Der Westen im Sinkflug: Emmanuel Todds Diagnose der Krise

20. September 2025von 30,9 Minuten Lesezeit

Emmanuel Todd hat mit seinem Buch „Der Westen im Niedergang“ von 2024 in den Alternativmedien viel Aufmerksamkeit erfahren. Es wurde zum Beispiel von Ulrike Guérot ausdrücklich gelobt. Tatsächlich gehört Todd zu den vergleichsweise wenigen europäischen Intellektuellen, die erkennen, dass der Westen Probleme hat. Die Frage ist nur, welche Ursachen er für diese Probleme sieht und welche Strategien daraus folgen.

Zurecht sieht Todd den Ukrainekrieg als Wendepunkt, der viele bisher verborgene Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung offengelegt hat. Darunter befindet sich die große wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Russlands, das Verschwinden Europas als eine ernstzunehmende Macht, die Unfähigkeit des Westens, die Ukraine mit den benötigten Waffen zu versorgen, der Aufstieg der multipolaren Welt und der damit korrespondierende Niedergang des Westens.

Todd möchte nun die Ursachen dieser Entwicklungen erklären. Er bezieht sich dabei vor allem auf Max Weber, den Anti-Marx des 20. Jahrhunderts, der Karl Marx von den Füßen auf den Kopf gestellt hat. Weber war davon überzeugt, dass die protestantische Ethik den Kapitalismus hervorgebracht habe, nicht etwa umgekehrt. Todd übernimmt diese These und schlussfolgert, dass das Verschwinden des Protestantismus den Niedergang des Westens samt seines Kapitalismus zur Folge hat.[1]

Außerdem glaubt er, in den unterschiedlichen Familienformen einen Universalschlüssel für das Verständnis der Geschichte gefunden zu haben.

Von zentraler Bedeutung ist für ihn auch Anzahl der Studierenden in einen Jahrgang. Wenn diese eine bestimmte Marge überschreite, die etwa bei 25 bis 40% liege, dann würde sich die für das Funktionieren der politischen Demokratie wichtige Idee der Gleichheit auflösen und einer neuen Rechtfertigung von gesellschaftlicher Ungleichheit Platz machen.

Todd identifiziert drei Stufen beim Niedergang der Religion, insbesondere des Protestantismus:

  1. Religion im Aktivzustand: Besuch des Gottesdienstes ist rege, Kirchliche Eheschließung, Ehepaare bekommen viele Kinder, die Frau ist dem Manne klar untergeordnet. Die fortgeschrittendsten kapitalistischen Länder Europas verließen diesen Zustand im Zeitraum von 1870 bis 1930.
  2. Religion im Zombiezustand: Der Besuch des Gottesdienstes geht stark zurück, aber die drei Übergangsriten Geburt, Ehe und Tod bleiben in das christliche Erbe eingebettet. Die Zivilehe ist nach wie vor auf Fortpflanzung ausgerichtet, wobei die Geburtenzahl aber stark zurück geht. Frauenemanzipation. Angehörige der christlichen Zombiegesellschaft lehnen nach wie vor eine Einäscherung ab. An die Stelle der Religion als moralische Instanz und Sinn des Lebens treten Weltanschauungen wie der Sozialismus. Diese haben die christlichen Werte wie Nächstenliebe weitgehend übernommen und modernisiert.[2] Gemeinschaften bleiben deshalb kohärent und handlungsfähig. Religion im Zombiezustand dauerte im Westen etwa bis 2010.
  3. Religion im Nullzustand: Komplette Entchristlichung, Ehe für alle, also auch für Homosexuelle. Die Geburtenzahl geht erneut zurück und sinkt weit unter die Reproduktionsrate von 2,2 Kindern pro Frau. Hochschnellen der Quote von Einäscherungen. Transgenderbewegung. Das biologische Geschlecht könne angeblich willkürlich gewechselt werden. Weitgehendes Verschwinden der Weltanschauungen, große innere Leere und Orientierungslosigkeit, Nihilismus, schwaches Über-Ich, damit auch kein Ich-Ideal oder Gewissen. Im Westen befindet sich die Religion etwa seit 2010 im Nullzustand.[3]

Anhand dieser Faktoren, also dem Niedergang der Religion, unterschiedlichen Familienformen, der Anzahl der Studierenden pro Jahrgang und ökonomischen Beobachtungen, die eigentlich nicht in seine Theorie passen, beschreibt Emmanuel Todd die Entwicklung unterschiedlicher Gesellschaften. Im Folgenden sollen die Sowjetunion / Russland, Europa und die USA dargestellt werden.

Sowjetunion / Russland

Hauptursache für die Oktoberrevolution 1917 ist für Todd nicht etwa die Industrialisierung des Zarenreiches, das Massenelend der Arbeiter, die Entstehung der Arbeiterbewegung in Russland in den 1890er Jahren, der Weltkrieg, der das Elend der Arbeiter noch verschärfte, die extrem ungerechte Besitzverteilung auf dem Lande, die Unfähigkeit der bürgerlichen und rechtssozialistischen Parteien 1917, die Krise des Landes zu lösen und der Aufschwung der Bolschewiki in diesem Jahr.[4] Nein, für Todd liegt das Aufkommen des „Kommunismus“ in Russland an der kommunitären Bauernfamilie, in der ein Vater mit seinen verheirateten Söhnen zusammenlebt. Das desorientierte Individuum suche seiner Meinung nach in der Partei, in der Planwirtschaft und sogar im KGB[5] Ersatz für die väterliche Macht.[6]

Als in der Sowjetunion 1985 mehr als 25% eines Jahrganges Zugang zu Hochschulbildung bekamen, zerfiel nach Meinung von Todd die sozialistische Ideologie. Denn das Verhältnis zum geschriebenen Text und zur Ideologie wurde kritischer, Beschwörungen des Anführers oder der Partei erschienen nicht mehr transzendental. Eine neue Lust an sozialer Ungleichheit entstand und der „Kommunismus“ erlebte sein Debakel.

Nach einer Zeit der Wirren in den 90er Jahren stabilisierte Wladimir Putin das aus der Sowjetunion hervorgegangene Russland. Der Westen hofft immer noch, dass die Mittelschichten nicht nur den „Kommunismus“, sondern auch Putin stürzen. Tatsächlich sind die wohlhabendsten und am meisten gebildeten Schichten besonders in Moskau und St. Petersburg am kritischsten gegenüber Präsident Putin (Todd spricht penetrant vom „Regime“) eingestellt. Allerdings ist der Aufbau einer liberalen westlichen Demokratie in Russland nicht zu erwarten, denn Werte wie Egalität und Autoritarismus, die in der Familie und im gesamten sozialen Leben bis 1991 vorherrschten, können nicht innerhalb von wenigen Jahren aussterben. Genau darin liegt sogar Russlands Stärke. Diese Werte ermöglichen es, ein Abgleiten in den absoluten Individualismus zu verhindern, wozu es im Westen gekommen ist. Deshalb konnte Russland seine Souveränität in einer globalisierten Welt bewahren.[7]

Die Russland verabreichte Schocktherapie in den 90er Jahren führte zu einer Explosion der sozialen Ungleichheit. Noch im Jahr 2021 sicherten sich die obersten 1 Prozent der Einkommenspyramide 24 % des Bruttoeinkommens (USA: 19%). Aber im Unterschied zum Westen stiegen seit den 00er Jahren auch die Einkommen der breiten Bevölkerung. Die russische Mittelschicht expandierte. Die Raten von Selbstmord, Mord und alkoholbedingten Todesfällen gingen genauso zurück wie die Kindersterblichkeit. Die Bevölkerung kommt in den Genuss des wiederhergestellten sozialen Friedens. Zusammengenommen waren in Russland die Lebensbedingungen noch nie so gut und auch die politischen Freiheiten nie so hoch wie unter Präsident Putin.

Der Traum eines Aufstandes gegen Putin, von dem der Westen besessen ist, rührt daher, dass er sich weigert, die Verbesserung der Lebensbedingungen in Russland sowie die Besonderheiten seiner politischen Kultur auch nur zur Kenntnis zu nehmen. [8]

Das Hauptproblem Russlands liegt nach Todd in der Demographie. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus brauch auch die Geburtenrate Russlands ein und zwar auf 1,35 Kinder pro Frau im Jahr 2000. Zwar erholte sie sich wieder etwas, aber sie liegt heute nur bei 1,5 Kindern. Das bedeutet: In fünf Jahren, also Ende der 20er Jahre, kommen die schwachen Jahrgänge ins Erwachsenenalter und die Mobilisierung dürfte dann sehr schwierig werden, so Todd.[9]

Europa

Wie gezeigt wurde, haben sich in Russland alle objektiven Indikatoren verbessert und das Land hat sein Gleichgewicht wiedergefunden. Russland kann also nicht der Ursprung der gegenwärtigen Krise sein, egal was westliche Politiker und Propagandisten behaupten.

Der Westen dagegen ist nicht stabil, er ist sogar krank. Zugleich hatte er bisher in Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft eine zentrale Position in der Welt inne. Seine Krise ist damit eine Weltkrise.[10]

Wenn der Protestantismus die Ursache des westlichen Aufschwungs war, wie Max Weber und auch Todd behaupten, dann muss sein Verschwinden der Hauptgrund für den heutigen Zerfall bzw. seinen Niedergang sein.[11]

Der Protestantismus sorgte einerseits für eine Alphabetisierung, weshalb die Bevölkerung fähig war zu technologischer und wirtschaftlicher Entwicklung. Die Prädestinationslehre, nach der es – von Gott vorherbestimmt – Auserwählte und Verdammte gibt, sorgte für eine hohe Anstrengungsbereitschaft der Eliten, um durch Reichtum zu demonstrieren, dass man zu den Auserwählten gehöre. Er führte aber auch zur Ablehnung des Egalitarismus und zum Rassismus.[12]

Modifiziert wird die Wirkung des Protestantismus nach Todd durch unterschiedliche Familienverhältnisse. Bei der deutschen Stammfamilie war zum Beispiel nur ein Sohn dazu berufen, neben dem Vater zu stehen. Da sich der Erstgeborene nicht im Kampf gegen seine Brüder aufreibt oder die Brüder gegen ihren Vater vereinigen können, entsteht eine stabile soziale Ordnung, die durch Revolutionen nicht erschüttert werden kann.

