Hommage an das syrische Volk und sein Land

19. Dezember 2024von 5,4 Minuten Lesezeit

Claude Janvier beschreibt in seinem kurzen Text Erfahrungen, die er bei zwei Aufenthalten in Syrien machen konnte. Nach einem kurzen, der Realität geschuldeten Einstieg folgt eine fast wehmütig anmutende Schilderung seiner Eindrücke von einem Land, das es so nicht mehr gibt oder geben wird, wie er befürchtet – einem Syrien, dass im Bewusstsein des diversitätsaffinen Westens schon seit geraumer Zeit nicht mehr existiert.

Das französiche Original „Hommage au peuple syrien et à son pays qui fut laïc, moderne, et progressiste“  wurde zuerst auf Le Grand Soir veröffentlicht. Der übersetzte Text auf Deutsch erscheint exklusiv bei TKP:

Das Ende des Jahres 2024 ist düster, für ein Land das säkular, modern und fortschrittlich war. Zwischen der tödlichen Politik der Kriegstreiber „made in USA“ und dem plötzlichen Zusammenbruch Syriens und de facto der säkularen Baath-Partei unter der Führung von Präsident Baschar El Assad muss man feststellen, dass die Kräfte des Bösen entfesselt sind, und dies wie immer unter Missachtung des menschlichen Lebens.

Der Einmarsch der Terroristen in Syrien zeigt, dass die Koalition aus Israel, den Angelsachsen, der EU und Katar den nächsten Gang eingelegt hat, damit sie den Nahen Osten weiterhin ungestraft ausplündern kann. Der US-General Wesley Clark erklärte 2007: „Wir werden in fünf Jahren sieben Länder eliminieren: Irak, Libyen, Libanon, Syrien, Somalia, Sudan und schließlich den Iran.“ Das ist so gut wie erreicht.

Da ich zweimal in Syrien war, muss ich berichten, wie es in diesem Land aussah, bevor es am 8. Dezember 2024 endgültig implodierte.

Syrien war ein säkulares Land, in dem alle Religionen in gegenseitigem Respekt  koexistieren konnten. Die orthodoxe Kirche in Aleppo, die während der Kämpfe zwischen Terroristen und der Regierungsarmee völlig dem Erdboden gleichgemacht worden war, wurde vollständig wiederaufgebaut. Die Moschee von Aleppo, die von islamistischen Fundamentalisten gesprengt wurde, befindet sich ebenfalls im Wiederaufbau.[1]

Die prächtige Umayyaden-Moschee in Damaskus, die zwischen 706 und 715 erbaut wurde, beherbergt das Grab von Johannes dem Täufer (Sidi Yahia für Muslime). Dass sich ein Grabmal im Gebetsraum einer Moschee befindet, ist ein nahezu einzigartiger Fall. Die Christen des Ostviertels kommen, um dort zu beten. Wir waren Zeugen der Prosternationen der Muslime und der Bekreuzigungen der Christen in der Moschee.

Wie angenehm war es für Frauen, den Hijab nicht tragen zu müssen, die Wahl zu haben, sich so zu kleiden, wie sie wollten, ganz nach ihren Vorlieben. Im Gegensatz zu den Fehlinformationen, die in den „Mainstream-Medien“ verbreitet wurden, hatten Frauen in der syrischen Gesellschaft denselben Platz wie Männer. Meine Begleiterinnen und ich konnten uns mit Anwältinnen, Professorinnen, Abgeordneten und auch, im Jahr 2021, mit der Kultusministerin in Damaskus unterhalten, die fließend Französisch sprach.

Wie schön es war, sich in einer Kneipe im christlichen Viertel von Damaskus zu treffen, mit vielen Syrern an einem Glas Arak zu nippen, dann wieder ins muslimische Viertel zu wechseln und durch den lebhaften Souk al-Hamidiya in Damaskus zu schlendern.

Wie schön war es, in der Geraden  Straße in Damaskus das Haus des Heiligen Ananias zu besuchen, in dem Paulus von Tarsus – der später zum Heiligen Paulus wurde – getauft wurde.

