Seit wann gibt es eigentlich den Adel?

29. November 2025von 4,8 Minuten Lesezeit

Strahlende Familienidyllen aus europäischen Adelsdynastien garantieren seit Jahren auskömmliche Auflagen für Illustrierte Blätter. Die Dauerskandale in den Königshäusern werden verschwiegen oder kleingeredet. “Alles für die Monarchie!“i scheint keine revanchistische Drohung mehr zu sein. Woher leitet der Adel selbst in Republiken eigentlich seinen Sonderstatus ab?

Früher war den Menschen noch bewusst, dass es weder „blaues Blut“, noch einen biologischen Anspruch auf Herrschaft gibt. Der Volksmund fragte rhetorisch: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ Seit die Adelshäuser von Bürgerlichen durchsetzt sind, müsste diese Frage noch häufiger gestellt werden.

Die Genealogie Adeliger war eine Fälschung, wenn sie ihre Ahnen bis zu den Karolingern oder gar dem Großen Alexander zurückverfolgen wollten. Eine möglichst lange und hochrangige Vergangenheit mehrte das Prestige. Vor 500 Jahren noch mehr als heute. Aber woher kamen er den wirklich, der europäische Adel?

Wir schreiben das 11. Jahrhundert, als die inzwischen in „Normannen“ umbenannten „Wikinger“ mit ihren Langbooten in alle Flussmündungen abbogen und dort haltmachten, wo noch keiner ihrer Landsleute seinen Claim abgesteckt hatte. Dank der guten Manövrierbarkeit und des geringen Tiefgangs ihrer Schiffe waren auch Seitenarme der großen Ströme und selbst größere Bäche problemlos erreichbar. Wenn die Lage günstig war, ließ man sich von den ansässigen Bewohnern in sicherer Höhe eine Burg zunächst aus Holz, dann aus Stein bauen und erklärte unseren indigenen Vorfahren, dass sie nun die Neuankömmlinge zu versorgen hätten. Wichtigster Bestandteil: ein als „Bergfried“ verharmloster Tresor, wo man oberhalb der Beute aus Wertsachen und Menschen sicher schlafen konnte.

Das eingespielte Bootsteam der muskulösen, bis an die Zähne bewaffneten Nordmänner mit ihren Pferden war den oft in vereinzelten Höfen lebenden, untereinander misstrauischen Menschen überlegen. Es war wie heute ein Leichtes, mit einer kleinen Gruppe eine weit größere Einwohnerschaft zu beherrschen. Überdies fanden sich auch damals schon willige Kollaborateure, die für den einen oder anderen kleinen Vorteil bei der Unterdrückung ihrer indigenen Mitmenschen mit Hand anlegten und dafür zum Amtsadel wurden. Die skandinavische Vergangenheit ist noch daran erkennbar, dass das dänische Königshaus sich als ältestes in Europa bezeichnet.

Da waren sie nun, die Eroberer aus dem Norden und Westen, nannten sich nach dem Ort, der ihnen untertan sein sollte „von…“ und gingen oft bis heute aus angeblicher Sentimentalität nicht mehr weg, wenn sie denn nicht ausstarben. Die Königshäuser stehen bis heute über Recht und Gesetz ihrer Länder. Es dauerte allerdings einige Jahrhunderte bis sie es wagten, ihre Höhenfestungen zu verlassen, um komfortablere Paläste in den Ebenen zu beziehen.

Für die untertänige Haltung der Einwohner, die erst lernen mussten, dass ihnen jetzt nichts mehr gehörte, aber sie dennoch keine grimmigen Gesichter aufsetzen sollten, holte man Mönche des entstehenden Kirchenkonzerns nach. Diesen mussten die Indigenen eine immer größer werdende „romanische“ = normannische Kirche bauen, von deren Kanzel ihnen täglich erläutert wurde, dass dem Herrn im Himmel und dem Herrn auf Erden gleichermaßen gehorcht werden musste. Im französischen Kerngebiet wurde aus dem nordischen Anführernamen „Jarl“ der „Charles“ oder „Karl“, dem man dann eine große europäische Vergangenheit andichten konnte.