Soweit Todd. An diesem Beispiel zeigt sich aber auch, wie unzulänglich dieses Erklärungsmuster ist. Denn das Anerbenrecht, auf das Todd anspielt, existiert nur in etwa der Hälfte Deutschlands. In der anderen Hälfte gab es das Prinzip der Realteilung, wo der Grund und Boden des Erblassers gleichmäßig unter allen Erben aufgeteilt wurde. Dies galt auch für den Adel, wovon zahlreiche Landesteilungen zeugen. Dabei ist es nicht so, dass diese Unterschiede mit konfessionellen Grenzen einhergehen. Vielmehr kommt jede der beiden Erbsitten sowohl in katholischen wie auch in evangelischen Gebieten vor. Im protestantischen Altwürttemberg dominierte zum Beispiel die Realteilung, was häufig als Ursache für den industriellen Aufschwung des Landes gesehen wird.

Im öffentlichen Diskurs heißt es, dass die liberalen westlichen Demokratien im Ukrainekrieg gegen den Autokraten Putin verteidigt werden müsse. Dabei war es vor dem Krieg weitgehend Konsens, dass sich die westlichen Demokratien in der Krise befinden und wir eher in einer Postdemokratie leben.

Dabei beklagten die Eliten ein Abdriften der Bevölkerung hin zu einer fremdenfeindlichen Rechten, die Bevölkerung wiederum kritisiert den „wahnsinnigen Globalismus“ der Eliten. Unter diesen Umständen macht die repräsentative Demokratie keinen Sinn mehr. Denn die Elite will das Volk nicht mehr vertreten und das Volk will von der Elite nicht mehr vertreten werden.

Als Mitglied einer Massenelite mit Hochschulausbildung respektieren die Volksvertreter die Bevölkerung mit Haupt- oder Realschulabschluss nicht mehr. Sie können nicht anders, als die Werte der Hochgebildeten für die einzigen legitimen zu halten. Alles andere sei bedeutungslos und leer.[13]

Während Todd das russische politische System als autoritäre Demokratie bezeichnet, ist diese Demokratie im Westen verschwunden. Man muss hier also von liberalen Oligarchien sprechen.

Diese Neuklassifizierung erlaubt es, die Ziele, Stärken und Schwächen des Westens in seinem Krieg gegen Russland besser zu begreifen.[14]

  • Die Eliten haben große Angst, dass sich die unteren Schichten der Gesellschaft in Richtung Russland bewegen, mit dessen Ideologie die westlichen Populisten einige Gemeinsamkeiten haben.
  • Die Eliten setzten auf wirtschaftliche Kriegsführung gegen Russland, weil nicht sie, sondern primär die unteren Schichten der westlichen Gesellschaft durch Inflation und sinkendem Lebensstandard davon betroffen sind.
  • Die chaotische Funktionsweise liberaler Oligarchien bringt diplomatisch inkompetente Eliten hervor und damit massive Fehler in der Bewältigung der Konflikte mit China und Russland.[15]

Letzteres ist nach Todd ein entscheidendes Moment. Obwohl Wahlen formell weiterbestehen, wird das Volk von der Verwaltung des Staates und der Verteilung des Wohlstandes ferngehalten. Es muss also getäuscht werden und das ist die Hauptaufgabe der politischen Klasse.

Da die Politiker völlig in Beschlag genommen sind von der Aufgabe, Wahlen zu gewinnen, haben sie keine Zeit, sich mit internationalen Beziehungen zu beschäftigen. „So betreten sie die große Weltbühne ohne jegliche notwendige Grundkenntnisse. Schlimmer noch: Sie sind daran gewöhnt, zu Hause über die weniger Gebildeten zu triumphieren, zwar mühsam, aber meistens mit Erfolg (denn das ist ihr Job), fühlen sich dadurch in ihrer intrinsischen Überlegenheit bestätigt und finden sich nun gegenüber echten Gegnern wieder, die sie kaum beeindrucken können […].“[16]

Nicht nur eskalierte der Krieg der oberen Gesellschaftsschichten gegen die unteren, sondern die Bildungsschicht hat mit Wonne Glaubenssätze und Ideologien platzen lassen. Es kam zu einer extremen sozialen Fragmentierung der Gesellschaft, einer Leere. Angegriffen wurden insbesondere Weltanschauungen, die als Religionsersatz fungierten: Sozialismus, Sozialdemokratie, Gaullismus, Christdemokratie etc. In dieser Situation des Vakuums gewann der Staat erneut an Macht und damit auch diejenigen, die ihn steuern. Wir sind in ein absolutes religiöses und weltanschauliches Vakuum eingetreten.

Damit verfallen auch Werte wie Arbeitsethik, gesellschaftliche Moral und Opferbereitschaft gegenüber der Allgemeinheit. Diese Werte werden sich kurzfristig kaum wiederherstellen lassen.[17]

Das Über-Ich im Freudschen Sinne hat einen schlechten Ruf. Es gilt als eine unsympathische Kontrollinstanz, welche die persönliche Entwicklung zurückhält und verhindert. Aber das Über-Ich ist auch das Ichideal, das es dem Individuum ermöglicht, sich über seine unmittelbaren Wünsche zu erheben, um besser zu sein und mehr zu sein als man selbst. Der religiöse Nullzustand schwächt das Überich und bringt einen Nihilismus hervor sowie zahlreiche weitere Scheußlichkeiten.[18]

Mit seinen Wirtschaftssanktionen, die sich zunehmend auch gegen neutrale Mächte wie Indien richten, eskalierte der Westen einen lokalen Konflikt zu einem Weltkrieg. Jetzt geht es für ihn, besonders für Europa, um alles oder nichts. Die Beendigung der russischen Gasversorgung ließ zusammen mit dem Kampf gegen das CO2[19] die Energiepreise in die Höhe schießen und führte zu einer Deindustrialisierung. Die EU ist global gesehen nicht mehr wettbewerbsfähig. Dies zeigt sich unter anderem an ihrer Handelsbilanz, die von +116 Milliarden Euro 2021 auf -400 Milliarden 2022 geradezu abstürzte.[20]

Weitere Kosten für Europa entstanden durch den Abbruch der Handelsbeziehungen zu Russland infolge der zahlreichen Sanktionspakete der EU.[21]

Die europäische Strategie gegenüber Russland ist rational nicht zu erklären und wird immer unverständlicher. Denn Europa trägt die wirtschaftliche Hauptlast des Krieges. Dabei zeigte spätestens das Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive vom Sommer 2023, dass Russland nicht besiegt werden kann. Dennoch hält die EU stur an abwegigen Kriegszielen fest, etwa wenn gesagt wird, es gehe darum, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen und das Land sei aufzuspalten.

Ein weiteres Ziel des Westens ist es, die von Russen bewohnten Gebiete im Osten der Ukraine und die Krim wieder der ukrainischen Zentralregierung zu unterstellen. Dabei interessiert es ihn überhaupt nicht, dass die dort lebenden Russen dies inzwischen kategorisch ablehnen, die russische Sprache in der Ukraine verboten ist, das ukrainische Regime seit 2014 für zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist und weitere für den Fall der Rückeroberung angekündigt hat. Hinzu kommt, dass die EU-Staaten eine Autonomielösung für den Donbass innerhalb der Ukraine im Rahmen des Minsk II-Abkommens von 2015 bewusst torpediert haben.

Allein aus diesen Gründen muss man nach Todd das Handeln des Westens als Aggressionskrieg bezeichnen. Zumindest zeigt es einen Nullzustand der Moral.[22]

Dies liegt nicht an Zufall oder Dummheit. Denn das Projekt Europa ist tot. In dieser Situation wirkt der Ukrainekrieg wie ein Glücksfall. Die EU braucht einen äußeren Feind, um wieder zusammengeschweißt zu werden und neu in Gang zu kommen. Angesichts der zunehmenden Ungleichgewichte, die der Euro geschaffen hat und des Leerlaufs seiner Institutionen geht es der EU nicht zwangsläufig darum, sich wieder aufzuraffen – das dürfte auch kaum mehr möglich sein. Vielleicht ist der Krieg eher ein suizidaler Reflex. Nachdem unsere Eliten Europa durch die Fehlkonstruktion des Euro in eine schwere Krise geführt haben, besteht nun die unausgesprochene Hoffnung, dass der endlose Krieg alles implodieren lässt – wobei man Putin die Schuld hierfür geben kann.[23]

Die Rolle der USA ist es, Europa bei seinem Suizid zu assistieren. Emmanuel Todd geht davon aus, dass eine autonom-oligarchische Entwicklung in Europa zu Beginn der 00er Jahre abgebrochen ist und die herrschende Klasse dieses Kontinents von den USA überwältigt wurde. Todd macht dies nicht etwa an der Zerschlagung der Deutschland AG und vergleichbarer Monopolkomplexe in anderen europäischen Ländern fest sowie am Aufstieg der titanischen Schattenbanken wie Blackrock, sondern nur daran, dass die Reichen ihre Gelder in Steueroasen versteckten, worauf die USA Zugriff haben und ihnen diese Gelder entziehen können. Zudem besitzt die NSA durch ihre Totalüberwachung der Welt praktisch von allen Prominenten ein Kompromat, das gegen ungehorsame Kapitalisten und Politiker Europas eingesetzt werden kann.[24]

Während die Macht der USA global schwindet, nimmt ihr Einfluss auf Europa zu. Gerade weil sich das amerikanische System zusammenzieht, lastet es umso schwerer auf Europa, das als letzte Bastion übrig bleibt.[25]

USA

Das Zentrum der gegenwärtigen Weltkrise befindet sich in den USA. Das wahre Problem ist nicht der begrenzte russische Machtwille, sondern die unbegrenzte Dekadenz des amerikanischen Zentrums. Seine Krise hat ökonomische, gesellschaftliche und politische Aspekte.

