ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass die Politik die wissenschaftlichen Ergebnisse in einer Weise beeinflusst, die noch vor 20 Jahren vollkommen undenkbar war.

Damals bestand noch ein Konsens darüber, dass die grundgesetzlich verankerte Wissenschaftsfreiheit Weisungen fachlicher Art innerhalb der wissenschaftlichen Bundesoberbehörden oberhalb der Arbeitsgruppenebenen ausschließt. Obwohl die Gesetze seitdem praktisch unverändert geblieben sind, hat sich die Rechtsprechung erheblich gewandelt, was vielfältige Gründe hat.

Heute haben sich die Bundesoberbehörden, die einst für Politik und Öffentlichkeit objektive, vertrauenswürdige Informationen bereitstellten, zu Befehlsempfängern der Politik entwickelt, deren Informationen und Bewertungen im Zweifel vollständig politisch gesteuert werden können.

Die politische Einflussnahme erfolgt jedoch nicht durch privatrechtliche Verträge, sondern durch amtlich dokumentierte Vorgänge, die über das Informationsfreiheitsgesetz der Öffentlichkeit grundsätzlich zugänglich sind. So kann die Einflussnahme zumindest im Nachhinein nachvollzogen werden. Dies zeigt exemplarisch, wie wichtig die Informationsfreiheit für die Kontrolle staatlichen Handelns und die öffentliche Meinungsbildung ist – nicht nur für das RKI und das PEI, sondern für alle Bundesbehörden. Ein allgemeines Dienstgeheimnis für Bundesbehörden, so wie es lange Zeit etabliert war, würde dies untergraben und dazu dienen, die legale Korruption, wie sie bei privatrechtlichen Verträgen im Bereich der Drittmittel­förderung vorkommt, auch im Bereich der politischen Einflussnahme zu verschleiern.

Diese Entwicklung bei den Bundesoberbehörden spiegelt die Entwicklungen an Universitäten wider, die rund ein Jahrzehnt vorher dort stattgefunden hatte. Auch dort führte die breite Etablierung von Drittmittelförderungen und die Politisierung der Leitungsgremien zuerst zu wirtschaftlichem und dann zu politischem Einfluss auf die Professoren und deren veröffentlichten Ergebnisse.

Die Erosion der Unabhängigkeit als grundlegender Wert, der für die Vertrauenswürdigkeit wissenschaftlicher Institutionen entscheidend ist, ist in der Gesellschaft mittlerweile so weit fortgeschritten, dass Unabhängigkeit als Bedingung für den Erfolg in diesen Institutionen kaum noch erwartet wird. Die Unabhängige Geisteshaltung wird an Universitäten und bei den wissenschaftlichen Bundesoberbehörden nicht mehr als wertvolle Ressource, sondern als vermeintliche Bedrohung für den Staat angesehen. Selbst die Gerichte versuchen mehr und mehr, dabei zu helfen, diese scheinbare Bedrohung abzuwehren, was für den grundrechtlich verbrieften Schutz der Betroffenen ggf. fatale Konsequenzen haben kann. Eine kritische Haltung und Zweifel, selbst gegenüber dem Gegenstand der eigenen wissenschaftlichen Arbeit, sind bei Wissenschaftlern in diesen Institutionen zunehmend unerwünscht und unter Umständen nicht mehr möglich.


Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wider. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Dr. Rüdiger Kessel ist Wissenschaftler im Bereich Messtechnik und war rund 20 Jahre lang für wissenschaftliche Behörden in der EU-Kommission, in den USA und in Deutschland tätig.


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2 Kommentare

  1. local.man 28. Februar 2025 um 10:14 Uhr - Antworten

    Die Kommerzialisierung von etwas, ist in sogut wie allen Fällen für die Menschen ein Nachteil, wird aber als Vorteil dargestellt.
    Wenn etwas kommerzialisiert wird, dann bedeutet das nichts anderes, dass der Sinn und Zweck von etwas, hinter die Interessen des Geldes/Profits gestellt wird.
    Heute wohl zusätzlich noch zur Machtsicherung und Fremdherrschaft, denn Wissenschaft als Argument zu bringen, dient ja diesem Zweck ebenfalls.

