Was Sie zum BVerfG-Urteil zur Wahlrechtsreform nicht wissen sollten

29. August 2024von 14,3 Minuten Lesezeit

Diese Geschichte kennen wir eigentlich. Am 17.03.23 hat der Deutsche Bundestag eine Änderung des Wahlgesetzes beschlossen, die am 08.06.23 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde. Hiergegen wurden vor dem Bundesverfassungsgericht 3 Organstreitverfahren von den Parteien CSU und LINKE und der damaligen Bundestagsfraktion DIE LINKE sowie 2 Normenkontrollanträge von der Bayerische Staatsregierung und 195 Mitgliedern des Bundestags angestrengt.

Am 30.07.24 haben die teilweise Recht bekommen. Diese von den Mainstream-Medien verbreitete Geschichte ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Der Rest wurde ohne Aufsehen am 27.08.24 abgeschlossen. Es geht in diesem Artikel nicht um das offizielle Verfahren, sondern um die Art und Weise, wie der Rest unter den Teppich gekehrt wurde.

Seit Corona ahnen die meisten kritischen Geister, dass es in Deutschland weder unabhängige Gerichte, noch eine Gewaltenteilung gibt. Die Frage, ob es sie je gegeben hat, ist müßig. In der Theorie soll das Parlament die Regierung kontrollieren, in Wirklichkeit kontrollieren die Parteien die Regierungen und die Parlamente, also sich selbst. Unabhängige Gerichte sollen die Bürger vor einem übergriffigen Staat schützen. In Wirklichkeit schützen die Gerichte den Staat vor seinen Bürgern. In dem Verfahren zur Wahlrechtsreform hat das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), seine Missachtung für die einfachen Bürger eindrucksvoll demonstriert. Wie sagte einst Walter Ulbricht: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“

Was in den Medien verschwiegen wurde: Neben den Organstreitverfahren und Normenkontrollanträgen wurden 14 Verfassungsbeschwerden eingereicht, die erste am 13.06.23 vom Verfasser. Mit Schreiben vom 23.06.2023 wurde ihm der Eingang bestätigt und das Aktenzeichen 2 BvR 790/23 mitgeteilt. Weitere Mitteilungen des Gerichts hat der Antragsteller nicht erhalten. Zentraler Punkt der meisten Beschwerden war die 5-%-Klausel.

Am 27.08.24 wurde der Beschluss des Gerichts, der ihm selbst nicht zugestellt wurde, im Internet veröffentlicht. Am 23. und 24.04.24 fand aber eine mündliche Verhandlung zu den Organstreitverfahren und Normenkontrollanträge sowie zu zwei der 14 Verfassungsbeschwerden statt. Bewerdeführer waren hierbei eine Reihe von Bundestagsabgeordneten und Mitgliedern der LINKEN und eine regierungstreue Nichtregierungsorganisation mit Ex-Ministern im Kuratorium. Die übrigen 12 Verfassungsbeschwerden wurden liegengelassen und nach dem Urteil vom 30.07.24 als unzulässig zurückgewiesen, weil die Sache nach dem Urteil erledigt sei.

Das war es aber in Wirklichkeit nicht, denn der Verfasser hat in seiner Beschwerde nicht nur die 5-%-Klausel angegriffen, sondern auch das Parteienmonopol in § 18 Abs. 1 BWahlG. Dazu wurde in der Beschwerde ausgeführt:

Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien nur an der Willensbildung mit. Die Bedeutung des Wortes „Mitwirkung“ sagt aber, dass sie die politische Willensbildung aber nicht monopolisieren dürfen. … Der Grundsatz der allgemeinen und gleichen Wahl des Art. 38 Abs. 1 GG gilt auch für das passive Wahlrecht, das nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur Parteimitgliedern oder den Parteien loyalen Parteilosen, die auf ihren Listen kandidieren, zustehen darf. Es muss aus der Kombination beider Regeln auch für Einzelbewerber und Bürgerinitiativen außerhalb von Parteien möglich sein, in den Bundestag gewählt zu werden. Auch Bürgerinitiativen nehmen an der politischen Willensbildung teil, sie sind aber nach § 18 Abs. 1 BWahlG von einer Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. Einzelbewerber können aktuell nur in einem Wahlkreis und nicht mit Landeslisten oder bundesweit kandidieren.