Ökonomisch ist die Abhängigkeit der USA vom Rest der Welt immens geworden, während gleichzeitig ihre Gesellschaft zerfällt. Diese beiden Aspekte verstärken sich gegenseitig. Die schwindende Kontrolle über externe Ressourcen verursacht einen weiteren Einbruch des Lebensstandards, der ohnehin nicht glänzend ist.[26]

Hauptursache für die Krise ist der Zerfall des Protestantismus. Dabei war die Zombiephase des amerikanischen Protestantismus, deren Höhepunkt in die Eisenhowerzeit (1952-1960) fällt, noch hochproduktiv. Inzwischen ist der Protestantismus aber auf dem absoluten Nullpunkt angekommen. Antrieb der Politiker ist nur noch ihre Gier nach Geld und Macht. Für sich genommen können das jedoch keine Ziele oder Werte sein. Diese Leere hat einen Hang zur Selbstzerstörung, zum Militarismus, letztlich zum Nihilismus, der von einer fieberhaften Aktivität um ihrer selbst willen überdeckt wird.[27]

Ein Indikator der sozialen Krise ist die Entwicklung der Lebenserwartung in den USA. Diese sank von 78,8 Jahren in 2014 auf 76,3 Jahre in 2021. Damit sie inzwischen geringer als die der Briten mit 80,7, der Deutschen mit 80,9, der Franzosen 83,2 und der Japaner mit 84,5 Jahren (alle 2021). Nur im Vergleich zu Russland mit 71,3 Jahren (2020) ist sie noch höher. Russland trägt damit noch die Spuren des gesellschaftlichen Zusammenbruchs der 90er Jahre, wo die Lebenserwartung richtiggehend abgestürzt ist. An ihrem Tiefpunkt im Jahr 2003 lag sie nur noch bei 65,0 Jahre. Sie ist also unter Putin um über 6 Jahre gestiegen und wird aller Voraussicht nach weiter steigen.

Auch die Kindersterblichkeitsrate ist in den USA höher als in allen anderen Industrieländern. Jahr 2020 lag sie bei 5,4 auf 1000 Lebendgeburten, demgegenüber bei 4,4 in Russland, bei 3,5 in Frankreich, 3,1 in Deutschland und 1,8 in Japan.

Dieser Anstieg der Sterblichkeitsrate geht einher mit den weltweit höchsten Ausgaben im Gesundheitswesen, die 2020 18,1 % des amerikanischen BIPs betrugen, aber nur 12,2 in Deutschland und 11,9 in Großbritannien.

Scheinbar passt diese Aussage nicht mit der Tatsache zusammen, dass die Religiosität in den USA deutlich höher ist als in anderen Industrieländern. Der Evangelikalismus, der in mehreren Schüben immer wieder zu einem Massenphänomen wurde, hat jedoch andere Züge als der klassische Protestantismus. Der Calvinismus war streng. Er verlangte von den Menschen die Einhaltung einer strikten Sexual- und Arbeitsmoral, was den Kapitalismus voranbrachte. Der Evangelikalismus brachte dagegen vor allem regressive Elemente mit sich: Wortwörtliche Auslegung der Bibel, eine wissenschaftsfeindliche Mentalität und einen pathologischen Narzismus.[28]

Weitere Belege für die Entwicklung eines Nullprotestantismus nach Todd:

  • Die Geburtenrate fiel auf 1,8 Kinder pro Frau. Die Paare fühlen sich also nicht mehr von Gott überwacht.
  • Im Jahr 2010 akzeptierten sogar 70% der regelmäßigen Kirchgänger die Homosexualität, bei seltenen Kirchgängern waren es 83%.
  • Einführung der Ehe für alle im Jahr 2015 auf Bundesebene.
  • Die USA waren Vorreiter der sexuellen Revolution und später der Genderrevolution. Daraus entstand die Transgenderbewegung, welche biologische Tatsachen ignoriert.
  • Verbale und mathematische Fähigkeiten gingen zurück, ebenso die Intelligenz.

Für Todd war die Eisenhowerzeit (1952-1960) die beste Epoche der amerikanischen Gesellschaft im Bezug auf Bildung, Industrie und Egalitarismus. Voraussetzung für den relativen Egalitarismus unter Weißen war jedoch der Rassismus gegenüber den Schwarzen. Denn der Protestantismus sah die Trennung der Auserwählten – hier der Weißen – von den Verdammten – den Schwarzen – vor. Wenn Schwarze unter verschiedenen und häufig willkürlichen Vorwänden eingesperrt werden, ist dies ein Zeichen ihrer Verdammnis und wird von den Auserwählten mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Gefängnisse in den USA sind demnach durchaus und bewusst der Hölle nachgebildet.

Sobald als Folge der Bürgerrechtsbewegung die Schwarzen nicht mehr das Prinzip des Inegalitarismus verkörperten, zerfiel die Gleichheit unter den Weißen. Die Bildungsrevolution und die Schwarzenemanzipation verstärkten sich dahingehend, dass die demokratischen Ideale nachhaltig verblassten. Die Emanzipation der Schwarzen vollzog sich zu einer Zeit, als die ökonomischen Möglichkeiten für die unteren Bevölkerungsschichten infolge des Verschwindens der Industrie zurückgingen. Dies erschwert es ihnen sehr, sich aus ihrer gesellschaftlich untergeordneten Position zu befreien, auch wenn der offene Rassismus weitgehend verschwunden ist.

Weitere gesellschaftliche Verfallserscheinungen in den USA könnten von echten Protestanten als ein Beleg dafür verstanden werden, dass die USA aus der Gnade gefallen sind („falling from grace“). Machte die US-Amerikanische Mittelschicht in den 50er Jahren noch die weit überwiegende Mehrheit der Einwohner aus und umfasste auch die Arbeiterklasse, so ist sie heute auf die 10% der oberen Mittelschicht geschrumpft, die sich an die 0,1% der Oberschicht klammert und verzweifelt gegen ihren Abstieg kämpft. Die Zerstörung der Arbeiterklasse war die Hauptursache für den Niedergang der Mittelschicht.

In den 50er Jahren entwickelte sich Amerika zur Meritokratie. Barrieren für ein Universitätsstudium, das bisher de facto nur der WASP-Oberschicht offen gestanden hatte, wurden durch Einführung des Scholastic Aptitude Tests (SAT) aufgehoben. Dies hatte geopolitische Gründe, denn der Sputnik-Schock von 1957 ließ befürchten, dass die Sowjetunion eine technologische Überlegenheit erreichen könne. Diesen Scholastic Aptitude Test haben zwar Angehörige der Oberen Mittelschicht nach anstrengender und zeitaufwendiger Vorbereitung sehr häufig erfolgreich bestanden, aber er rief Ängste hervor. Der Test wurde in den letzten Jahren von immer weniger Universitäten genutzt, bis schließlich die angebliche Covid-Pandemie 2020 den Vorwand für seine weitgehende Abschaffung lieferte. Dies symbolisiert die Schließung des amerikanischen Universitätssystems und der Gesellschaft insgesamt, die von einer kleinen Oligarchie regiert wird.[29]

Das gigantische US-BIP in Höhe von 27,72 Billionen US Dollar (China 17,76 Billionen) 2023 verdeckt das weitgehende Verschwinden der US-Industrie. Dies wurde im Ukrainekrieg offensichtlich, als sich herausstellte, dass die USA nicht in der Lage waren, genügend Munition, Raketen und andere Militärtechnik für die Ukraine zu produzieren.

Ihre Industrie hat Stärken nur noch in zwei Bereichen: So in der Öl- und Gasförderung unter Nutzung der Fracking-Technologie, mit der eine Selbstversorgung erreicht werden konnte und im Bereich Computer, Internet und KI. Im Kernbereich der produzierenden Industrie, dem Werkzeugmaschinenbau, haben die USA nur noch einen Weltmarktanteil von 6,6 %, weit hinter China mit 24,8 % und den deutschsprachigen Ländern mit 21,1 %.

Ein großer Teil des BIP setzt sich aus Dienstleistungen zusammen, die nicht nur nichts zur Wertschöpfung beitragen, sondern an dieser unproduktiv parasitieren. Unter Berücksichtigung dieser Fakten würde das reale BIP nur noch 39.520 Dollar pro Person betragen und läge damit leicht unter dem der westeuropäischen Länder wie Deutschland mit 48.000 Dollar und Frankreich mit 41.000 Dollar.[30]

Anstelle von Ingenieuren und Technikern werden in US-Universitäten vor allem Anwälte, Banker und Betriebswirte ausgebildet, also eine Meute exzellenter Raubtiere.

Die USA wurden zwischen 1945 und 1965 von einer homogenen, kohärenten Elite regiert, die sich weitgehend aus WASPS zusammensetzte. Sie war durch persönliche Verbindungen aneinander geschweißt und bewahrte, was am Protestantismus gut war, beugte sich einer gemeinschaftlichen Moral, akzeptierte Wehrdienst, Blutzoll sowie eine ihrem Reichtum entsprechende Steuerlast. Sie führte eine verantwortliche Außenpolitik wenigstens in dem Sinne, indem sie Risiken genau abwog und einen großen alles vernichtenden Krieg mit der konkurrierenden Supermacht Sowjetunion vermeiden wollte.

