Studie zu Fitness-Apps: Mehr Schaden als Nutzen?

3. November 2025von 5,8 Minuten Lesezeit

In einer Zeit, in der Technologie verspricht, jeden Aspekt des Lebens zu optimieren, legt eine neue Studie nahe, dass genau die Apps, die Millionen von Menschen nutzen, um gesund zu leben, ihre Motivation systematisch sabotieren könnten.

Eine Analyse Tausender Social-Media-Beiträge zeigt ein beunruhigendes Muster: Fitness- und Wellness-Apps führen dazu, dass Nutzer sich niedergeschlagen und beschämt fühlen und bereit sind, ihre Wellness-Ziele ganz aufzugeben. Diese Studie, die von einem Team des University College London und der Loughborough University durchgeführt wurde, deckt einen entscheidenden Fehler in der digitalen Gesundheitsrevolution auf und stellt die Kernprämisse in Frage, dass mehr Daten zwangsläufig zu besseren Ergebnissen führen.

Mit dem Nutzen der Wellness- und Fitness-Apps befasst sich die Studie von Sheen F. et al mit dem TitelLiving well? The unintended consequences of highly popular commercial fitness apps through social listening using Machine-Assisted Topic Analysis: Evidence from X“ (Gut leben? Die unbeabsichtigten Folgen sehr beliebter kommerzieller Fitness-Apps durch Social Listening unter Verwendung maschinengestützter Themenanalyse: Erkenntnisse aus X) die am 22. Oktober im British Journal of Health Psychology erschien.

Die algorithmische Kluft

Die Untersuchung befasste sich mit der öffentlichen Debatte auf der Social-Media-Plattform X, ehemals Twitter. Die Forscher setzten eine Kombination aus künstlicher Intelligenz und menschlicher Analyse ein, um 58.881 Beiträge zu den fünf weltweit umsatzstärksten Fitness-Apps zu sichten. Sie konzentrierten sich auf 13.799 Beiträge, die negative Gefühle zum Ausdruck brachten, und deckten dabei ein einheitliches Narrativ der Schwierigkeiten der Nutzer auf. Der zentrale Konflikt war nicht ein Mangel an Willenskraft, sondern der Kampf gegen die von der App generierten Ziele, die die Nutzer als unerreichbar und demoralisierend beschrieben.

Der Kern des Problems liegt in den automatisierten Algorithmen, die die täglichen Kalorienziele berechnen. Die Nutzer geben einfach ihr aktuelles Gewicht und ihr Zielgewicht ein, und die Software generiert eine strenge tägliche Kalorienzufuhr. Diese Berechnungen ignorieren jedoch oft grundlegende biologische Realitäten. Der Beitrag eines Nutzers hob die Absurdität hervor und erklärte, dass seine App ihm empfahl, täglich 700 Kalorien weniger zu sich zu nehmen, um sein Ziel zu erreichen. Ein anderer Nutzer warnte, dass das blinde Befolgen dieser Vorschriften zu einem ungesunden, nicht nachhaltigen Defizit führen könnte.

Wenn das Leben sich dem Code widersetzt

Die Studie ergab, dass diese algorithmischen Systeme die Komplexität individueller menschlicher Umstände nicht berücksichtigen. Eine stillende Mutter beschrieb ihre Verwirrung, als ihre App, MyFitnessPal, die geschätzten 500 Kalorien, die sie täglich durch das Stillen verbrennt, nicht berücksichtigte, wodurch ihr Ziel sofort unrealistisch wurde. Das starre Rahmenwerk der App ließ keinen Raum für diese biologische Realität und brachte sie von Anfang an in eine Situation, in der sie als Versagerin wahrgenommen wurde.

Paradoxerweise wurde Sport zu einem weiteren Frustrationspunkt. Nutzer berichteten, dass die Apps bei der Eingabe ihrer körperlichen Aktivitäten automatisch ihre tägliche Kalorienzufuhr nach unten korrigierten, um ein hohes Defizit aufrechtzuerhalten. Dadurch fühlten sie sich für ihr Training bestraft, was oft zu erhöhtem Hunger und einem Gefühl der Entbehrung führte. Der Beitrag eines panischen Nutzers, voller Großbuchstaben und Fehler, drückte völlige Verwirrung darüber aus, ob die Berechnungen der App zum Kalorienverbrauch überhaupt vertrauenswürdig seien.

Die Schamspirale

Abgesehen von unrealistischen Zielen löst das Design der Apps oft starke Schamgefühle aus. Benachrichtigungen, die zur konsequenten Erfassung von Mahlzeiten anregen sollten, wurden stattdessen als wertende Nörgelei empfunden. Ein Nutzer gestand, dass er es aus Scham vermied, sein Abendessen bei Domino’s Pizza zu erfassen, während ein anderer mit schwarzem Humor damit umging und der App sagte, sie solle ihn in Ruhe lassen, nachdem er eine große Mahlzeit und Eis gegessen hatte.