Das Urteil vom 30.07.24 ist darauf nicht eingegangen, weil die staatstragenden Prozessparteien, die am Parteienmonopol nicht rütteln wollten, dazu nichts gesagt hatten. Dabei sollte es wohl auch bleiben. Zu beiden angegriffenen Vorschriften wurde noch folgendes zusammenhängende Argument angeführt:

Art. 21 Abs. 1 steht also in einem Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GG. Die Parteien sind danach angehalten, Kandidaten für öffentliche Ämter „nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ auszuwählen, und nicht nach Frauen-, Migranten-, sexuelle-Minderheiten- oder Links-Rechts-Quoten. Parteibuch- oder Vetternwirtschaft verstößt gegen Art. 33 Abs. 2 GG; Parteien, die diese praktizieren, sind i.S.d. Art. 21 Abs. 2 GG darauf ausgerichtet, „die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen“. Bringen sie inkompetente und korrupte Personen in Ministerämter oder andere leitende Funktionen, untergraben sie das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Staat. Regelungen im Wahlrecht, die dies fördern und die Selbstreinigungs- und Erneuerungsprozesse des politischen Systems behindern, sind nicht mit Art. 20 Abs. 2 GG zu vereinbaren.

Angesichts dieser Wechselwirkung hat das Grundgesetz den Parteien nur ein Mitwirkungsrecht und kein Monopol auf die politische Willensbildung eingeräumt. Aus dem Zusammenspiel von Art. 21, 33 und 38 GG ergibt sich auch die Notwendigkeit, dass immer wieder neue politische Kräfte entstehen müssen und etablierte Parteien auch in der Bedeutungslosigkeit versinken können. Ein politisches System, dessen Kernbereich das Wahlrecht ist, darf diesen politischen Erneuerungs- und Selbstreinigungsmechanismus nicht blockieren. Das geschieht aber mit §§ 4 Abs. 2 Satz 2 und 18 Abs. 1 BWahlG, die die Entstehung von aussichtsreicher Konkurrenz für die etablierten Parteien behindern.

Auch hierzu schwieg sich das Urteil vom 30.07.24 aus. Die Herrschenden haben auch kein Interesse, diesen Zusammenhang anzusprechen und einen Erneuerungsprozess, der ihre Pfründe gefährden würde, zuzulassen.

Das BVerfG wird von Bundestag und Bundesrat politisch besetzt, und zwar nur an zuverlässige Kandidaten der Ampelunion. Es darf sich selbst aussuchen, welche Fälle es behandeln will, und welche Verfahren es per Beschluss, der nicht begründet werden muss, ohne Verhandlung zurückweisen will. Alle Beschwerden, die das politische System in Schwierigkeiten bringen würden, werden natürlich nicht zur Entscheidung angenommen. In 2021 wurden 98,71 % nicht zur Entscheidung angenommen. Die 1,29 % müssen Verfahren von Promis gewesen sein, wie die beiden am 23.04.24 verhandelten Verfassungsbeschwerden. Sie waren logischer Weise eher zahm formuliert. Eine grundlegende Kritik an der 5-%-Klausel suchte man wie das Hinterfragen des Parteienmonopols vergebens. Aber wie erklärt man, dass die Beschwerden einfacher Bürger nicht zur Entscheidung angenommen werden, Beschwerden von Promis zum gleichen Gegenstand aber schon? Diese Frage wurde jetzt sehr dreist beantwortet. Man lässt die Verfahren der Normalbürger einfach liegen, entscheidet über die zahmen Beschwerden der Promis und erklärt die gut argumentierten Beschwerden der Normalbürger für erledigt. Damit wird der Rechtsweg für die Normalbürger faktisch abgeschafft.