Für diese erste Landnahme wird bis heute gerne der Beginn der europäischen Zivilisation behauptet. Die Mär von Ödland, das die neuen Ritter zusammen mit den Mönchen erst hätten urbar machen müssen, verhindert unangenehme Fragen nach dem Schicksal der Einheimischen. Die auf Ersterwähnungen in Dokumenten oft zweifelhafter Herkunft basierenden Jubiläen von Städten und Dörfern suggerieren einen späten Besiedlungsbeginn, den es so nicht gab. Bodenfunde keltischer Wallanlagen, bronzezeitlicher Siedlungen und ein ausgedehntes Fernhandelsnetz beweisen ein reges Leben mit Raststationen und Marktplätzen lange vorher.

Und wenn unsere selbst ernannten Adeligen nicht von einem republikanischen Mob vertrieben wurden, die Kinder plötzlich und unerwartet an Therapien der kirchlich ausgebildeten Ärzte verstarben, sie auf einem der Kreuzzüge ihr Leben ließen oder von einem der netten Nachbarherrscher abgestochen wurden, dann sitzen sie oft heute noch da, wo sie eben seit maximal 1000 Jahren sind.

Man sollte sich nur immer im Klaren sein, mit welcher Unbarmherzigkeit die Eroberer vorgingen. Einer ließ auf sein Grabmal meißeln, dass er der „Terror dieser Welt“ sei. Kollegen nagelten ihren Widersachern schon einmal eine glühende Krone auf den Kopf. Gewalt, Raub und Krieg waren immer ihr Geschäft. Die Uniformen, die Königs gerne bis heute zur Schau tragen, zeigen ihre Affinität zum Militär. Scheinbar leutseliges Winken in die Menge sollte nicht darüber hinwegtäuschen.

Um die bäuerliche Herkunft aus irgendeinem Fjord zu verschleiern, wird von Historikern bis heute von den „Merowingern“, „Agilolfingern“ oder „Popponen“ geraunt, die es schon viel länger gegeben hätte. Oder sie stellen Mutmaßungen an über einen „römischen Ritterstand“ oder keltogermanische „Fürstengräber“. Führungscliquen gab es zwar immer, aber nicht notwendigerweise einen Geburtsadel. Frühe Feudalverhältnisse sollen nur suggerieren, dass es schon immer den heutigen Adel gegeben hätte. Quasi ein naturgegebenes Phänomen, das auch demokratische Republiken tunlichst nicht in Frage stellen sollen.

i Frau im Spiegel: Royal. Heft 11+12 2025


Dr. med. Gerd Reuther ist Radiologe, Medizinaufklärer und Medizinhistoriker. Er hat 9 Bücher veröffentlicht, zuletzt mit „Tatort Vergangenheit“ eine Geschichtsaufarbeitung gegen den Strich gebürstet. Dr. phil. Renate Reuther ist Historikerin. Die Eroberung der Alten und Neuen Welt. Mythen und Fakten


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9 Kommentare

  1. Daisy 30. November 2025 um 4:05 Uhr - Antworten

    Naja, den Adel gibts schon lang, denn das ist wieder ein natürliches Verhalten, dass man den Sprossen nicht nur Hab und Gut vererben möchte, sondern auch das Amt, die Machtposition. Solange es also solche Positionen gibt, gibt es den Adel, etwa der Häuptlingssohn in der Steinzeit bishin zum Nepotismus beim ORF, Geldadel usw.

    Besonders krasse Auswüchse zeigte die Degeneration am spanischen Hof, wo man immer wieder nähere Verwandte heiratete, um die Macht möglichst in der Familie zu halten bzw. auszudehnen, was die hässlichsten Inzüchtler hervorbrachte. Die Habsburger betrieben ihre Heiratspolitik sehr ausgeprägt, damit alles in der Familie bleibt…tu felix Austria, nube…

    In der Politik ist heute im „Wertewesten“ zwar die Übergabe des Amtes an eine scheindemokratische Wahl gebunden, aber auch in NÖ kommen immer wieder neue Pröllsprossen in politische Ämter. Diesem Treiben kann man nur mit Gesetzen entgegenwirken. Es ist aber wie gesagt ein natürliches Verlangen nach Machterhalt, das zum Menschen gehört und mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Es muss daher verboten bleiben…