Auch das tägliche Protokollieren gesunder Lebensmittel konnte zu einer Quelle von Stress werden. Ein Nutzer äußerte sich verärgert, nachdem die App den Zuckergehalt einer Banane, einer natürlichen und nahrhaften Frucht, markiert hatte. Andere beschrieben ihr Entsetzen, als sie den Kaloriengehalt ihrer Lieblingssnacks entdeckten. Eine Person gab an, sich schrecklich gefühlt zu haben, nachdem sie eine beliebte britische Süßigkeit nachgeschlagen hatte. Diese ständige numerische Bewertung verwandelt den einfachen, notwendigen Vorgang des Essens in ein Minenfeld aus Angst und Selbstvorwürfen.

Die Gamifizierung des Scheiterns

Viele Apps integrieren Gamification-Elemente und nutzen Medaillen und virtuelle Auszeichnungen, um zur konsequenten Nutzung anzuregen. Diese Funktion hatte jedoch oft den gegenteiligen Effekt. Nutzer beschrieben, wie niedergeschlagen sie waren, wenn sie einen einzigen Tag lang keine Daten eingegeben hatten und damit eine mehrmonatige Serie auf Null zurücksetzten. Diese Alles-oder-Nichts-Denkweise bedeutete, dass drei Monate konsequenter Bemühungen durch einen einzigen Ausrutscher psychologisch bedeutungslos werden konnten, wodurch jedes Gefühl der fortschreitenden Leistung zunichte gemacht wurde.

Angesichts dieser unerreichbaren Standards und der zunehmenden negativen Emotionen erreichten viele Nutzer einen Punkt, an dem sie aufgaben. In den Beiträgen tauchte häufig der Ausdruck „back to” auf, der die Rückkehr zu alten Gewohnheiten als unvermeidliche Niederlage andeutete. Einige Nutzer gingen in die Vermeidung und entschieden sich bewusst dafür, keine Lebensmittel mehr zu protokollieren, um dem negativen Feedback der App zu entgehen, was den gesamten Zweck der Selbstkontrolle zunichte machte und zusätzlich Schuldgefühle wegen des Betrugs am System selbst hervorrief.

Ein Weg nach vorn

Die Forscher interpretieren diese Ergebnisse anhand eines psychologischen Modells, das als Selbstbestimmungstheorie bekannt ist und davon ausgeht, dass dauerhafte Motivation das Gefühl der Kontrolle, der Kompetenz und der Verbundenheit erfordert. Die Studie legt nahe, dass Fitness-Apps alle drei Aspekte systematisch untergraben. Die Nutzer haben keine Kontrolle über die vom Algorithmus vorgegebenen Ziele, fühlen sich unfähig, wenn die Ziele unerreichbar sind, und werden durch starre numerische Ziele in ihren Misserfolgen isoliert.

Wenn auch nur ein Bruchteil der Millionen täglichen App-Nutzer diese Auswirkungen erlebt, sind die Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit erheblich. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass App-Entwickler oft mehr Wert darauf legen, kostenlose Nutzer zu zahlenden Abonnenten zu machen, als positive Gesundheitsergebnisse zu gewährleisten. Im Gegensatz zu medizinischen Apps befindet sich die Wellness-App-Branche trotz ihres Potenzials für psychische Schäden in einer regulatorischen Grauzone mit minimaler Aufsicht.

Die Studie fordert eine grundlegende Neugestaltung. Anstelle von starren Kalorienzählungen und strafenden Messgrößen sollten sich Apps darauf konzentrieren, nachhaltige Gewohnheiten aufzubauen, die Freude an körperlicher Aktivität zu steigern und Nutzer bei Rückschlägen zu unterstützen. Das Ziel sollte sein, die intrinsische Motivation – die inhärente Zufriedenheit, gesund zu sein – zu fördern, anstatt sich auf den externen Druck von Scham und Schuldgefühlen zu verlassen. Solange diese digitalen Tools nicht lernen, den Nutzern mit Empathie und biologischem Realismus entgegenzukommen, laufen sie Gefahr, genau die Menschen zu vertreiben, denen sie eigentlich helfen sollen. Auf dem Weg zu mehr Gesundheit könnte ein freundlicherer, flexiblerer Algorithmus die wirkungsvollste Innovation von allen sein.