Die zahme Argumentation der Promis hat anerkannt, dass das Wahlrecht der Bürger Grenzen haben soll. Das Rechtsgut der „Funktionsfähigkeit des Parlaments“, also die Bequemlichkeit der Politiker und ihr angebliches Recht, sich nicht zusammenraufen zu müssen, soll danach Vorrang haben. Es ist unbestritten, dass die Rechte des Einzelnen aufhören, wo die Rechte seiner Mitbürger anfangen. Auch Grundrechte hören dort auf, wo die Grundrechte der Anderen anfangen. Bei Grundrechtsbeschränkungen muss aber geprüft werden, ob die Einschränkungen, erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein. Bei Corona-Entscheidungen wurde nur festgestellt, das Recht auf Leben gehe vor. Das wurde dann aber inflationär ausgelegt und fast zu einen Recht auf Unsterblichkeit erklärt, für dessen Einhaltung der Staat zu sorgen habe; nach geeignet und verhältnismäßig wurde nicht mehr gefragt. In dieser Logik der Abwägung haben die regierungstreuen Verfassungsbeschwerden argumentiert und zwischen dem Wahlrecht der Bürger und dem angeblichen Recht der Politiker, in Ruhe und bequem arbeiten und regieren zu können, abgewogen.

Der Verfasser hat aber anders argumentiert, und seine Argumente sollten in der mündlichen Verhandlung nicht öffentlich erörtert werden. Das Wahlrecht nach Art. 38 Abs. 1 GG ist kein individuelles Grundrecht, sondern es ist die unmittelbare Konsequenz aus dem Grundsatz der Volkssouveränität des Art. 20 Abs. 2 GG. Wenn alle staatliche Gewalt vom Volk ausgeht und der Volkeswille in Wahlen und Abstimmungen ausgedrückt wird, kann schon wegen der Bedeutung des Wortes „alle“ dieser Wille des Volkes nicht hinter anderen Interessen zurückstehen müssen. Die Wahlen können eindeutige Mehrheiten hervorbringen, sie müssen es aber nicht. Das Volk kann sich andere Politiker wählen, die Politiker können sich aber kein anderes Volk wählen!

Aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt deshalb, dass die gewählten Abgeordneten grundsätzlich mit jedem Wahlergebnis leben müssen; von der nicht einfachen Möglichkeit der Herbeiführung vorgezogener Neuwahlen einmal abgesehen. Das GG verlangt an keiner Stelle die Bildung von Koalitionsregierungen mit einer parlamentarischen Mehrheit. Das Parlament muss sich nur auf die Person eines Bundeskanzlers einigen, der dann seine Minister vom Bundespräsidenten ernennen lässt. Die Gesetzgebung kann auch per Initiative einzelner Fraktionen erfolgen, die sich dann wechselnde Mehrheiten für ihre Anliegen suchen müssen. Eine Handlungsunfähigkeit des Parlaments würde also nicht von den Wählern und „falschen Wahlergebnissen“ verursacht, sondern von einer mangelnden Gesprächsbereitschaft und Kompromissunfähigkeit der gewählten Abgeordneten. Die Forderung nach regierungsfähigen Mehrheiten ist also kein Argument, das die Einschränkung der Volkssouveränität und die Verzerrung der Wahlergebnisse mittels einer Sperrklausel, die die Anhänger kleiner Parteien oder Wählerinitiativen zu einer anderen Wahlentscheidung nötigt, rechtfertigen könnte.

Zu der Argumentation der übrigen 11 ignorierten Verfassungsbeschwerden liegen dem Verfasser keine Informationen vor. Es ist nicht auszuschließen, dass es hier weitere unbequeme Argumente gab, die das BVerfG in Loyalität zur Politik unter den Teppich kehren wollte. Die Bürger haben nur noch die Möglichkeit, diese Cliquenwirtschaft öffentlich zu machen. Um das zu beginnen, soll hier der Wortlaut des Beschlusses im Verfahren 2 BvR 790/23, der auf https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2024/07/rk20240730_2bvr079023.html veröffentlicht wurde, kommentiert wird.

I.

Die Verfassungsbeschwerde vom 13. Juni 2023 richtet sich gegen § 4 Abs. 2 Satz 2 sowie gegen § 18 Abs. 1 des Bundeswahlgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. Juni 2023 (BGBl I Nr. 147, berichtigt durch Nr. 198, im Folgenden: BWahlG). Sie hält die Beschränkung des Listenwahlvorschlagsrechts auf Parteien und die Sperrklausel in Höhe von 5 Prozent für verfassungswidrig.

Kommentar: zutreffend beschrieben!

II.

1. Die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs gegen die im Tenor genannten Richterinnen kann mit der Kammerentscheidung erfolgen, weil das Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig ist. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter; diese sind auch von der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 131, 239 <252 f.>; BVerfGK 8, 59 <60>).

