Schweden auf gutem Weg entgegen anderslautenden Gerüchten

9. Dezember 2020von 5,5 Minuten Lesezeit

In den vergangenen zwei bis drei Wochen sind wieder einige Artikel erschienen, die Schweden schwere Probleme und eine Annäherung an das Verhalten anderer Länder unterstellen. Das ist allerdings unrichtig. Schweden hat zwar wieder mehr Todesfälle, dennoch keine höhere Sterblichkeit als in den Vorjahren. Die Maßnahmen der Regierung beruhen nach wie vor auf Freiwilligkeit, das Leben in Schweden ist weitgehend normal.

Die Menschen in anderen Ländern leiden stark unter den Maßnahmen ihrer Regierungen, die Arbeitslosigkeit, schwere psychische und soziale Belastungen, zum Teil Einsamkeit und Schädigung der Gesundheit nach sich ziehen – abgesehen von der Schweiz und Belarus, die ähnlich wie Schweden agieren. Verständlich, dass viele Menschen wünschen mit diesen Problemen nicht alleine zu sein und schon gar nicht will man sich ansehen, dass es auch anders geht. Deshalb werden in manchen Mainstream Medien ungeniert Halbwahrheiten oder direkt Lügen über Schweden verbreitet.

Richtig ist, dass auch Schweden das jahreszeitlich bedingte stärkere Infektionsgeschehen hatte und hat – mit einigen Unterschieden. Sowohl die Aufnahmen in die Intensivstationen als auch die Todesfälle haben einen kürzeren und stärkeren Anstieg verzeichnet, als in den meisten anderen Ländern. Der Rückgang scheint aber mit einem ähnlich steilen Abfall zu passieren.

Ein Argument, das immer wieder vorgebracht wird, ist aber, dass Schweden bezüglich Todesfällen sehr schlecht im Vergleich zu den skandinavischen Nachbarn abschneidet. Allerdings konnten eine Reihe von Studien keinen signifikanten Einfluss von Lockdowns und schärferen Maßnahmen belegen, nicht einmal für die Verwendung von Masken. Das zeigt sehr deutlich übrigens gerade das Beispiel Schweiz und Österreich. Die Kurven aller relevanter Kennzahlen, verlaufen völlig identisch, obwohl die Schweiz keinen Lockdown und keine Sperren von Schulen, Geschäften und der Gastronomie hat, Österreich dagegen sehr wohl.

Unterschiede in der Bevölkerung der skandinavischen Länder

Die Gründe für Unterschiede müssen also woanders zu suchen sein. Schweden hatte zu Beginn des Jahres 2020 eine viel größere gefährdete Bevölkerung als seine nordischen Nachbarn. Dies zeigt sich in den Statistiken auf vielfältige Weise.

Die erste ist, dass Schweden eine große Zahl von Pflegeheimen hat. Bezogen auf die Bevölkerungsgröße ist Schwedens Pflegeheimpopulation 50% größer als die Dänemarks. Und in Schweden gehen die Menschen erst dann in Pflegeheime, wenn sie sich dem Ende ihres Lebens nähern.

Die zweite Möglichkeit, dies in den Statistiken zu erkennen, ist die Betrachtung der Gesamtmortalität für das unmittelbar vorausgegangene Jahr 2019, wie hier im Vergleich der Mortalität für die Jahre 2015 bis 2020 jeweils bis zur Woche 47 zu erkennen. Wenn ungewöhnlich wenige Menschen in einem Jahr sterben, dann sterben ungewöhnlich viele im folgenden Jahr, da es einen Übertragseffekt gibt. 2019 war in Schweden ein ungewöhnlich untersterbliches Jahr. Wir sehen, dass 2019 bis zur Woche 47 nur 775 Todesfälle pro 100.000 Einwohnern zu verzeichnen waren, gegenüber 831 im Jahr 2020 und 839 im Jahr 2015. 2019 hatte die geringste Sterblichkeit der Periode 2015 bis 2020.