Die Emanzipation der Frauen, Katholiken, Juden, Asiaten, Latinos und Schwarzen und ihr Aufstieg in diese Elite veränderte die Situation grundsätzlich. In einem Klima der Nullmoral bedeutet das Verschwinden der WASPs ein Verschwinden des gemeinsamen Ethos und von gemeinsamen Zielen. Nun ist das „Dorf“ Washington nur noch eine Ansammlung von Individuen, die jeder gemeinsamen Moral entbehren. Sie orientieren sich auch nicht mehr an höheren Werten wie Religion oder Geschichte. Ihr Bewusstsein ist lokal, dörflich. Mit einem schwachen Über-Ich ausgestattet, werden sie nur noch von Impulsen aus ihrer eigenen Bezugsgruppe, ihrem eigenen Netzwerk gesteuert. Da sie die weltweit mächtigste Führungsschicht bilden, ist dieser Fakt sehr beunruhigend. Es bleibt nichts mehr übrig als die reine Machtdynamik, welche auf die Außenwelt projiziert wird und eine Vorliebe für Militär und Krieg hervorbringt.[31]

Das außenpolitische Establishment der USA wird als Blob bezeichnet. Darunter versteht man eigentlich einen schleimig aussehenden, einzelligen Organismus, der in Wäldern anzutreffen ist, wo er sich vermehrt, indem er Bakterien und Pilze in seinem Umfeld absorbiert. Er besitzt kein Hirn.

Der Washingtoner Blob besteht aus einer weltfremden Gruppe von Akademikern und Halbakademikern, die in der Regel in ihrem Leben nichts anderes gemacht haben als Außenpolitik. Sie wechseln regelmäßig von Regierungspositionen zu Universitäten oder Thinktanks und zurück. Je ambitionierter die USA Weltpolitik betreiben, je mehr Kriege und Farbrevolutionen sie anzetteln, desto mehr Stellen werden benötigt und desto eher können sie sich bereichern. Dies ist angesichts der gegenwärtigen Verarmungs- und Verfallstendenzen in den USA durchaus ein bedeutender Faktor. Häufig kommen Heiraten innerhalb dieser Ingroup vor. Das bekannteste Paar ist der neokonservative Ideologe Robert Kagan und die – unter Biden – stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland.

Die Theorie des Tiefen Staates passt hier eher nicht. Todd meint, es wäre passender, diese Struktur als Flachen Staat zu bezeichnen. Riesige Staatsapparate wie die Armee oder die CIA werden geritten von einer kleinen Clique Halbintellektueller, die ein Dorf innerhalb von Washington, D.C. bewohnen.[32]

Wie entwickelt sich der Krieg des Westens gegen Russland?

In den letzten Kapiteln seines Buches untersucht Todd, wie sich der Krieg des Westens gegen Russland entwickelt. Seine Eliten scheinen irgendwo zwischen 1990 und 2000 eingefroren zu sein. Sie sind immer noch überzeugt, dass der Westen das Zentrum der Welt oder gar die ganze Welt darstellt.

Nur so kann die Erwartung seiner Politiker erklärt werden, Russland mit Sanktionen ruinieren zu können. Dabei haben nur die direkten Verbündeten der USA solche Sanktionen verhängt. Sie repräsentieren nicht mehr als 12% der Weltbevölkerung.

Aus dieser subjektiv empfundenen moralischen Überlegenheit erwarteten die westlichen Politiker, dass China die russische Intervention missbilligen und verurteilen werde. Dabei behandeln die gleichen Politiker China als den Hauptfeind und haben bereits angekündigt, das Land mit Krieg überziehen zu wollen.[33]

Es war die Strategie des Westens, die herrschenden Klassen des globalen Südens für sich einzunehmen, während die Völker dieser Länder unter verschiedenen Vorwänden wie Corona und Klima erneut einer neokolonialen Ausbeutung unterworfen werden sollten. Das hätte vielleicht auch funktioniert, aber die Beschlagnahme des Vermögens des russischen Staates und der russischen Oligarchen wirkte wie ein Schock auf diese herrschenden Klassen. Sie erkannten, dass ihre Vermögen im Westen nicht mehr sicher sind. Dies bewog sie, sich entschieden an China und die BRICS anzulehnen.

Durch den Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland wurde der Ukrainekrieg zum Dritten Weltkrieg. Im Wirtschaftskrieg kann es keine Neutralen geben. Wenn Sanktionen wirken sollen, dann müssen sich alle Länder ihnen anschließen. Deshalb tendieren die Sanktionen dazu, sich auf immer mehr Länder auszudehnen und aus einem regionalen Konflikt mit sehr begrenzten Zielen Russlands wurde ein Krieg um die Welthegemonie, der erst dann enden wird, wenn einer der Blöcke niedergerungen ist. Dabei kann man den Dritten Weltkrieg nicht auf den Schießkrieg reduzieren. Der Wirtschafts- und der Propagandakrieg sind wichtige Kriegsschauplätze. Sie sind viel wichtiger als in den früheren Weltkriegen.[34]

Soweit kann man Todd zustimmen. Andere Aussagen etwa über unterschiedliche Familienformen, die diese Konstellation erklären sollen, sind zwar weit hergeholt, aber irrelevant.

Eine Aussage demonstriert jedoch Todds Verachtung für die westlichen Armen und Niedriglöhner:

Er behauptet nämlich, dass das westliche Proletariat vollständig in einem Plebs (in antiken Sinne) verwandelt worden sei, der größtenteils von der Arbeit der Chinesen und anderer Völker dieser Welt lebe.[35]

Die Globalisierung habe den produktiven Arbeiter in einen parasitären Plebejer verwandelt, der kaum gewillt sei, den „disziplinierten Weg in die Fabrik zurückzufinden.“[36]

Dieser Faktor erkläre auch den Aufstieg der Rechtspopulisten: „Die linken, sozialdemokratischen oder kommunistischen Parteien wandten sich an die ausgebeuteten Arbeiterklassen. Die populistischen Parteien hingegen wenden sich an einen Plebs, dessen Lebensstandard sich weitgehend aus der unterbezahlten Arbeit der Proletarier aus China, Bangladesch, dem Maghreb und anderen Gebieten speist.“[37]

Der radikale Antimarxist Todd glaubt, aus dem Marxismus ableiten zu können, dass dieser Plebs – und nicht etwa die Kapitalisten – Ausbeuter von Mehrwert auf globaler Ebene seien.

Diese Aussage ist gleich in mehrfacher Hinsicht falsch. Sie zeugt zudem von einer großen Weltfremdheit. Wie Friedrich Merz ist Todd offenbar der Auffassung, dass alle im Niedriglohnsektor Beschäftigten im Grunde genommen nur auf ihrer faulen Haut liegen bzw. sich in der sozialen Hängematte räkeln würden. Dabei ist die Arbeit als Krankenschwester, Lagerarbeiter, Paketbote, Bedienung bei McDonalds etc. mindestens so anstrengend und auch genauso nervenaufreibend wie Fabrikarbeit. Nur wird sie deutlich schlechter bezahlt und die Arbeitsplätze sind unsicherer.

Die Lohnhöhe ist von der Stärke der beiden Hauptklassen Arbeiter und Kapitalisten abhängig. Ein wichtiger Faktor hierfür ist die Stärke der Industriellen Reservearmee, also die Arbeitslosigkeit. Ein weiterer Faktor ist die Stärke der Arbeiterbewegung sowohl auf nationaler wie globaler Ebene. Aus diesen beiden Gründen waren die Löhne im Westen in den Jahren 1945 -1989 vergleichsweise hoch: Mehr als ein Drittel der Erdoberfläche waren in dieser Zeit der kapitalistischen Ausbeutung entzogen. Arbeiter waren also vergleichsweise knapp und der Sozialismus eine reale Gefahr für die Kapitalisten.

Die einheimischen Arbeiter beuten ihre Kollegen in Ungarn oder China nicht allein deshalb aus, weil sie in den Genuss von preiswert dort hergestellten Produkten kommen. Vielmehr werden beide von ihren Kapitalisten ausgebeutet, die häufig identisch sind.

Schließlich haben die einheimischen Arbeiter nicht um die Verlegung ihrer Betriebe gebeten. Sie war vielmehr Teil des Klassenkampfes der Kapitalistenklasse von Oben, mit dem nach der Niederlage des Sozialismus die hohen Löhne in den Industrieländern reduziert werden sollten. Was auch gelungen ist.

Fazit

Wie ist das Buch von Todd zu bewerten? Dass sich der Westen im Niedergang befindet, hat sich inzwischen herumgesprochen und es gibt durchaus einige Veröffentlichungen zum Thema. So zum Beispiel von Ulrike Guérot, Hauke Ritz und Fadi Lama.

Emmanuel Todd ist wie gesagt ein Weberianer. Die Theorietradition ist in der westlichen Soziologie nicht ganz ungewöhnlich. Immer wieder wurden in diesem Fach Lehrstühle mit Personen besetzt, die sich in der Tradition von Max Weber sehen. Dies hauptsächlich als Gegengewicht gegen den Marxismus. Da aber der Marxismus im Westen komplett aus dem öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs verschwunden ist, braucht man auch kein Gegengewicht mehr. Insofern ist auch Todd ein Relikt einer vergangenen Zeit.