  2. ibido 29. November 2025 um 17:51 Uhr - Antworten

    Bei Adel muss ich an Daumenschrauben-anziehen-Schallenberg denken.
    Oh, wie edel seine Einstellung…

  3. Jan 29. November 2025 um 12:47 Uhr - Antworten

    Steile These! Mit Zerfall des Römischen Reiches hat man sich „Germanen“ bedient, um dem Ansturm der „Germanen“ Herr zu werden, Beispiel Flavius Stilicho, um 400 zentraler Akteur weströmischer Politik. Stilichos Vater stammte von Vandalen ab, einem germanischem Volksstamm jenseits von Jüten und Angeln. Die „Vikinger“ gabs zu der Zeit noch gar nicht.

    Schaut man Richtung England, so hat die These allerdings durchaus etwas an sich.

    Es gibt zwei Fallen der Geschichtsschreibung: Küchenpsychologie und Genetik. Folgende Stellschrauben werden unterschätzt: „Möglichkeit“ (Schwester ist mit Regenten verheiratet), Technik (hier Vikingerboote, genauso: Eisen), Ressourcen (Wald, Lößerde, Bildung, später Kohle und Öl).

    Unsere Zeit zeichnet sich durch ubiquitäre Verfügbarkeit aus. Das ist eine Rückprojektion. Auch der totale Zwang ist eine Rückprojektion. Die Vikingertechnik beschleunigte den Handel. Die Eisenproduktion ermöglichte die dauerhafte Bewirtschaftung von Agrarflächen ohne Wanderfeldbau und Brandrodung. Die Kirche hat sicher eine ausgleichende Funktion angenommen, indem sie den Adel auch verpflichtet hat (Schaukelpolitik). Die wirtschaftliche Dynamik war aber in den „freien“ Städten mit Selbstverwaltung viel höher, allerdings auch deren Ressourcen.

    Der Adel wird üblicherweise mit dem erstarkenden Rittertum erklärt, das durch den Rückzug der römischen Ordnung und der verstärkten Sesshaftigkeit notwendig wurde.

    Der italienische Adel führt sich auf Langobarden zurück, der spanische Adel auf Goten. Das ist mehr als eine Phantasie.

    Man sollte das nicht „rassisch“ sehen. Dahinter steckt immer eine Selbstermächtigung. Wenn sie zum Vorteile aller geschah, hat sie durchaus ihre Berechtigung. Initiative und Innovation sind keine demokratischen Errungenschaften, allerdings sollten jene, die ein Risiko tragen, mitentscheiden. Die Verselbständigung in eine Ausbeutung ist auch eine Frage des „Nein“ der Versklavten. Zusehr werden diese heute als passive Opfer gesehen.

    Man muss davon ausgehen, dass die sich entwickelnde Zentralstruktur auch eine Win-Win-Lösung darstellte. Mit dem Niederländischen Postkurs wurde 1490 die erste stehende Postlinie eingerichtet. Vorher war es wegen der Überfälle kaum möglich.

    Schaut man sich die skandinavische Physiognomie an, so sind diese durchaus nicht übermäßig kräftig. Aber sicher: Fisch und Milch als Eiweißversorgung ist der römischen Getreidewirtschaft sicher überlegen. Ob das auf der Insel auch so war, darf man überlegen.

    • rudifluegl 29. November 2025 um 17:53 Uhr - Antworten

      Kann Ihnen bei der Suche nach den letzten Zeitzeugen oder vorletzten mönchischen Fährtenlegern geholfen werden?
      Die Brandrodungen des tropischen Urwaldes wurden hie,r Kirche sei Dank, durch Eisen, welches, der Kirche sei doppelt gedankt, nicht für Ölbohrungen eingesetzt wurde, verhindert.
      Und der Boden eignete sich hier, der Kirche sei Dreifach gedankt, durch Segnungen, auch “ öllos “ für Dreifelderwirtschaft oder ähnliche bauerschläuliche Furchenspieler Tricks!
      Im übrigen haben Sie Recht. Das kann alles im Fernsehen auch ohne Blockbuster zu bemühen nachgesehen werden. Oder in der abgebrannten alexandrinischen Bibliothek. In den (T)aschenbüchern.
      Für irgendeinen Zweck, wenn nicht für die absolute Wahrhei,t muss sich ja unser Wissen alle 2 bis 3 Jahre verdoppeln!
      Opfer von Satire sollten hier unsere wohlfeilen Feudalen sein. Nicht die, die an Ihnen streichelnd anstreifen!