Kommentar:
Wenn Verfassungsrichter, die von der Bundeskanzler ins Kanzleramt eingeflogen werden, um die zu erlassenden Urteile gegen Verfassungsbeschwerden zu erörtern, die gegen das Corona-Regime eingereicht wurden, dann kann kein Verfassungsrichter jemals befangen sein. Was für kleine Amtsrichter gilt, gilt für die Großkopferten schon lange nicht mehr. Dann ist natürlich jeder Ablehnungsantrag offensichtlich unbegründet. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

2. Das Vorbringen des Beschwerdeführers enthält lediglich Ausführungen, die zur Begründung einer Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind.

a) Offensichtlich unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch, wenn die abgelehnte Richterin – wie hier im Falle der Vizepräsidentin König – nicht zur Mitwirkung im vorliegenden Verfahren berufen ist (vgl. BVerfGE 142, 1 <4 f. Rn. 12>). Vizepräsidentin König gehört der 2. Kammer des Zweiten Senats nicht an.

Kommentar:
Die Vorsitzende des Zweiten Senats ist für die Abläufe in ihrem Verantwortungsbereich verantwortlich. Die Verantwortung wird regelmäßig an einen Richter, den Berichterstatter, delegiert, nach dem Vier-Augen-Prinzip ist der Vorsitzende aber immer noch verantwortlich. Wenn er aus der Verfahrensführung erkennen muss, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz eklatant missachtet wird, muss der Vorsitzende eingreifen. Tut er das nicht, erzeugt er schon wegen seiner Untätigkeit Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit.

b) Das gegen Richterin Wallrabenstein gerichtete Ablehnungsgesuch ist ebenfalls offensichtlich unzulässig. Der pauschale Verweis auf die bloße Mitwirkung an einer Entscheidung in vorangegangenen verfassungsgerichtlichen Verfahren, das ähnliche Rechtsfragen aufgeworfen hat, kann die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG offensichtlich nicht begründen (vgl. BVerfGK 8, 59 <60>). Eine Entscheidung von Verfassungsbeschwerden ausschließlich in der Reihenfolge ihres Eingangs ist nicht geboten.

Kommentar:
Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz hätten am 23. und 24.04.24 alle Beschwerdeführer zur mündlichen Verhandlung geladen werden müssen. Wenn die gemeinsame Verhandlung von 19 Verfahren zu unübersichtlich gewesen wäre, hätte man zeitnah eine zweite mündliche Verhandlung für die 12 Verfassungsbeschwerden ansetzen müssen. Die Richterin Wallrabenstein, die von den Grünen vorgeschlagen wurde, hat mit dem gewählten Verfahren, die 12 Beschwerden der Normalbürger völlig zu ignorieren, fundamentale rechtsstaatliche Prinzipien verletzt. Im Sinne von Walter Ulbricht sah diese Vorgehensweise noch nicht einmal mehr demokratisch aus.

III.

Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführenden angezeigt.

Kommentar:
Dass es diese Gründe über ein Jahr noch ihrer Einreichung nicht mehr gegeben haben soll, war Absicht. Es hat sie aber objektiv gegeben, denn die Argumente der Beschwerde wurden in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert. Vor anderen Gerichten wäre das eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Dass der Verfasser männlich ist und kein geschlechtsloser „Beschwerdeführender“ zeugt von der ideologischen Verirrung des BVerfG, das nicht die Sprache des Volkes, sondern Genderkauderwelsch sprechen will. Zum Zeitpunkt des Beschlusses war er auch kein Beschwerdeführender mehr, denn er hatte seine Beschwerde schon 413 Tage zuvor ausgeführt.

1. Soweit sie sich gegen § 18 Abs. 1 BWahlG wendet, ist sie verfristet und daher unzulässig. Die Beschränkung des Vorschlagsrechts für Listenwahlvorschläge, die der Beschwerdeführende rügt, ist durch das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes nicht verändert worden.