Todd behauptet, dass der Calvinismus durch seine Prädestinationslehre und seine Bildungsbeflissenheit erst den Kapitalismus erst hervorgebracht habe. Das stimmt allein deswegen nicht mit der empirischen Wirklichkeit überein, weil der Frühkapitalismus in Italien, Flandern und dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bereits vor der Reformation aufgekommen ist. Ganz im Gegenteil war der Calvinismus die passende Legitimationsideologie für die frühe Bourgeoisie, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt entwickelte. Mit der Betonung von Arbeit, Disziplin und individueller Verantwortung wirkte er allerdings auch auf den Kapitalismus positiv zurück. Der Calvinismus kam aber noch nicht einmal in allen frühen kapitalistischen Ländern vor. Demnach kann sein Verschwinden auch nicht die Ursache des Niederganges des Westens sein. Diese liegt eher im Kern der kapitalistischen Produktionsweise selbst, insbesondere im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate.[38]

Selbst wenn wir annehmen, der Calvinismus sei die Ursache für das Aufkommen des Kapitalismus gewesen, so bedeutet das noch lange nicht, dass er immer zu allgemeinem Wohlstand führt, wie Todd suggeriert. Denn für ihn ist die Eisenhowerzeit (1952-1960) in den USA das Idealbild des Kapitalismus. Damals machte die US-Industrie etwa 50% der weltweiten Industrieproduktion aus, das Bildungsniveau war höher als in allen anderen Ländern und die Universitäten öffneten weit ihre Tore. Die Arbeiterklasse war Bestandteil einer breiten Mittelschicht geworden. Es gab in der Nachkriegszeit ein Wiederaufleben der Religion, die Frauen bekamen durchschnittlich mehr als drei Kinder und Amerikas innere Werte stimmten mit dem Kampf gegen den totalitären Kommunismus überein, so Todd.[39]

Als Max Weber den Calvinismus als Ursache für die Entwicklung des Kapitalismus beschrieb, meinte er ganz sicher nicht diesen allgemeinen Wohlstand. Den gab es nämlich zu seiner Zeit, zu Beginn des 20. Jahrhunderts definitiv nicht. Überhaupt existierte er nur in der Epoche des Spätkapitalismus (1945-1989), weder vorher noch nachher. Dies deutet darauf hin, dass dieser allgemeine Wohlstand keineswegs ein typisches Merkmal des Kapitalismus ist, sondern eine Folge der erstarkten Arbeiterbewegung. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Sozialismus zu einem Weltsystem, in dem zeitweilig bis zu 40% der Weltbevölkerung lebten, so 1,6 Milliarden Menschen im Jahr 1986[40]. Unter diesen Umständen sahen die Kapitalisten die Gefahr, ihr gesamtes Eigentum zu verlieren und waren deshalb zu großen Konzessionen bereit.

Es mutet wie Hohn an, dass der radikale Antikommunist Todd ausgerechnet dann – und nur dann – Lenin zitiert, wenn es darum geht, die einheimische Arbeiterklasse zu diffamieren. Offenbar verachtet er nicht nur die Führungscliquen des Westens, was angesichts von Minderleistern wie Liz Truss, Annalena Baerbock, Robert Habeck, Ursula von der Leyen und Kaja Kallas durchaus gerechtfertigt ist, sondern auch die einfache Bevölkerung. Wo soll das hinführen? Welche Perspektive haben wir dann überhaupt noch?

Emmanuel Todd vertritt eine konservative, ja reaktionäre Ideologie. Fast muss man annehmen, dass er Saudi-Arabien als die ideale Gesellschaft betrachtet: Dort befindet sich die Religion im Aktivzustand, die Frau ist dem Manne sind klar untergeordnet, Homosexualität ist streng verboten und gleichzeitig sind die Werte von Lebenserwartung (78,8 Jahre) und Kindersterblichkeit (5 Kinder pro 1.000 Geburten) durchaus zufriedenstellend. Eine Frau bekommt dort 2,3 Kinder.

Im Unterschied zu vielen Propagandisten nimmt Todd allerdings die Wirklichkeit durchaus noch wahr, insbesondere demographische Daten wie Lebenserwartung, Kindersterblichkeit und Entwicklung der Intelligenz. Daraus ergibt sich, dass sich diese Werte im Russland unter Putin verbessern, in den USA verschlechtern und in der EU stagnieren.

Seltsam muten auch die Versuche von Todd an, aus unterschiedlichen Familienformen unmittelbar politische Ereignisse abzuleiten, etwa wenn er die russische kommunitäre Familie für die Oktoberrevolution und sogar die Tscheka[41] bzw. das KGB[42] verantwortlich macht. Man kann durchaus diskutieren, ob eine solche Familienform – angenommen, sie existierte überhaupt – die Revolution begünstigt hat, aber in der von Todd vertretenen Absolutheit halte ich seine Aussagen für abwegig.

Zwar kann Todd nicht die Ursachen der aktuellen Krise des Westens erkennen, aber seine Beschreibungen einer orientierungslosen Gesellschaft der Nullmoral sind durchaus beeindruckend. Offenbar führt das Verschwinden nicht nur der Religion, sondern jeder Ideologie wie Sozialismus, Christdemokratie, Nationalismus etc. zu einer inneren Leere und Orientierungslosigkeit der Menschen. Hier muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass dieses Verschwinden der Ideologien von der herrschenden Klasse bewusst herbeigeführt wurde, etwa durch ihre Förderung der Postmoderne. Die postmodernen Philosophen haben mit Wonne alle „Großen Erzählungen“, vor allem den Sozialismus, zertrümmert. Wie Hauke Ritz in seinem Buch „Vom Niedergang des Westens zur Neuerfindung Europas“ glaubhaft gemacht hatte, geschah das mit der Absicht, einen neuen Sozialismusversuch zu unterbinden. Diese innere Leere hatte aber auch negative Folgen für die herrschende Klasse des Westens selbst. Zwar kann nicht bestritten werden, dass zum Beispiel der Blob, das neokonservative außenpolitische Establishment der USA, im Prinzip die Interessen der herrschenden Klasse bedient. Aber viele seiner Entscheidungen scheinen selbst aus dieser Perspektive unlogisch und kontraproduktiv. Sie sind offensichtlich sehr stark von unverstandenen inneren Impulsen, Widersprüchen sowie der Gier nach Geld und Macht beeinflusst worden. So konnte Ritz zeigen, dass es durchaus im Interesse der USA und ihrer herrschenden Klasse gelegen hätte, eine Verständigung mit Russland anzustreben. Dies hätte die Hegemonie des Westens deutlich länger aufrecht erhalten.[43] Insofern ist Todds Theorie des „Flachen Staates“ durchaus diskussionswürdig.

[1] Vgl. Emmanuel Todd: Der Westen im Niedergang, Frankfurt am Main 2024, S. 12
[2] Siehe dazu Hauke Ritz: Vom Niedergang des Westens zur Neuerfindung Europas, Wien 2024, Kapitel 6.7, Rezension bei TKP: https://tkp.at/2024/10/21/vom-niedergang-des-westens-zur-neuerfindung-europas/, abgerufen am 17.09.2025.
[3] Vgl. Todd 2024, S. 137ff
[4] Eine gute Darstellung der Ereignisse findet sich bei Leo Trotzki: Geschichte der Russischen Revolution von 1930, im Internet: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1930/grr/index.htm, abgerufen am 17.09.2025.
[5] Den es unter diesem Namen erst nach 1945 gab.
[6] Vgl. Todd 2024, S. 52ff
[7] Vgl. Todd 2024, S. 57
[8] Vgl. Todd 2024, S. 58f
[9] Vgl. Todd 2024, S. 60 und 64
[10] Vgl. Todd 2024, S. 122
[11] Vgl. Todd 2024, S. 122
[12] Vgl. Todd 2024, S. 124f
[13] Vgl. Todd 2024, S. 128ff
[14] Vgl. Todd 2024, S. 131f
[15] Vgl. Todd 2024, S. 132f
[16] Todd 2024, S. 134
[17] Vgl. Todd 2024, S. 135ff
[18] Vgl. Todd 2024, S. 139f
[19] Dieser Aspekt wurde von Todd ignoriert. Vgl. dazu: Jan Müller: Die große Energiekrise in Europa – Teil 1, 14.12.2024, TKP, im Internet: https://tkp.at/2024/12/14/die-grosse-energiekrise-in-europa-teil-1/, abgerufen am 17.09.2025.
[20] Vgl. Todd 2024, S. 143
[21] Vgl. Todd 2024, S. 143f
[22] Vgl. Todd 2024, S. 145f
[23] Vgl. Todd 2024, S. 146f
[24] Vgl. Todd 2024, S. 159ff
[25] Vgl. Todd 2024, S. 167f
[26] Vgl. Todd 2024, S. 212
[27] Vgl. Todd 2024, S. 214f
[28] Vgl. Todd 2024, S. 223
[29] Vgl. Todd 2024, S. 232ff
[30] Vgl. Todd 2024, 235ff
[31] Vgl. Todd 2024, 251ff
[32] Vgl. Todd 2024, 259ff
[33] Vgl. Todd 2024, 265ff
[34] Vgl. Todd 2024, 276ff
[35] Vgl. Todd 2024, 273
[36] Vgl. Todd 2024, 275
[37] Vgl. Todd 2024, 274
[38] Zu Einzelheiten siehe: Jan Müller: Imperialismus und Great Reset, 2023, Kapitel 2.2 und 2.3, im Internet: https://magma-magazin.su/broschueren/jan-mueller-imperialismus-und-great-reset/, abgerufen am 17.09.2025
[39] Vgl. Todd 2024, 218f
[40] Damals war die Weltbevölkerung weniger als halb so groß wie heute.
[41] Tscheka oder WeTscheKa (russisch ВЧК) ist die Abkürzung für die Allrussische außerordentliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage (russisch Всероссийская чрезвычайная комиссия по борьбе с контрреволюцией, спекуляцией и саботажем Wserossijskaja tschreswytschainaja komissija po borbe s kontrrewoljuziej, spekuljaziej i sabotaschem). Die 1917 gegründete Tscheka war das Staatsicherheitsorgan Sowjetrusslands im Bürgerkrieg.
[42] Der KGB (russisch Комитет государственной безопасности, Komitet gosudarstwennoi besopasnosti, deutsch ‚Komitee für Staatssicherheit‘) war das Staatsicherheitsorgan der Sowjetunion von 1954 bis 1991.
[43] Siehe dazu Hauke Ritz: Vom Niedergang des Westens zur Neuerfindung Europas, Wien 2024, Kapitel 1.6 und 1.7. Rezension bei TKP: https://tkp.at/2024/10/21/vom-niedergang-des-westens-zur-neuerfindung-europas/, abgerufen am 17.09.2025.
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Jan Müller, geboren 1971, ist Soziologe und lebt in einer Stadt in Hessen.