    Die Auswirkungen sind in den meisten Fällen dann die Verschlechterung für die Menschen.
    Wenn ein Wasserwerk kommerzialisiert, was meistens mit Privatisierung einhergeht wird, dann wird die Quälität schlechter aber der Preis steigt.
    Wenn die Lebensmittel dem Kommerz unterworfen werden, bekommen wir eben Sägespäne als Erbeeren im Joghurt angedreht und bezahlen kräftig dafür.
    Wenn Computerrollenspiele kommerzialisiert werden, bekommen wir nur noch flache Grafik- und Aktionblender und die Spiele selbst sind substanzlose austauschbare und langweilige Einheitsware, um Profite mit minimalistischen Aufwand zu erhöhen, oder gleich mit Shops und als Service stetig Kohle rauszuziehen.

    In allen Fällen geht der eigentliche Sinn und Zweck verloren, oder wird eben nebensächlich.

    Da ist die Wissenschaft auch keine Ausnahme. Am Ende dient sie nicht mehr für das Wohl der Menschen, sondern wird als Waffe auf mehreren Ebenen eingesetzt.

    Daher dürfen bestimmte Teile des Systems niemals kommerzialisiert oder privatiert sein, wie Medizin, Lebensmittel, Energieerzeugung, Geldsystem, Bildung, Medien uvm.
    Die Grundlage des System müssen immer in der Hand der Menschen bleiben und für diese durch diese gesteuert und betrieben werden.
    Darüber hinweg, kann es ein Plündersystem geben, den man sich aber entziehen kann und zwar ohne Repressalien.
    Ein Whörlpool, ein Sportwagen, Schmuck, ein Schokoladeneis, der Aktionfilm im Kino oder ein Freizeitpark, können gerne kapitalistschen Interessen dienen. Die Wasserwirtschaft, die Brücken des Landes, das Krankenhaus und die Medizin dort, oder mein Mittagessen auf dem Tisch dürfen das nicht, weil ich dann in der Abhängigkeit stehe, nicht nein sagen kann und für immer weniger Wert immer mehr zahle, bis hin dazu, dass mich die Medizin eher krank halten will und mir alles für Profite abschneiden, die Brücken billigst erbaut werden oder gar nicht mehr richtig gewartet werden, die Rohre der Wasserleitung eher vergammeln als in Schuss gehalten werden, oder meine Hühnerkeule vergiftetes billigstes Chlorhuhn ist und der Orangenbaum gewürgt wurde zur Schnellreife gezwungen, genetisch verändert und total vergiftet ist..

    • Hans Petereit 28. Februar 2025 um 17:46 Uhr - Antworten

      Es geht hier nicht um die Qualität des „Service“, die durch eine Privatisierung auch nicht immer schlechter werden muss, sondern um die Kontrolle, die mit dem Geldfluss verbunden ist.
      Die USA und DE haben ähnliche Bundesbehörden. In DE bestimmt das vorgesetzte Ministerium über die Finanzmittel. In den USA hat die Behörde einen Haushaltstitel und das Parlament bestimmt darüber. Bei diesen Behörden kann nicht einmal der US-Präsident so wie bei USAID die Mittel kürzen, sondern nur der Kongress. Das verleiht diesen Bundesbehörden eine Autonomie gegenüber der Regierung, die in DE undenkbar wäre. Sie ist aber für die Aufgabe der Behörden unabdingbar. Ich war drei Jahre in einer dieser Behörde in den USA tätig und auch im deutschen Äquivalent. Der Unterschied ist dramatisch.

Regeln für Kommentare: Bitte bleibt respektvoll - keine Diffamierungen oder persönliche Angriffe. Keine Video-Links. Manche Kommentare werden erst nach Prüfung freigegeben, was gelegentlich länger dauern kann.

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