Es gab also zu Beginn des Jahres 2020 eine ungewöhnlich hohe Zahl sehr gebrechlicher alter Menschen im Land, als Covid zuschlug. Dieser Effekt war bei den nordischen Nachbarn Schwedens nicht zu beobachten – für sie war 2019 im Hinblick auf die Gesamtsterblichkeit normal.

In Schweden lag die Gesamtsterblichkeit im Jahr 2019 um 2,5% unter dem Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre. In Norwegen entsprach die Sterblichkeit genau dem Durchschnitt. In Dänemark und Finnland lag die Sterblichkeitsrate jeweils 1% über dem Durchschnitt. Dänemark, Finnland und Norwegen befanden sich von Anfang an in einer wesentlich besseren Position in Bezug auf Covid. In Schweden musste es daher mehr Todesfälle geben, unabhängig von den Maßnahmen, die es ergriffen hat.

Unterschiedliche Hauttypen

Ein weiterer Unterschied betrifft die Tatsache, dass Schweden eine viel größere Einwandererpopulation hat als seine nordischen Nachbarn. 19% der schwedischen Bevölkerung sind im Ausland geboren, im Gegensatz zu 14% in Dänemark und Norwegen und nur 8% in Finnland. In der Praxis bedeutet dies, dass Schweden eine größere Population von Menschen mit dunklerer Haut hat. Es wurde in einer ganzen Reihe von Studien nachgewiesen, dass dunkelhäutigere Menschen in den westlichen Ländern mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit schweres Covid-19 entwickeln als hellhäutigere Menschen.

Der Grund dafür ist, dass dunklere Haut die Bildung von Vitamin D bei den nördlichen Sonnenständen deutlich verringert. Und Vitamin D ist der stärkste Einflussfaktor auf die Effizienz und Stärke der Reaktion des Immunsystems. Dieses braucht für Bildung von T-Zellen Vitamin D, wie eine Studie an der Universität Kopenhagen gezeigt hat. Und Vitamin D wird auch zur Signalisierung innerhalb des Immunsystems benötigt damit es auch wieder abgeregelt wird, wenn die Viren besiegt sind. Passiert das nicht kommt es zu schweren Organschädigungen.

Die Reisefreudigkeit der Schweden

Die Schweden reisen international weit mehr als ihre nordischen Nachbarn (80% mehr pro Million Einwohner), was dazu geführt hatte, dass zu Beginn der Pandemie wesentlich mehr Fälle von Covid ins Land gebracht worden waren.

Insbesondere nach Stockholm wurden viel mehr Fälle von Covid-19 aus dem Ausland importiert, bevor Maßnahmen ergriffen wurden, um die Ausbreitung zwischen den Ländern zu stoppen. Der Hauptgrund dafür ist, dass in Stockholm Ende Februar ein „Sporturlaub“ („sportlovet”) stattfindet, bei dem viele Menschen in den Alpen Ski fahren – siehe Ischgl. Die anderen nordischen Länder haben ähnliche Feiertage, aber sie haben sie früher. Jeder Norweger, Däne oder Finne, der in den Alpen Skifahren ging, war also da, bevor die Pandemie in dieser Region explodierte, während die Menschen aus Stockholm dort waren, als sich die Infektionen am schlimmsten ausbreiteten.

Die beiden anderen Großstädte in Schweden, Malmö und Göteborg, bieten eine nützliche Kontrolle für diese Hypothese. Beide Städte haben ihren Sporturlaub ein oder zwei Wochen vor Stockholm, und beide wurden weit weniger schwer getroffen als Stockholm in der ersten Welle. In Stockholm gab es 40% der schwedischen Todesfälle, obwohl nur 24% der schwedischen Bevölkerung in Stockholm leben.

Wir werden sehen, wie sch die Zahlen in Schweden weiter entwickeln. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass in weiten Teilen des Landes und insbesondere in der Region Stockholm Herdenimmunität erreicht wurde oder demnächst erreicht wird.

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Anmerkung: In den Kommentaren unter vielen Artikeln finden sich interessante Informationen – lesen lohnt sich.

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