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8 Kommentare

  1. Axel 5. November 2025 um 8:26 Uhr - Antworten

    Statt Fitness-App lieber mal auf die eigenen Körpersignale achten. Und einfach die naheliegenden Maßnahmen umsetzen: Regelmäßige Bewegung, gesunde rohkostbetonte (z.B. auch via Smoothie) Bio-Ernährung ohne Zucker (und Getreide), ausreichende (aber nicht übertriebene) Proteinzufuhr, genug Schlaf, Stressreduzierung bzw. -bekämpfung (Atemtechnik etc.). Dann purzeln die Kilos, man fühlt sich besser, ganz ohne App. Ein bißchen hilft auch eine Körperfettwaage, die Aussagekraft ist allerdings begrenzt (abhängig von Tageszeit, Stuhlgang usw.).

    Und wenn das Bauchfett trotzdem nicht verschwindet: Entgiftung (nicht abbaubare Schadstoffe werden im Fett eingelagert) und kalt duschen (weißes wird zu braunem Fett für die Wärmeerzeugung).

  2. rudifluegl 3. November 2025 um 23:57 Uhr - Antworten

    Warum die wohl beim Titelbild „Konzentrieren Sie sich auf ihre Problemzone“ den Kopf ausgelassen haben???

  3. ibido 3. November 2025 um 16:11 Uhr - Antworten

    So eine App ist wie der unsichtbare Lehrplan der Schule. Der soll Ja-Sager und Nach-beter erzeugen.
    App –> frustrierte, in Untätigkeit katapultierte Menschen sind gewünscht! Intrinsische Motivation dagegen ist nicht gewünscht.

  4. Jan 3. November 2025 um 15:28 Uhr - Antworten

    Es ist fantastisch, wenn Menschen nach Jahrzehnten der Ignoranz mit der Realität konfrontiert werden, und den Zuckergehalt einer Banane oder einer „beliebten britischen Süßigkeit“ wahrnehmen können! Gratulation!

    Dass sie sich gleich als Opfer fühlen und ein Recht für sich beanspruchen, in ihrer Illusion gefangen sein zu dürfen, dass Nimm Zwei Vitamine enthält, ist Ursache des Problems!

    So wie Legasthenchen meint, ein Recht darauf zu haben, als gute UN-Präsidentin bezeichnet zu werden und alle Kritiker niederklagt.

    Dass die KI eine Selbstmord fördernde arrogante Kräzn ist, wissen wir.

    Wenn sie es aber fertig bringt, den Fans klarzumachen, dass Saatenöle giftig und Glyphosat absolut zu meiden ist, wäre die Welt einen Schritt weiter.

    In diesem Leben nicht, niemals, nie!

  5. Patient Null 3. November 2025 um 12:57 Uhr - Antworten

    Fitness , Schrittzähler, Abnehm – Apps wird denke ich mal nicht selten als Ausrede für sich selbst benutzt. Nach dem Motto wenn ich die App installiere hab ich schonmal was in die richtige Richtung unternommen. Nee so einfach ist es leider nicht. Man muss sein Leben ändern, da hilft die App wenig. Und wenn man das gemacht hat braucht man keine App.

  6. Kungfu 3. November 2025 um 11:06 Uhr - Antworten

    Schon Konfuzius wusste: wenn man sich in die Hosen macht hält das nicht lange warm. Aus Angst zu dick, zu schlapp, zu hässlich oder was auch immer zu sein lassen die Menschen sich auf so einen Appscheiss ein anstatt mit Freude und Zuversicht den eigenen Interessen zu folgen. Aber wer weiß schon bei soviel Ablenkung heutzutage was Mann / Frau wirklich will und braucht.

  7. HelmutK 3. November 2025 um 10:17 Uhr - Antworten

    Mein Gott, was für ein armseliger Haufen von App-Heulsusen. Anstatt sich von Gottvater Fitness-App vorsagen zu lassen was zu tun ist, sollten diese Heulsusen lernen auf ihren eigenen Körper zu hören.

  8. local.man 3. November 2025 um 9:44 Uhr - Antworten

    Verwundert mich wenig.
    Solche Programme funktionieren ja auf der Basis von Roboterdasein. Also einer Existenz, die jeden Tag gleich funktioniert, was natürlich nicht die Realität eines lebenden Organismus wiederspiegelt.
    Ich bin nicht jeden Tag gleich fit, motiviert, ausgeschlafen, leistungsfähig usw.
    Alleine schon das Wetter verändert diesen Zustand. Bei Sonnenschein wesentlich motivierter, als bei Dunkelheit und Regen. Regeneration spielt mit rein, was esse ich zu welcher Zeit und wieviel und in welcher Kombination wirken sich stark auf den Folgetag aus.
    Stress im Alltag, Probleme mit dem Kind oder was auch immer..

Regeln für Kommentare: Bitte bleibt respektvoll - keine Diffamierungen oder persönliche Angriffe. Keine Video-Links. Manche Kommentare werden erst nach Prüfung freigegeben, was gelegentlich länger dauern kann.

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