  4. Patient Null 29. November 2025 um 12:40 Uhr - Antworten

    Als Adel lass ich durchgehen, wenn mir einer sein blaues Blut zeigt. ;)

    • Vortex 30. November 2025 um 0:37 Uhr - Antworten

      Alternativ wäre auch ein weltweiter Ade(l)(r)lass bei solchen Entitäten vonnöten … ;-)

    • maxstirner 2. Dezember 2025 um 14:02 Uhr - Antworten

      Die Guillotine ist hungrig :)

  5. local.man 29. November 2025 um 12:32 Uhr - Antworten

    Ich mag Ihre aufklärende und leicht herablassende Art gegenüber diesem „Adel“.
    Leute die sich selbst hochfeiern und wirklich meinen, irgendwie über dem Rest zu stehen. Heute nennen sie sich Elite haha, ich muss sofort darüber lachen…

    Zum Glück, habe ich vom lieben Herrgott, falls es ihn den geben mag, absolut 0 Klassendenken mitbekommen ua.
    Für mich sind alle Menschen absolut gleichwertig. Ich habe absolut gar kein Klassendenken oder nur eine winzige Spur von so einer Emotion oder Gefühl in mir, dass andere Menschen mehr wären, als jeder andere, das schliesst mich natürlich auch mit ein.

    Das hat den riesigen Vorteil, dass ich mit allen gleich umgehe, dem Bürgermeister, wie einem Angestellten, oder dem Obdachlosen der letzten im EDEKA gestunken hat wie die Hölle und alle 2 Meter Abstand hielten…

    Das erstaunliche dabei ist, wo so ein Bürgermeister, der vergessen hat, dass er eigentlich nur ein Dienstleister an allen ist, mit meiner Art schwer umgehen kann, weil wohl der Rest vor ihm kriecht nur ich nicht und er Widerworte und Gleichstellung schwer schlucken kann, sind verschüchterte Angestellte denen ich ebenso auf Augenhöhe begegne und ihnen versuche zu helfen wenn ich merke sie sehen sich selbst als klein an, sehr dankbar, dass sie mal normal behandelt werden und nicht wie Nutzmasse und Lakaien.

    Ich lasse mir dieses Schablonendenken von Klassen absolut nicht indoktrinieren.. Sowas existiert nicht, nur in den Köpfen der Leute.
    Daher arbeiten diese Leute ja mit dieser Spaltungtaktik und Angst und Einschüchterung, Abhängigkeiten und Zwängen.
    Es ist immer derselbe Müll, heute wie vor tausenden von Jahren und es braucht dafür immer ein Kontroll- und Machtmittel, sowie die Tiefenindoktrination. Heute kann man das viel besser erkennen als noch vor 30 Jahren, als das System noch den Irrsinn besser zudecken konnte…

    Danke Herr und Frau Reuther für diese ganzen historischen Aufarbeitung. Die Geschichte ist eh verlogen.
    Selbst die heutigen Filme über das Mittelalter, sind im großen Stil gefärbter Unfug.. So nach dem Motto, schaut wie gut es uns heute geht und wie finster es damals war. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch scheußliche Taten und Zeiten gab und gewaltiges Unrecht.. aber ist das denn heute anders auf der Welt, nur weil modern daher kommt und verpackt ist in Hochglanz als Fassade?

  6. altermann55 29. November 2025 um 11:44 Uhr - Antworten

    Hallo,
    schauen Sie mal bei den ’von der Leyens’ nach.
    Warum haben Sie das versäumt?

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