Wie die EU-Kommission die Landwirte verrät

13. Dezember 2024von 5 Minuten Lesezeit

Die EU hat den Freihandelsvertrag mit dem lateinamerikanischen Staatenbund Mercosur unterzeichnet. Er setzt den EU-Bauern weiter zu und wird die eigene Ernährungssicherheit schwächen. Aber es zeigt auch, was von der Leyen-Kommission die nächsten Jahre zu erwarten ist.

25 Jahre schon versucht die EU ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur-Block (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) durchzubringen. Für Ursula von der Leyen ist es ein Lieblingsprojekt und nun hat sie es (fast) geschafft. Das Abkommen kommt mit einem hohen Preis: Es wird die EU-Landwirtschaft weiter schwächen, erschüttert aber auch innerhalb der EU etablierte Allianzen.

Macron gegen Leyen

Allen voran Frankreich mit seiner starken Landwirtschaft argumentiert seit langem, dass das Abkommen ihre Agrarindustrie zerstören würde. Der Mercosur-Deal ebne den Weg für umfangreiche Importe aus Lateinamerika und dort werde zu billigeren Preisen und mit weit weniger Regulierungen produziert. Es war also Frankreich, das die letzten Jahre den Pakt blockiert hatte.

Aber letzte Woche verkündete von der Leyen überraschend, dass das Abkommen endlich unter Dach und Fach sei. Was hat sich also geändert?

Der Journalist Thomas Fazi fasste es für das Magazin Unherd zusammen:

Zum einen ist von der Leyen heute in einer viel stärkeren Position als noch vor einem Jahr. Damals strebte sie bereits eine zweite Amtszeit an der Spitze der Kommission an und konnte es sich nicht leisten, einen der mächtigsten Staats- und Regierungschefs der EU zu verärgern, dessen Unterstützung sie brauchte, um wiedergewählt zu werden. Aber dieses Problem liegt nun hinter ihr; von der Leyen muss sich nicht mehr so sehr darum kümmern, die Mitgliedstaaten zu beschwichtigen.

Außerdem ist die neue von der Leyen-Kommission ein ganz anderes Biest als ihre Vorgängerin: Diesmal hat sie Loyalisten in strategischen Positionen und ein kompliziertes Geflecht von Abhängigkeiten geschaffen – mit anderen Worten: Sie hat sich die vollständige Kontrolle über das Exekutivorgan der EU gesichert. Die Tatsache, dass sie sich stark genug fühlt, um den Widerstand eines der mächtigsten Staaten des Blocks auszuschalten, zeigt, was die nächsten fünf Jahre wahrscheinlich bringen werden.

Die Symbolik, dass von der Leyen in Lateinamerika landete, um das Mercosur-Abkommen unter Dach und Fach zu bringen, während Macron mit den Nachwirkungen des Regierungszusammenbruchs zu kämpfen hatte, blieb in Frankreich nicht unbemerkt. „Ursula von der Leyen hätte sich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können als diesen. Es ist ein großer Fehler, das jetzt zu tun. Es erweckt wirklich den Eindruck, dass sie die Krise in Frankreich ausnutzt, um zu versuchen, auf eigene Faust voranzukommen“, sagte Christophe Grudler, ein Europaabgeordneter aus Macrons Partei.

Diese Einschätzung ist schwer zu widerlegen, aber sie ist bemerkenswert ironisch, wenn sie von einem Vertreter einer der entschiedensten Pro-EU-Parteien des Blocks kommt. Von der Leyen hat eine lange Geschichte des Ausnutzens von Krisen, um mehr Autorität zu erlangen. Diese jüngste Episode ist also Teil eines nur allzu bekannten Trends der schleichenden Supranationalisierung der Politik des Blocks – zu dem Macron direkt beigetragen hat, indem er ihre Wiederwahl unterstützte.

Gestoppt werden kann das Abkommen nur noch vom Europäischen Rat. Für Macron ist das Abkommen weiterhin inakzeptabel. „Wir werden weiterhin unsere landwirtschaftliche Souveränität verteidigen“, sagte der Élysée-Präsident. Obwohl auch Polen, Österreich, Irland und die Niederlande gegen das Abkommen sind, fehlen Macron immer noch 35 % der EU-Bevölkerung, um das Abkommen zu stoppen. Deutschland befürwortet das Abkommen nachdrücklich.

Entscheidend wird wohl Italien sein – bisher konnte sich Leyen auf Meloni verlassen.