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22 Kommentare

  1. Jurgen 21. September 2025 um 21:00 Uhr - Antworten

    Man lese lieber das Buch „Die Humane Marktwirtschaft“ von Haisenko und Brunn…

  2. Jurgen 21. September 2025 um 20:56 Uhr - Antworten

    Für mich ein überflüssiges Buch, denn Totgesagte leben immer deutlich länger als gedacht… Und BRDiens Bund geht noch vor dem Krieg in die Pleite… denn es herrscht in den ehemals deutschen Gebieten nur das Handelsrecht mit freiwilligen Verträgen. Die Gläubiger des Bundes (mit all seinen als Sondervermögen titulierten Krediten) gehen also wahrscheinlich leer aus, weil die Einheimischen nicht mitspielen werden beim Enteignen im Handelsrecht…

  3. Fritz Madersbacher 21. September 2025 um 14:25 Uhr - Antworten

    „Der Westen im Sinkflug“ – die Einen sehen es nicht so oder wollen es nicht sehen, Andere sehen den nächsten Untergang ihres Abendlandes. „Eine Hochkultur geht unter“, wie gehen „Hochkulturen“ unter? Vielleicht ganz banal, indem sie sich als „Hochkulturen“ sehen, die allen Anderen überlegen sind und sich allerlei Theorien dafür zurechtlegen bzw. zusammenfaseln. Aber: halbe Wahrheiten sind eben die schlimmsten Lügen. In unserem Fall betrügen wir uns selbst damit, was uns nicht weiterbringt.
    Eine beliebte Erklärung ist auch die behauptete (natürlich nicht beweisbare) „Natur des Menschen“, die den „natürlichen Untergang“ unserer so hohen „Hochkultur“ bewirkt, so wie sie angeblich den Untergang aller anderen „Hochkulturen“ bewirkt hat. Wie gesagt: wir legen uns nette Theorien für den so unerklärlichen „Sinkflug des Westens“ zurecht, natürlich unter Aussparung der wirklichen Ursachen, nämlich der ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft (und deren gesetzmäßigen Entwicklungen) und der zwangsläufigen gesellschaftlichen Folgen daraus.
    Damit drehen wir uns im Kreis, ohne nur einen Schritt weiter zu kommen. Anders ausgedrückt: wir bejammern den „Untergang unserer Hochkultur“, anstatt darüber nachzudenken und dafür zu kämpfen, wie wir aus unserer tatsächlich bescheidenen Kultur eine höhere entwickeln. Nicht die klügste Art zu reagieren …

  4. Daisy 21. September 2025 um 7:26 Uhr - Antworten

    Ich sehe den Untergang des Abendlandes durch das arteigenene Verhalten heraufdräuen. Es ist ein langwieriger Prozess des Überflusses und Wohlstands, der zur Dekadenz führt. Man hat schon alles und was es noch nicht gab, sind noch mehr menschl. Abscheulichkeiten wie das große Fressen oder Orgien in den Kirchen. Die Kinder werden zunehmend missbraucht und misshandelt. Alles gabs schon, zB beim Niedergang des Imperium Romanum. Es ist ein natürlicher Prozess. Es gibt mehrere Hochkulturen zur selben Zeit. Und manche, wie zB die chinesische, erstarken wieder nach einiger Zeit. Der Islam erlebt glaube ich keine Hochkultur mehr, denn er nützt jetzt unser System der Nächstenliebe aus und wenn wir nichts mehr haben, wird er von Ackerbau und Viehzucht leben. Er hatte seine Hochkultur bereits. Und geht erst mal das Öl zu Ende, kann er Mohn anbauen und Ziegen hüten…

    Die BRICS stellen eine neue Bewegung dar, in der es die Aufbruchstimmung der Armen gibt, die sehr motiviert sind. Das ist der gleiche Elan, den Rom in seiner Anfangszeit hatte.

    Die Gleichmacherei des Sozialismus ist sein größter Fehler, denn das zerstört den Wohlstand. Wer möchte etwas leisten, wenn es nicht belohnt wird und der Faule ebensoviel erhält? Die meisten Leute leben heute wie die Beamten. Sie sind nicht zuständig, nicht erreichbar, unkündbar, nicht verantwortlich usw. und der andere Teil, nun schon bald 2/3 der Gesellschaft der Erwerbsfähigen, lebt von Sozialhilfe. Auch der arbeitende Teil kassiert Sozialtransfers.

    Der Wohlstand, den wir dem Sozialismus in allen Parten (und damit der repräsentativen „Demokratie“) zu verdanken haben, hat unvorstellbare Schuldenberge erzeugt, die keiner mehr zurückzahlen kann. Wir haben geborgt und geborgt, Wähler gekauft und einen Filz aus lauter Schmarotzern aufgeblasen, weil es so einfach schien. Die Schulden, die neu aufgenommen werden, werden immer gigantischer.
    Und jetzt kommen die Geldverleiher ins Spiel…
    Bei uns ging es etwas langsamer als im Kummerlismus, da wir die längste Zeit eine soziale Marktwirtschaft hatten. Aber der Point of no Return ist längst erreicht.

    Ebenso wie der Kapitalismus geht auch der Sozialismus auf ein natürliches angeborenes Verhalten zurück. Und es gibt immer beide Ismen – und auch andere – in allen Menschen, wohl nicht gleich stark ausgerägt. Der Sozialismus entstand aus der Fürsorge und Hilfsbereitschaft für andere, die in Not geraten waren oder dort, wo man beschlossen hat, zusammenzuarbeiten, weil man damit mehr erreichen kann. Im Grunde entstand er aus der langen Brutpflege, die die Menschen haben. Die Kindheit dauert sehr lange und heute bleibt die Gesellschaft überhaupt bis ans Lebensende infantil. Aber die positive Diskriminierung aufgrund der brutalen Gleichmacherei – Gendergaga ist nix anderes als die Abschaffung der Geschlechter – ist eine gesellschaftsschädliche Kehrseite, ebenso wie die Raffgier der Megamilliardäre, ihr extremer Einfluss auf die Politik und ihre Geistesgestörtheit, die aus der unheimlichen Macht und Langeweile des Reichtums entstanden ist. Damit können die meisten Promis nicht umgehen und auch die Neureichen nicht.

    Die Populisten bzw. „Rechtsextremen“ waren die Mahner in der Wüste, die Kassandras, die es auch immer gab. Keiner hörte auf sie, was sie empfahlen, war unangenehm (Sparen, Leistung belohnen usw.) und aussichtslos. Das Ruder kann nun keiner mehr herumreißen. Es ist gelaufen.

    Wie geht jede Hochkuktur unter? Meistens durch Krieg oder dadurch, dass sie von anderen verdrängt wird. In Rom hat man die eigene Religion immer mehr durch andere Religionen ersetzt, weil man das schick fand. Wir haben jetzt die Klimareligion, der auch die Katholen und Evangelen immer mehr verfallen. Auch die Genderneutralität ist eine Religion und so mancher Pfaff fühlt sich dadurch endlich enthemmt und frei und denkt, da hätte ich gar nicht Pfarrer werden müssen…

    Die EU versucht verzweifelt, den Bündnisfall der NATO zu provozieren. Das derzeitige Marionettenregime hat nur noch diesen einen Weg – in den Weltkrieg, um das betrogene Volk zu lähmen und zu verheizen. Hinter mir die Sintflut, heißt es. Die Strippenzieher haben Rückzugsorte, wo sie planen, überleben zu können. Nun behauptet man, russ. Kampfflugzeuge hätten den Luftraum Estlands verletzt. S. möchte, dass Polen und Rumänien die russ. Drohnen über der Ukraine abschießt. Die EU klaut das russische Vermögen etc. Es spitzt sich immer mehr zu.

    Den Krieg, so meint die NATO, gegen Russland, China, Nordkorea, Indien usw. kann man gewinnen. Nun, das ist eine Fehleinschätzung. EUropa wird zerstört sein, komplett. Man hat dann nicht mal mehr die alten Kulturschätze aus der Zeit der Adeligen, um sie für den Tourismus oder als Freiluftmuseum einsetzen zu kônnen. Es wird hier Mohn angebaut und Fettschafe laufen herum, ebenso wie vermummte Frauen, Öl haben wir ja keins.

    Ich denke, anfänglich hätten Vance und Trump Deutschland noch retten wollen. Mittlerweile haben sie es aufgegeben. Es will sich und die EU unbedingt opfern, also nimmt man das an.

    Religionen und Ideologien haben im Prinzip nichts in der Politik verloren, aber natürlich braucht man neben den Gesetzen, die übrigens sehr stark ausgemistet werden sollten, auch moralische Standards. Man muss denen, die arm sind, helfen, unverschuldet oder nicht. Die Hilfsbereitschaft darf aber auch nicht ausgenützt werden. Das sind Details…

    Jedoch bleibt das Wunschdenken. Nach dem Wokeismus und dem 3. WK wird, falls noch wer lebt, der Islam Europa prägen. Die Zeiten der Freiheit sind längst vorbei. Ich hatte das Glück, wohl in der besten Phase der Menschheit aufzuwachsen. Noch nie ist es so vielen Menschen so gut gegangen. Wir waren relativ frei und wir hatten eine goldene Zukunft. Als ich jünger war, dachte ich, wir könnten bald den Weltraum erkunden usw. – es ginge immer vorwärts…ich zehre davon und lasse es mir gut gehen, solange es geht.