Kommentar:
Im Bundesgesetzblatt, Teil I 2023, ausgegeben zu Bonn am 13. Juni 2023, Nr. 147, Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. Juni 2023 steht in Artikel 2 (Änderung des Bundeswahlgesetzes): „Das Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1482) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

5. § 18 Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

,(1) Wahlvorschläge können von Parteien und von Wahlberechtigten nach Maßgabe des § 20 eingereicht werden.’“

Das vom Bundestag beschlossene Gesetz sagt also, dass das Bundeswahlgesetz geändert wird, indem § 18 Absatz 1 neu gefasst wird, und das BVerfG behauptet das Gegenteil, dass also diese Regelung nicht geändert worden sei. Wenn man davon ausgeht, dass die Richter des BVerfG des Lesens und Schreibens mächtig sind, muss man hier von einer vorsätzlichen Rechtsverdrehung ausgehen. Oder gibt es inzwischen auch bei den Juristen alternative Wahrheiten? Wenn ein Mensch mit Penis und Bartwuchs, der sich als Frau bezeichnet, kein Mann mehr sein soll, kann eine Gesetzesänderung, bei der die Politiker das Gesetz nur ein bisschen und gar nicht so richtig ändern wollten, abweichend vom Gesetzblatt auch zu einer gefühlten Nicht-Änderung umdefiniert werden. Es gibt inzwischen wohl auch ein „nicht so richtig schwanger“, wenn es ein „nicht so richtig geändert“ gibt.

Wir leben wohl inzwischen in einem Tollhaus!

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG wendet, ist sie aufgrund entfallenen Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

a) Die mit der Verfassungsbeschwerde angestrebte verfassungsrechtliche Überprüfung der inhaltlich veränderten Sperrklausel aufgrund des Bundeswahlgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2024 – 2 BvF 1/23 u.a. – vorgenommen. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG ist nach Maßgabe der Urteilsgründe nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, jedoch mit in dem Urteil genannten Maßgaben weiter anzuwenden. Die Entscheidung hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

b) Für eine auf denselben Gegenstand zielende verfassungsgerichtliche Entscheidung über die im Wesentlichen inhaltsgleichen Grundrechtsrügen besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. August 2017 – 1 BvR 571/16 -, Rn. 17; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Februar 2020 – 2 BvR 1494/16 -, Rn. 5 f.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19.Mai 2021 – 1 BvR 487/20 u.a. -, Rn. 5 f.).

Kommentar:
Das war von Anfang an das Ziel. Die Argumente sollten mit dieser Formalie übergangen werden. Bevor über eine begründete Verfassungsbeschwerde entschieden wird, befasst man sich mit einer anderen Beschwerde zum gleichen Gegenstand, in der das zentrale Argument nicht vorkommt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die regierungstreue Nichtregierungsorganisation ihre schlecht begründete Verfassungsbeschwerde nur deshalb eingereicht hat, damit sie im zentralen Punkt abgewiesen wird. Seit Corona ist man von den NGOs schon einiges gewöhnt.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kommentar: Für die Verhältnisse des BVerfG ist die Begründung schon sehr ausführlich.

Eine Beschreibung des ganzen Verfahrens findet sich auch hier.

Man kann zusammenfassen:

Es geht nicht um das Recht, es geht um die Macht! Eine Erneuerung des politischen Systems der BRD ist nicht vorgesehen. Es soll im Sinne von Walter Ulbricht demokratisch aussehen, das gelingt aber immer weniger. Man kann daran erinnern, dass auch die Sowjetunion nicht von ihren Feinden zerstört wurde, sondern wegen ihrer Verkrustung und an inneren Widersprüchen zusammengebrochen ist. Das war aber ein langer Weg. Verkrustungen und Widersprüche haben wir aber inzwischen auch.

Bild von Udo Pohlmann auf Pixabay

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wieder. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Prof. Dr. Werner Müller, ehem. Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Mainz, seit 2023 pensioniert und wohnhaft in Spanien.


Unsere Arbeit ist spendenfinanziert – wir bitten um Unterstützung.

Folge TKP auf Telegram oder GETTR und abonniere unseren Newsletter.



Bundesverfassungsgericht arbeitet mit groben methodischen Fehlern

Wurde SPD-Bundestagsvizepräsident vergiftet?