Wie schön war es, die Seidenstoffe, die golddurchwirkten Brokate und die wunderschönen Damastgegenstände zu bewundern, sich von den beeindruckenden Stapeln ganzer kandierter Früchte wie Aprikosen, Birnen und Mandarinen beeindrucken zu lassen und dann in den Raum der Eisdiele Bakdash zu stürzen, um eine mit Mandeln bestäubte Köstlichkeit aus Vanille zu genießen. (Aufgrund des Embargos waren die Besitzer des Eiscafés gezwungen, Milchpulver anstelle der kostbaren Flüssigkeit zu verwenden. Dadurch ist der Geschmack nicht mehr ganz derselbe).

Wie komfortabel es für die Syrer war, ein für alle kostenloses Gesundheitssystem in Anspruch nehmen zu können. Abgesehen von der hervorragenden medizinischen Versorgung in Syrien konnten sich alle Bürger kostenlos behandeln lassen.

Wie angenehm es für syrische Familien war, zu wissen, dass ihre Kinder kostenlos eine solide Bildung erhalten konnten, einschließlich höherer Bildung. Bildung war für alle zugänglich. Anzumerken ist, dass in Syrien immer noch Französisch unterrichtet wurde.

Trotz 14 Jahren ununterbrochenen Krieges, trotz enormer Zerstörungen, trotz des allgegenwärtigen westlichen Embargos, das dem Volk das Nötigste vorenthielt, Nahrungsmittel, Medikamente und Energie – die guten „amerikanischen Demokraten“ plündern seit 2011 das syrische Öl, ohne dem syrischen Volk auch nur einen Tropfen davon zu geben -, hielten die Syrer ihre Straßen, ihre Umwelt und die landwirtschaftlichen Flächen in Stand.

Wie schön war es doch, dass in der Vorweihnachtszeit an der libanesisch-syrischen Grenze nahe dem Bekaa-Tal sowie in Damaskus und anderen Städten dieses wunderschönen Landes Lichterketten, Tannenbäume und Dekorationen erglänzten.

All das, was ich gerade beschrieben habe, geschah unter der Präsidentschaft von Bashar El Assad und trotz des unmenschlichen Embargos, das seit 2011 über das syrische Volk verhängt wurde.

Unter der Herrschaft von Terroristen, die von „guten Demokraten“ aus dem Westen bezahlt werden, wird das moderne und fortschrittliche Syrien verschwinden. Zum Schaden seines Volkes, aber auch zum Schaden der Länder des Nahen Ostens. Es besteht die Gefahr, dass der Obskurantismus mit aller Macht zurückkehrt.

Allen Menschen, die ich die Ehre und das Vergnügen hatte, zu treffen, und dem gesamten syrischen Volk möchte ich meinen tiefsten Respekt dafür aussprechen, dass sie der angelsächsischen Höllenmaschine der Zerstörung heldenhaft widerstanden haben. Kraft und Ehre sei mit Euch.

[1]    Anmerkung des Übersetzers: Möglicherweise bring Janvier hier zwei Moscheen durcheinander. Die Chusrawiyya-Moschee wurde komplett zerstört. Die Umayyaden-Moschee wurde beschädigt, v.a. das berühmte Minarett zerstört; sie wird (oder muss man nun sagen: wurde?) wieder aufgebaut. Für einen Wiederaufbau der erstgenannten Moschee konnte ich keine Hinweise finden.
Bild „Before Rain“ by Ömer Ünlü is licensed under CC BY 2.0.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wider. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Claude Janvier ist Schriftsteller und Essayist. (Ko-)Autor „Le virus et le Président: Enquête sur l’une des plus grandes tromperies de l’Histoire“ (Das Virus und der Präsident: Untersuchung einer der größten Täuschungen der Geschichte), „L’État profond français“ (Der tiefe Staat Frankreichs).  Übersetzung aus dem Französischen von Heiner Biewer.


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Ein Kommentar

  1. Varus 19. Dezember 2024 um 15:49 Uhr - Antworten

    Das Böse Medium berichtet, Russland habe viel Zeugs in den Osten Libyens verlegt – dann ist Russland doch nicht zwingend auf Syrien angewiesen, wenn es Stützpunkte am Mittelmeer haben will? Vielleicht bleibt Russland künftig zur Sicherheit in beiden Ländern – sofern es geht?

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