    • Daisy 21. September 2025 um 8:23 Uhr - Antworten

      @soziale Marktwirtschaft… die hatten wir. Wir haben keine Marktwirtschaft mehr, sondern woke Planwirtschaft mit Quot:innen aus allen Gruppen, die dank P.C. (Political Corectness, die aus dem Marxismus (Frankfurter Schule) entstanden ist und im Wokeismus endete) den anerkannten Opferstatus erreicht haben…die Frauen sind gerade dabei, ihren Rang zu verlieren, sie werden durch Transen (Männer verprügeln Frauen als olympische Disziplin) ersetzt. Weitere Opfergruppen: Farbige, Schutzsuchende, Flüchtende, alternativ Begabte etc.

    • Varus 21. September 2025 um 9:23 Uhr - Antworten

      Der Wohlstand, den wir dem Sozialismus in allen Parten (und damit der repräsentativen „Demokratie“) zu verdanken haben, hat unvorstellbare Schuldenberge erzeugt

      Wenn es tröstet – in Großbritannien längst vorbei. Böses Medium brachte gestern einen Artikel, was passiert, wenn man „Net Zero“ befolgend den Banderas 22 Milliarden Pfund schickt: „… Britische Kinder: unterernährt, ungewaschen, Kinder, die mit Geschwistern Schuhe teilen, oft ohne Bettzeug, dafür in ihrer ebenfalls ungewaschenen Oberbekleidung schlafen müssen, weil nicht geheizt wird, und im Schlaf von Ratten gebissen werden. Die Charles-Dickens-Ära? Nein. Das ist heute. Denn die Kiewer Riesenkakerlake frisst fast buchstäblich Großbritanniens Kinderlein. …“

      • Daisy 21. September 2025 um 9:43 Uhr

        Ja, so bricht der S-ismus (oder ähnlich gestrickte Systeme wie die Aristokratie, zu der auch der S-ismus am Ende tendiert, weil das auch ein natürliches Verhalten ist) immer zusammen á la Orwell. Am Ende haben sich die Oberschwxine alles gerafft und die armen Tiere müssen hungern. Das führt zu immer mehr Tsenzuhr, Diktatur und KontroIle, aber schließlich ist es so schlimm, dass der große Aufstand doch gelingt. Vielleicht nicht, wenn alle zu BORG verwandelt sind? Der Transhumanismus ist die große Hoffnung der WEF-Wokeisten. Wenn eins nicht spurt, wirds abgeschaltet. Noch ist es nicht so weit, aber gerade GB hat die Freiheit schon massiv verspielt. Vielleicht gelingt der Aufstand. Er müsste wirklich massiv sein. Sie werden die Rädelsführer verhaften etc. Und falls wenn, was dann? Dann wird gefeiert… Prost! :-)

    • Varus 22. September 2025 um 3:06 Uhr - Antworten

      Nach dem Wokeismus und dem 3. WK wird, falls noch wer lebt, der Islam Europa prägen.

      Dann wird Schweinefleisch verboten, während die Woken komplett jegliches Fleisch verbieten wollten – deutlich besser. Wobei etwa in der Türkei ist nicht mal Schweinefleisch verboten, lediglich schwer zu kaufen.

      • Daisy 22. September 2025 um 8:00 Uhr

        Ich finde diese Lebensweise auch nicht so schlecht, bis auf die Vermummung. Alles Biolandwirtschaft, friedliches Dahinleben am Lande, wie im Paradies, s. zB. Dorfleben in Aserbeidschan. Sie haben Fettschafe, die ihnen die Schwxine ersetzen. Ich glaube, sie sind sogar fetter… :-)
        Schweinefleisch ist eh nicht gesund.

        S. YT Country Life Vlog

        Vielleicht ist das ja die Zukunft? Wenn es gar keine Hochkultur mehr gibt, kann sie nicht mehr zerfallen…:-)

      • Varus 22. September 2025 um 9:36 Uhr

        Im Westen werden nichtwestliche Kulturen generell unterschätzt. So schafft man zum Beispiel in den VAE, russische Aurus-Autos für den Nahost-Markt zu montieren – die Rolls-Royce-Klasse, die auch in Westeuropa kaum jemand schafft.

        Hätten die Araber nicht indische Zahlen weitergereicht, gäbe es hier im Jahr MMXXV immer noch keine Technik, denn mit diesem perversen System made by Westeuropa kann man beim seriösen Rechnen nichts anfangen.

      • Daisy 22. September 2025 um 11:04 Uhr

        Ja, deswegen sagte ich, die hatten ihre Hochkultur schon… ;-)

  5. Dr. Rolf Lindner 21. September 2025 um 0:27 Uhr - Antworten

    Als ich 1975 meinen ersten Computerkurs belegte, stellte sich mir die Frage: Was passiert mit all denen, die das nicht verstehen? Gemeint sind dabei nicht irgendwelche vorgefertigten Dienstprogramme. Dazu kommt der Rückgang der Handwerklichen Berufe. In der Kleinstadt, in der ich in den 50iger und 60iger Jahren lebte, gab es Schneider, Bäcker, Tischler, Friseure (sogar für Herren) Gärtnereien u.a.m. Die gibt es heute nicht mehr. Es entstand eine Schicht von Normalbegabten, für die es keine richtige Aufgabe gibt, die aber eine Selbstbestätigung brauchen. Die MINT-Fächer an den Hoch und Fachschulen sind theoretischer geworden – auch nicht ihr Ding. Ihre Selbstbestätigung finden sie in Hochschulausbildungen, die gern als Geschwätz- oder Orchideenfächer bezeichnet werden und in denen sozialistische Ideen zu Hause sind, die ihnen eine moralische Überlegenheit über die rational denken Müssenden in den MINT-Fächern und den restlichen echten handwerklichen Berufen bieten. Ihr Brot können sie nur als Verwaltungsangestellte u.ä. verdienen, auf Posten, die oft gar nicht wirklich benötigt werden. Ich meine, dass der Marsch der Rotgrünen durch die Institutionen zumindest teilweise darauf zurückzuführen ist. Es ist logisch, dass diese Kaste immer mehr Posten hervorbringt, auf denen Ihresgleichen versorgt wird. Für diese Kaste war das Eindringen von Fremden ein Segen, machte es doch zahllose neue Posten zur Versorgung der Neuen notwendig. Wenn sonst logisches Denken in dieser Kaste nicht zu Hause ist, geht es doch bei ihnen so weit, dass sie wissen, dass eine Rationalisierung der Gesellschaft ihr Untergang wäre.

  6. therMOnukular 20. September 2025 um 23:37 Uhr - Antworten

    Wenn ich mal kurz Spielverderber sein darf:

    Es heißt immer, die Hegemonie würde zerfallen und eine multipolare Weltordnung entsteht, weil der Westen die Macht verliert, alle anderen zu unterdrücken. Viele Autoren gehen a priori davon aus, als wäre das gegessen.

    Warum denkt eigentlich niemand (bis auf Ausnahmen) daran, dass wir genauso gut wieder in eine bipolare Welt zurückfallen könnten? Zwei Blöcke – nur sind wir diesmal das „eingezäunte Gehege“ und die Anderen sind die freie Welt…(weil wir nur noch genug Geld und Macht haben, uns selbst zu unterdrücken – ja, so krank sind wir)

    Ich halte das für weitaus wahrscheinlicher – auch wenn ich mich gerne irren würde.

    Aber mal ehrlich: glaubt irgendwer von Euch, dass die Uschis jemals andere Länder auf Augenhöhe akzeptieren werden?….. Ich halte das für ausgeschlossen. Man wird sich einigeln und Gift & Galle spucken.

  7. ibido 20. September 2025 um 22:25 Uhr - Antworten

    Philosophisch bin ich zu wenig gebildet um den Artikel zu kommentieren.
    Aber einen Gedanken möchte ich formulieren. Und zwar zu folgendem Passus: „Offenbar führt das Verschwinden nicht nur der Religion, sondern jeder Ideologie wie Sozialismus, Christdemokratie, Nationalismus etc. zu einer inneren Leere und Orientierungslosigkeit der Menschen.“

    Weitere (oder alte) Ideologien und herkömmliche Religion können zu keiner Lösung führen. Sie führen nur zu Spaltung und einem Gegeneinander, zu einem (weiteren) Überlegenheitsgefühl, weil man selbst ja die richtige Ideologie/Religion hat und der andere bekämpft werden muss.
    Die Zukunft kann mMn nur in echter Spiritualität liegen. Damit einher ginge auch ein Wiederfinden von Werten. Orientierung muss in Zukunft jeder in sich selbst mit Hilfe von Spiritualität finden. Von außen gegebene Orientierung ist ohnehin immer gefährlich – siehe Ethikratvorsitzende Alena Buyx.

    Ein Ansatz für Spiritualität wäre das Absolute anzuerkennen, dessen Eigenschaft nach Platon das Wahre, das Schöne und das Gute ist.

    • therMOnukular 21. September 2025 um 0:02 Uhr - Antworten

      Alles kein Problem, das hat eh sehr wenig mit Philosophie zu tun…;))

      Dennoch bringen Sie da amS etwas durcheinander:
      Der „Verlust“ von Ideologie & Religion stürzt die Menschen in eine Leere. So weit nicht so falsch. Aber warum ist das schlecht?

      Carl Jung beschreibt es ausführlich und wiederholt: die Leere entsteht, wenn das Ego „stirbt“ und dem Selbst Platz schafft. Dieser Platz ist zunächst noch frei, also leer. Er bedeutet aber die Freiheit zur Entfaltung. Wenn man sich ausdehnen will, egal auf welche Art und Weise, ob nun materiell oder auch spirituell, so braucht es leeren Raum um einen herum, den man füllen kann..

      Es gibt hier also zwei Bedeutungen von „Leere“, die Sie mEn vermischen.

