Magische Mahlzeit zu Silvester

30. Dezember 2025von 3,1 Minuten Lesezeit

Das Weihnachts- und das Neujahrsessen müssen üppig sein, fett und reichlich. Je mehr Gerichte, desto besser: Siebenerlei, Neunerlei oder gar ein vielgängiges Silvestermenu. Schüsseln mit Linsen, Bohnen und Nüssen, um Fülle und Überfluss anzuzeigen. Die Idee unserer alteuropäischen Vorfahren, das Jahr mit einem üppigen Festmahl zu beginnen, hat sich bis heute gehalten.

In einem Gedicht von 1393 heißt es, man müsse fest essen, damit einen die Bercht nicht trete: Ir sult vast ezzen … daz iuch die Bercht nicht trette.i Vernachlässigte man nämlich das Ritual, musste man nächtliche Besuche der Bercht fürchten, die wie die Muraue oder Trude/Drude mit Tritten den Schlaf der Menschen störte. Ein schwelgerischer Festschmaus sollte eine Fortsetzung der Fülle im weiteren Jahr erzwingen.

Wer die Regeln der Holle/Percht brach, wer die Ruhezeit der Raunächte oder die Speisevorschriften nicht einhielt, der musste damit rechnen, bestraft oder beschmutzt zu werden. Wer zu Weihnachten oder Neujahr nicht die vorgeschriebenen, traditionellen Speisen essen wollte, dem drohte das Bauchaufschneiden und allgemeines Unglück.

Wer hätte nicht schon das Gefühl erlebt, mit einer kühnen Entscheidung das Schicksal herausgefordert zu haben? Hält man sich dagegen an die göttliche Ordnung, vermeidet man heil-lose Verwirrung. Ein strukturierter Alltag beweist dem Menschen, dass er nicht ein Getriebener und Geworfener ist. Zu Recht fürchtete er Unwägbarkeiten und das Chaos. Regeln erleichtern das Leben. Nicht umsonst leitet sich das Wort Religion von Achtsamkeit und sorgfältiger Befolgung von Vorschriften her.

Dies führte zu unzähligen abergläubischen Ritualen, die beinahe jeden Handgriff im bäuerlichen Haushalt betrafen. Individuelle Entfaltung oder Kreativität waren unerwünscht. Darum hielt man sich besser an die Arbeitsverbote und Speisevorschriften im Rahmen des alteuropäischen Glaubenssystem um Holle/Percht/Wodan. Jedes von den Göttern aufgestellte Verbot ist ein Test für die Glaubensfestigkeit der Menschen. Wer die Vorschriften ignoriert, muss mit Scheitern und göttlichen Zorn rechnen. Nur Respekt und Gehorsam, nur Opfer und Zuwendung stimmten die Götter geneigt.

Wenn Christkind und Nikolaus die Kinder prüfen, ist das der letzte Rest dieser Vorstellung. Holle/Percht beurteilte bei ihrem Umzug in den Raunächten jeden einzelnen Haushalt. Ordnung und Achtsamkeit wurden durch ein glückliches neues Jahr belohnt. Schmutz, Widerborstigkeit und Faulheit führten zu einem schweren Leben. Eine gute Ernte spiegelte ihre Zufriedenheit mit der Arbeit auf dem Hof, eine schlechte ihre Unzufriedenheit. Selbst nach mehrmaligem Wechsel von Religion und Obrigkeit, als das Wissen um Holle/Percht schon fast verschüttet war, hielten die Menschen noch an den Traditionen fest. Sie hielten die Arbeitsruhe in den Raunächten ein, aßen Traditionsgerichte und räucherten die Häuser aus. Sie feierten aber auch mit üppigen Festmählern, reichlich Alkohol und bewusstseinserweiternden Pilzen und Pflanzen.

Wie in der Natur eröffnet jedes Jahr erneut die Möglichkeit auf gutes Gelingen. Jedes Frühjahr ist ein Neuanfang. Diese Gnade wird dem Menschen gewährt, der in enger Bindung mit der Natur und Holle/Percht lebt.

i Quellenmaterial in Renate Reuther. Christkind und Nikolaus – Eine andere Weihnachtsgeschichte. Engelsdorfer Verlag 2025

Bild von Oleksandr Pidvalnyi auf Pixabay

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wider. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Dr. phil. Renate Reuther ist Historikerin und Autorin. Von ihr erschienen ist etwa Die Eroberung der Alten und Neuen Welt. Mythen und Fakten.


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3 Kommentare

  1. Peter Ruzsicska 30. Dezember 2025 um 15:21 Uhr - Antworten

    Ich wünsche ein schwelgerisches Festprosit im harschen Walten prächtigster Gezeiten fürderhin!

    • Peter Ruzsicska 30. Dezember 2025 um 15:33 Uhr - Antworten

      P.S.: Könnte es vielleicht sein, daß Gott bzw. die Natur etwas anderes ist, als bloß durch allzu menschlich spekulativ gemutmaßt höchste Gewaltsamkeit welcher sich Menschen so gerne unterwerfen bzw. selbige gerne auszuüben geträchtigen?

      • Peter Ruzsicska 30. Dezember 2025 um 15:36 Uhr

        Korrektur, Sorry:
        Könnte es vielleicht sein, daß Gott bzw. die Natur etwas anderes ist, als bloß allzu menschlich spekulativ gemutmaßt höchste Gewaltsamkeit welcher sich Menschen so gerne unterwerfen bzw. selbige gerne auszuüben geträchtigen?

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