Aber warum will die Kommission das Abkommen so unbedingt? Fazi:

Aber warum ist von der Leyen so erpicht darauf, das Abkommen voranzutreiben? Der Handel ist in vielerlei Hinsicht in der DNA der Europäischen Union verankert. Aus diesem Grund verfügt der Block heute über das größte Freihandelsregime der Welt. In den letzten Jahren ist das Engagement der EU für den Freihandel jedoch in Frage gestellt worden, da sich die EU zunehmend an der geopolitischen Wettbewerbslogik der USA orientiert hat – eine Politik, die Trump noch weiter zu verstärken versprochen hat. In diesem Zusammenhang hat sich die Handelspolitik der EU zunehmend politisiert und dem Paradigma „Demokratie gegen Autoritarismus“ untergeordnet, das darauf abzielt, sich von den offiziellen Gegnern und Konkurrenten des Westens abzukoppeln. Damit ist natürlich Russland gemeint, aber zunehmend auch China. In diesem Zusammenhang stellt die Stärkung der Handelsbeziehungen mit „werteorientierten“ Nationen einen Versuch der EU dar, den Fokus auf Handelsliberalisierung mit der Übernahme der von den USA geprägten Logik des Neuen Kalten Krieges in Einklang zu bringen.

Aus Sicht der Europäischen Kommission ist die Tatsache, dass das Mercosur-Abkommen den europäischen Agrarproduzenten durch die Zunahme billigerer Importe schaden wird, ein akzeptabler Kompromiss angesichts der Tatsache, dass es die europäischen Industrieexporte, wie z. B. Autos, ankurbeln wird. Dies ist auch der Grund, warum Deutschland zu den Hauptbefürwortern des Abkommens gehört. Mit anderen Worten: Die landwirtschaftliche Produktion wird als Verhandlungsmasse betrachtet – ein Sektor, der es wert ist, im Gegenzug für den Zugang zu neuen Märkten aufgegeben zu werden.

Diese Logik birgt jedoch ein grundlegendes Problem. Die Landwirtschaft mag nicht viel „wert“ sein, aber sie liefert das wichtigste Produkt in jeder Gesellschaft: Lebensmittel, den Baustein des Lebens. Es macht wenig Sinn, die langfristige Ernährungssicherheit und -souveränität Europas für kurzfristige wirtschaftliche Gewinne zu opfern. Die ganze „Reshoring“-Debatte entspringt ja gerade einem geschärften Bewusstsein für die Notwendigkeit, gefährliche Abhängigkeiten bei kritischen Gütern und Materialien zu vermeiden. Aber wenn dies schon für Mikrochips gilt, gilt es dann nicht erst recht für Lebensmittel? Dieses Mercosur-Abkommen ist letztlich eine weitere Erinnerung daran, dass es nicht nur schlecht für die Demokratie, sondern auch für die langfristige Souveränität Europas als Ganzes ist, kritische Entscheidungen nicht rechenschaftspflichtigen supranationalen Institutionen.

Bild „24.09.19: Nein zum Freihandelsabkommen EU-Mercosur“ by UweHiksch is licensed under CC BY-NC-SA 2.0.

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2 Kommentare

  1. Jurgen 15. Dezember 2024 um 14:32 Uhr - Antworten

    Ist halt an der Zeit, sein Saatgut wieder selbst einzulagern aus der eigenen Ernte und die Traktoren mit eigenem Rapsöl zu betreiben (weil essen sollte man dieses Rattengift eh nicht) und sich darauf besinnen, dass nur das Handelsrecht hierzulande weiter gilt bis zur völkerrechtlichen Neuaufstellung (resp. 2030 oder sogar bis 2033) oder bis zu einem anders lautenden, zukünftigen UN-Beschluß dazu…

    Soviel an Souveränität hatten wir noch nie in dem Deitschautriche Lande…

  2. Sabine Schoenfelder 13. Dezember 2024 um 11:07 Uhr - Antworten

    Je größer die Zusammenschlüsse, desto geringer wird der EINFLUß der einzelnen Länder.
    Gruppendruck per Geld, Macht und Größe, per politischer Einflußnahme, Korruption und Lobbyismus w a c h s e n.
    Eine ZENTRALISIERUNG, eine Monopolisierung wird angenehm greifbar. Ebenso eine Unterordnung unter eine Idee, eine Ideologie, einen Slogan.
    Eine willige Gouvernante an die Spitze, die wie Merkel bei sich selbst „autoritäre Führungsqualitäten konstatiert“, das heißt: undemokratisch-selbstherrlich regiert 😂👍, und zack,
    freut sich der Stakeholder im Hintergrund. Gute Ursel…..🤡🥶..die Frisur sitzt.

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