      Ich sehe das eher so, dass Menschen Ideologie nicht verlieren, sondern sie nur durch noch schlechtere ersetzt bekommen. Denn würden sie sie wirklich verlieren (gilt besonders für Glauben jeder Art), dann würde das eintreten, was Carl Jung beschreibt. Und das wäre das Beste, was diesen Menschen passieren könnte.

      Bei Corona haben die „gewonnen“, die einen „inneren Kompass“ hatten und diesem folgten. Die Abwesenheit von Ideologie und Glaube war hier also die Gewinner-Strategie. Ein fundierter innerer Kompass braucht – da sind wir uns sicher wieder einig – echte Spiritualität.

      Die letztliche Frage ist also, inwieweit entspricht die Ideologie oder die Religion eines Menschen seinem inneren Kompass, bzw. inwieweit haben Ideologien und Religionen noch wirklich mit dem Wesen des Menschen zu tun.
      Denn klar können Religion und Ideologie nützliche Hilfen sein, einen allgemeinen Kompass zu etablieren, der denen der Menschen ähnlich ist. Sie sind dann der verbindende Kitt, den eine Spezies mit Drang zur Individualität bei gleichzeitigem Herdentrieb und Abhängigkeit von sozialer Teilnahme braucht, um sich nicht erst recht in alle Winde zu zerstreuen, sondern fähig zu sein, eine sinnvolle Gemeinschaft zu bilden.

      Wahre Spiritualität kommt aus den Menschen. Ideologie wie der Wunsch nach Demokratie kommt ebenfalls aus den Menschen selbst, weil Demokratie beides verkörpert, Freiheit und Gemeinschaft.
      Gender-Ideologie oder Klima-Wahn kommen nicht aus den Menschen selbst – das ist Ideologie von aussen, quasi frei erfunden. Das ist die Ideologie, die Sie meinen. Die kann freilich weg.

      • Varus 21. September 2025 um 5:34 Uhr

        Der „Verlust“ von Ideologie & Religion stürzt die Menschen in eine Leere.

        Kein Problem, bei der Religion findet sich schnell Ersatz, möge Greta uns barmherzig sein. Und jetzt Buße tun, CO2 sparen, dem teuflischen Fleisch entsagen – und so weiter.

        Gestern sah ich im Teletext der Glotze irgend etwas vom weiteren Klima-Hüpfen – ich las nicht weiter, da das Thema eh schon tierisch nervt.

      • ibido 21. September 2025 um 16:47 Uhr

        Ja, inhaltlich sind wir uns weitgehend einig ;-)
        Verwirrung erzeugt das Wort Ideologie. Für mich ist jeder Ideologie der Fanatismus und Einseitigkeit inhärent. Das kann auch eine Fehlannahme meinerseits sein. Aber aufgrund dieser Annahme ist für mich der Wunsch nach Demokratie auch keine Ideologie.
        Ob Freiheit bei gleichzeitig vorhandener Gemeinschaft ausschließlich in Demokratien erreicht werden kann, gehörte noch diskutiert, führt hier aber zu weit. In repräsentativen sicherlich nicht, wie wir gerade erleben.

        PS: Das mit der Leere war ein Zitat aus dem Artikel, dass ich relativieren wollte. Habe also nichts vermischt. Da bin ich ganz bei Ihnen, dass Leere Möglichkeiten eröffnet.

  8. triple-delta 20. September 2025 um 19:26 Uhr - Antworten

    Man hüte sich vor Leuten, die behaupten Marx widerlegt oder vom Kopf auf die Füße gestellt zu haben. Das wäre das Gleiche, wenn jemand ankäme und behauptete, er könnte Newton widerlegen. Diese Typen haben Marx einfach entweder nie gelesen oder nie verstanden. Schade um die vielen schönen Buchstaben, die diesem Artikel zum Opfer gefallen sind. Wer das alles wirklich verstehen will, dem empfehle ich mal ein Buch von Friedrich Engels. Der ist außerdem leichter lesbar. Das Buch heisst: „Der Ursprung der Familie , des Privateigentums und des Staates.“. Gibt’s im gut sortierten Antiquariat. Dazu dann als Fortsetzung von Jarred Diamond „Arm und Reich“. Dann bekommt eine Vorstellung über die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft auf Grund der Entwicklung der Produktivkräfte, also Technologie etc..
    Dann wir auch klar, dass der Begriff „Westen“ nur ein Synonym für Kapitalismus ist. Der Kapitalismus hat sein technologisches Ende erreicht und kann nur noch als offene faschistische Diktatur überleben. Ähnlich war das mit dem Feudalismus auch schon, der sich nur über den Absolutismus noch einige Zeit retten konnte. Dafür hatten dann die absolutistischen Herrscher auch ziemlich beeindruckende Lebensenden.

  9. Fritz Madersbacher 20. September 2025 um 18:17 Uhr - Antworten

    „Der Westen im Sinkflug“ oder im Sturzflug, im Absturz? Ein Umstand, den oder dessen Ursachen zu untersuchen sich lohnt – insbesondere wenn man in diesem Westen lebt. Da Ideen (auch der Protestantismus) nicht vom Himmel fallen und Verhaltensweisen sich nicht im luftleeren Raum abspielen, sondern beide in konkreten ökonomischen und sozialen Umständen entstehen bzw. historisch entstanden sind, ist es notwendig, ebendiese Umstände und ihre Entstehung zu untersuchen und analysieren, wenn man irgendetwas Brauchbares über die fragwürdigen Entwicklungen „unserer“ westlich-kapitalistischen Gesellschaften erfahren will – abseits der üblichen Vorurteile, Beschwichtigungen und Beschönigungen. Da solche Erkenntnisse den von oben propagierten Ideen der Herrschenden zuwiderlaufen und unweigerlich in unbequeme Selbstkritik münden, werden sie mittels Medien und „Experten“ nach Kräften bekämpft …

  10. no-op 20. September 2025 um 15:12 Uhr - Antworten

    Diese Darstellung der Arbeit von Todd ist in wichtigen Aspekten verfälschend:

    Die Kausalitäten der historischen Prozesse sieht Todd viel weniger mechanisch-eindimensional und deterministisch, sondern multifaktoriell und statistisch: Familiensysteme, Religion, Wirtschaft, Ausbildung spielen je nach Bedarf eine unterschiedliche oder gar keine Rolle.

    Man kann ihn nicht als Antimarxisten darstellen, wenn der Titel seines vorangegangenes Buch explizit auf Marx verweist: „Lutttes des classes en France au XXIe siècle.“ Dort zeigt sich auch klar, dass von Verachtung der Unterschicht keine Rede sein kann. Todd war einer der wenigen frz Intellektuellen, die den Gelb-Westen-Revolte unterstützt und danach in besagtem Werk intellektuell untersucht hat.

    Direkt absurd ist es, ihn als Reaktionären darzustellen: er wird nicht müde, sich auf den englisch-französischen „Liberalismus“ im Sinne von gesellschaftlicher Freiheitlichkeit zu berufen.

    Ich gehe allerdings mit dem Autor d’accord, dass die „Theorie des „Flachen Staates“ durchaus diskussionswürdig“ ist. Das ist Todd’s große Schwäche: Ignoranz der Fakten um den Tiefen Staat. Nicht einmal über Covid kann er eine minimal kritische Bemerkung hervorbringen…

    • no-op 20. September 2025 um 16:02 Uhr - Antworten

      Übrigens zeigt seine auch seine Behandlung des Thema der Frauen, des Feminismus und LGBT in seinem vorangegangenen Werk „Où en sont-elles ?“ über die ganze Weltgeschichte inkl Vorgeschichte (Steinzeit-Gesellschaften) keine Spur von reaktionärem Denken, vielmehr eine explizite Würdigung des Feminismus, soweit ideologische Verblendungen vermieden werden.

      Zu bemerken ist weiter, dass Todd oft humorvoll mit Selbstkritik und Selbstironie umgeht. Allein daher, aber auch weil Todd sich seit nun bald einem halben Jahrhundert mit Familiensystemen beschäftigt und weltweit anerkannter Spezialist ist, beweifle ich auch die obige Darstellung, dass er sich bzgl Deutschland so grob geirrt haben soll; zeigt doch schon die folgende Karte eine sehr komplexe Analyse:

      https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Europe_famille_todd.jpg

      • Jan Mueller 20. September 2025 um 19:48 Uhr

        @no-op: Ich habe die entsprechenden Stellen alle zitiert. Todd schreibt ausrücklich auf Seite 12, dass der Zerfall des Westens auf den Zerfall der protestantischen Ethik zurückzuführen sei. Da ist nichts mit multifaktoriell. Dieser Gedanke kommt im ganzen Buch an zahlreichen Stellen vor.

        Wie soll man es anders als Verachtung bezeichnen, wenn er alle im Niedriglohnsektor Beschäftigten – und nicht die Kapitalisten – als Parasiten schmäht? Das hat er ausdrücklich so geschrieben.

        Gebiete mit Realteilung kommen in Todds Karte durchaus vor, wenn auch etwas verkleinert. Das ist die hellgrüne Fläche westlich der „deutschen“ dunkelgrünen. Nur zieht Todd keine Schlussfolgerungen aus der Tatsache, dass sich die am dichtesten bevölkerten, am stärksten industrialisierten Regionen in Realteilungsgebieten befinden. Das sind z.B. Altwürttemberg, Rhein-Main, das bergische und märkische Land sowie das Ruhrgebiet.

        Angesichts seiner zahlreichen Polemiken gegen den „totalitären“ Kommunismus, sein Lob der Eisenhowerzeit, die extrem hohen Bedeutung, die er der Religion zumisst, und seinem philosophischen Idealismus kann man ihn duchaus als reaktionär bezeichnen. Die Vorstellung, dass er eine Gesellschaft wie die Saudi-Arabiens als ideal ansehen müsste, drängt sich geradezu auf, auch wenn er das nicht ausdrücklich geschrieben hat.

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