Schweizer Gericht weist Klage von entlassenen Impfkritikern ab

Skandalurteil: 2500 Euro Strafe für Ärztin wegen korrekter Warnung vor Impf-Schäden

Schweizer Parlament wehrt sich gegen eklatantes Klima-Fehlurteil des EGMR

11 Kommentare

  1. Informationsbefreier 30. August 2024 um 23:21 Uhr - Antworten

    Juristisch ist die Wahlrechtsreform wohl nicht zu knacken. Meine Strategie ist: Nur Kleinstparteien wählen, die nicht in Gefahr geraten, in Regierungsverantwortung zu kommen. Irgendwann ist die SPD der 5%-Hürde so sehr nahe, dass die Hürde gesenkt oder abgeschafft wird. Erste Diskussionsbeiträge in dieser Richtung sind in Bezug auf die bevorstehenden Landtagswahlen bereits zu vernehmen.

  2. Sabine Schoenfelder 30. August 2024 um 10:31 Uhr - Antworten

    Eine Verfassung ist immer nur so effizient wie ihre Hüter.
    Wenn Harbarth, Parteikollege der Kanzelöse, Gestalter des Migrationspakts und Merkelliebchen, regelmäßig von Karlsruhe nach Berlin zur Abrißbirne flog, CO2-Kurztrip-intensiv 😂👍, um mit Mutti die neuesten Einschränkungen der Freiheit und Klimabegründeten Wirtschaftssanktionen zu beschließen, wurde hier ostentativ und skrupellos die Gewaltenteilung ad absurdum geführt….und der Klimahype too. 😁😖✌️

  3. triple-delta 30. August 2024 um 10:23 Uhr - Antworten

    Übrigens gibt es für das angebliche Zitat von Walter Ulbricht keine Quelle. Was hier als Quelle angegeben wird, ist ein Witz. Aber Antikommunismus macht sich immer gut. Leider macht er auch dumm, wie man an diesem Text wieder feststellen kann. Man kann nämlich alles bei Marx und Engels nachlesen, wenn man sich dem Thema mal unvoreingenommen nähert. Am Schönsten liest sich Engels „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“, bestellbar sogar bei amazon.
    Da lernt man nämlich, dass der Staat das Machtinstrument der herrschenden Klasse ist, im Kapitalismus als das des Kapitals. Damit sollten alle Illussionen beseitigt sein. Jede Klassengesellschaft ist eine Diktatur. Der Rest ist Religion.

  4. Andreas I. 30. August 2024 um 0:48 Uhr - Antworten

    Hallo,
    ,,Seit Corona ahnen die meisten kritischen Geister, dass es in Deutschland weder unabhängige Gerichte, noch eine Gewaltenteilung gibt.“

    Corona-Viren wurden irgendwann Mitter der 1960er entdeckt, die gibt es also wohl schon seit geraumer Zeit; da waren die heute jüngeren noch gar nicht geboren.

    Und auch schon vor der Großen Hustenhysterie wandten sich Menschen an das Bundesverfassungsgericht, in dem guten Glauben, dass es doch noch irgendwie Reste von Rechtsstaatlichkeit geben müsste.

    Also alles in allem kalter Kaffee,

  5. Jan 29. August 2024 um 21:41 Uhr - Antworten

    Deutschland hat drei wesentliche Energiequellen verloren (Gaspipeline, Braunkohle, Kernkraft) und die Grundrechte ohne Notlage ausgesetzt, liest man RKI oder Kubicki. Die Bundesrepublik hat Nudging betrieben und 80% der Bevölkerung auf Staatskosten ein langfristig wirkendes Gift injiziert – davon muss man nach Durchsicht aktueller Studien ausgehen.

    Der Geschichtslehrer fragt die 14-jährigen: Wielange hat ein Staat, der die Energiegrundlagen verliert, die eigene Verfassung aussetzt und die Bevölkerung vergiftet noch Bestand? 100 Jahre? 30 Jahre? Bis der Schaden unübersehbar wird?

    Danke für den Versuch, die verfassungsmäßige Ordnung herzustellen!

  6. Glass Steagall Act 29. August 2024 um 21:14 Uhr - Antworten

    Eine parlamentarische Demokratie ist auch keine echte Demokratie, sondern eine Elitendemokratie nach Prof. Rainer Mausfeld!

    Tja, was wollen uns die Politiker und ihre juristischen Erfüllungsgehilfen mit solchen Begründungen wie im Artikel mitteilen? Sie sind die Herrscher und wir das Volk nur Sklaven! Auch das ist meilenweit von einer echten Demokratie entfernt! Das Problem ist nur, die meisten Menschen wissen nicht einmal, was eine echte Demokratie wirklich ist! Somit geben sich alle mit dieser Scheindemokratie zufrieden und hoffen alle vier Jahre mit ihrer Stimmenabgabe auf eine Besserung, die nie eintrifft!

  7. Konrad Kugler 29. August 2024 um 19:47 Uhr - Antworten

    1915, Öffnung der Grenzen: Deutschland spinnt.
    Heute: Deutschland ist verwahrlost.
    Ich traue den Regierungen inzwischen jede Schweinerei zu.

  8. Der Zivilist 29. August 2024 um 19:16 Uhr - Antworten

    Wahlen ?

    Muß ich denn immer wieder beweisen, daß ich noch genau so blöde bin, wie vor 4 Jahren ?

    Ich behalt‘ meine Stimme und nehm‘ damit an der Willensbildung teil.

  9. W. Baehring 29. August 2024 um 19:00 Uhr - Antworten

    Zitat: „…Unabhängige Gerichte sollen die Bürger vor einem übergriffigen Staat schützen. In Wirklichkeit schützen die Gerichte den Staat vor seinen Bürgern“.
    Hier hat Prof. Müller aus meiner Sicht nicht exakt formuliert:
    Es gibt keinen „übergriffigen Staat“, sondern nur eine übergriffige Regierung, die ihre temporäre Macht im Namen des Staates mißbraucht.
    Die Regierung ist also nicht der „Staat“, sondern nur ein durch demokratische Wahl für eine Legislaturperiode autorisierter treuhänderischer Verwalter des Staates. Diese demokratische Wahl
    verleiht der Regierung aber nicht per se einen demokratischen Heiligenschein, unter dem sie Ihre undemokratischen Machenschaften verstecken könnte.
    Genau diese unzulässige, anmaßende Gleichsetzung von Staat und Regierung hat der Verfassungsschutz benutzt, um den Straftatbestand der „verfassungsschutz-relevanten Delegitimierung des Staates“ zu schaffen und zu begründen.
    Deshalb ist es wichtig, die Trennung nicht zu verwischen bzw. immer wieder darauf hinzuweisen!
    Der Freiburger Staatsrechtler Prof. Dietrich Murswiek hat dazu Folgendes ausgeführt (Zitat): „Der Verfassungsschutz …verwechselt (absichtlich) Kritik an der Regierung mit Kritik am Demokratie- und am Rechtsstaatsprinzip. Er sieht „eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten“ als Delegitimierung des Staates und deshalb als verfassungsfeindlich an. Mit diesem Vokabular weicht er die Grenzen juristisch fassbarer Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung auf und ermächtigt sich selbst dazu, oppositionelle Bestrebungen als extremistische Bestrebungen zu bewerten. Im demokratischen Staat gehört es (aber) zum Wesen der Opposition, Kritik an der Regierung zu üben. Es ist das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der – parlamentarischen und der außerparlamentarischen – Opposition, alles zu kritisieren, was die Regierung macht – ob diese Kritik berechtigt ist oder nicht. Ob sie berechtigt ist oder nicht, entscheidet nicht der Verfassungsschutz, sondern das entscheidet jeder für sich, insbesondere an der Wahlurne.“

    • OMS 29. August 2024 um 20:19 Uhr - Antworten

      👏👏👏Es gibt keinen „übergriffigen Staat“, sondern nur eine übergriffige Regierung, die ihre temporäre Macht im Namen des Staates mißbraucht. – Totalitäre Systeme dulden eben keine Kritik oder anderei Meinungen.

    • Jan 29. August 2024 um 21:43 Uhr - Antworten

      Am Ende geht es immer darum, wovon sich der Wähler beeindrucken lässt!

Regeln für Kommentare: Bitte bleibt respektvoll - keine Diffamierungen oder persönliche Angriffe. Keine Video-Links. Manche Kommentare werden erst nach Prüfung freigegeben, was gelegentlich länger dauern kann.

Regeln für Kommentare: Bitte bleibt respektvoll - keine Diffamierungen oder persönliche Angriffe. Keine Video-Links. Manche Kommentare werden erst nach Prüfung freigegeben, was gelegentlich länger dauern kann.

Aktuelle Beiträge