170 Diesel-Tote – Schwachsinn oder Wissenschaft?

22. September 2017von 5,3 Minuten Lesezeit

Facebook und Twitter regen dazu an, zu wissenschaftlichen Erkenntnissen Meinungen zu haben. Die größten Aufreger liefert Trump über Twitter. Aber auch in Facebook lassen sich täglich solche Meinungen über Wissenschaft nachlesen, zuletzt bei der Erkenntnis wie viele Tote die Betrügereien der Autokonzerne verursachen.

Zunächst zur Aussage der Studie. Sie erschien im Wissenschaftsmagazin „Environmental Research Letters“. Demnach sind in Österreich insgesamt 170 vorzeitige Todesfälle auf die NOx-Emissionen von Dieselfahrzeugen zurückzuführen, 80 davon gehen auf das Konto der geschönten Abgaswerte. In der EU sind es insgesamt 10.000 Tote, davon 5.000 durch die Betrügereien.

Auf Facebook fanden sich dann die eigenartigsten Kommentare dazu. Hier zwei Beispiele: „Das ist aber schon eine merkwürdige Statistik. Sich über Stickoxide aufregen, sich dann gleich eine Zigarette anheizen und dann den Lungenkrebs vielleicht den Stickoxide anrechnen ist absolut unseriös.“

Oder „Bei der Statistik wollte ich dem Typen der die Statistik vorgetragen hat auch gleich an die Gurgel hupfen. Es gibt viele schlimme Sachen, wie Dieselpartikel, die Kreuzfahrtschiffe, die mit einem Stop mehr Partikel raushauen, als eine Grossstadt an Autoverkehr an einem Tag verursacht.“

Lasst uns nochmal die Aussage der Studie ansehen: 10.000 Tote in der EU verursacht durch die von Diesel-Autos produzierten Stickoxide, 5.000 davon durch die erhöhten Werte dank der Betrügereien.

Haben die Autoren durch Autopsien die Todesursache festgestellt? Nein, die Zahl wurde mit statistischen Verfahren errechnet. Wir wissen sehr genau welche biochemischen Wirkungen Salpetersäure, bzw die NOx Gase,  im Körper haben. Wir kennen auch die medizinischen Folgen davon. Daraus lässt sich mit statistischen Methoden errechnen, bei wie vielen Personen die Belastung auschlaggebend für einen Todesfall war. Natürlich nicht alleine, sondern in Zusammenwirken mit anderen Umweltgiften und gefördert durch den Mangel an Vitaminen und anderen Antioxidantien. Oder eben durch schlicht zu hohe Konzentrationen über einen zu langen Zeitraum.

Die Ergebnisse der Studie könnten natürlich durch weitere wissenschaftliche und methodische Erkenntnisse widerlegt werden. Aber einfach so zu sagen, sie sei falsch ist ein Phänomen der Fake News Kultur in sozialen Medien und Wissenschaftsleugnern wie Trump, Strache und Co.

Wobei offenbar die Meinungen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen sich auf populäre Themen erstecken, die auch Politiker aufgegriffen haben. Die Leugner würden aber wohl kaum folgender Aussage widersprechen: Wir können nicht sagen, ob ein bestimmtes hochenergetisches Teilchen beim Durchfliegen eines Atomkerns abgelenkt wird. Bei einer großen Zahl von Teilchen wissen wir aber mit Gewissheit welcher Prozentsatz davon abgelenkt, bzw gestreut wird.

Klingt genauso unplausibel wie die 170 NO2 Toten in Österreich. In dem einen Fall haben wir es mit den Wissenschaften Biochemie, Medizin und Mathematik (Statistik) zu tun, im anderen Fall mit Quantenmechanik und ebenfalls Mathematik. Mit ausreichendem Wissen über die Fachgebiete und Mathematik ist beides verständlich, fehlt ein Wissensgebiet muss es unverständlich bleiben. Aber  – weder das eine noch das andere wird durch das Meinungen eines Politikers oder des Facebook Posters falsch.

Aber auch Journalisten schreiben teils völlig daneben. So etwa Karl Gaulhofer in der Die Presse am 18. September unter dem Titel ‚Analyse – Diesel als falsches Schreckgespenst‘: „Wie willkürlich die immer schärferen Grenzwerte sind, zeigt ein Vergleich mit den Vorgaben für Arbeitsplätze: Dort sind in Deutschland 23 Mal höhere Konzentrationen erlaubt als im Straßenverkehr.“

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Schweißen erzeugt wie die Herstellung von Dynamit recht hohe NOx Konzentrationen

Das ist einfach falsch und irreführend. Denn die 23 Mal höheren Grenzwerte sind bei der Produktion von Dynamit und beim Schweißen erlaubt. Dynamit wird unter anderem aus Salpetersäure hergestellt, daher viel NO2 am Arbeitsplatz, und die extrem hohen Temperaturen beim Schweißen schaffen es den Stickstoff in der Luft zu ‚verbrennen‘.

Aber keine Rede davon, dass die 23-fache Konzentration generell am Arbeitsplatz erlaubt ist. Bei der Dynamit Produktion und beim Schweißen sind Schutzmaßnahmen und ärztliche Kontrollen vorgeschrieben. Das wäre mit 30 Sekunden Recherche auch für einen nicht in der Wissenschaftsredaktion arbeitenden Journalisten zum Beispiel hier herauszufinden gewesen.

Das Problem sind meiner Meinung nach Meinungsbildner wie Politiker (siehe Trump, Strache …) aber auch Journalisten, die Wissenschaft als Fake News bezeichnen und ohne die geringste Beschäftigung und ohne  Sachwissen Dinge behaupten, die ihnen ins politische Konzept passen.

Ein Mangel liegt auch in unserem Schulsystem. Es wäre dringend nötig Medienkompetenz zu unterrichten, wie wir Kandidaten der Liste Pilz fordern. Das war früher nicht so nötig als wir uns noch auf den Wahrheitsfilter von Medien verlassen konnten. Obwohl natürlich auch bei den Qualitätsmedien der Filter der Ideologie und der politischen Meinung eine verzerrende Rolle spielte und weiter spielt, der ist aber bekannt und ziemlich konstant.

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Die Anzahl der Sonneneruptionen hat in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen

Die Sache ist, dass wissenschaftliche Erkenntnisse Fakten beschreiben. Der Astronom Florian Freistädter, bekannt aus der Sendung Science Busters, hat die Behauptungen von FPÖ-Strache zurückgewiesen, dasswährend der letzten Jahrzehnte angestiegen ist und als Ursache für den Klimawandel in Betracht zu ziehen seien.

Das ist völlig falsch, denn Anzahl und Intensität der Sonneneruptionen sind in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen und haben auch sonst mit dem Klimawandel nichts zu tun. Freistädter stellt dazu fest: „Das sind Fakten! Das ist nichts über das man diskutieren kann; dazu kann man keine ‚Meinung‘ haben – man kann die Fakten entweder akzeptieren oder man kann sie leugnen; mehr nicht.“

Strache ist wie Trump einer der Wegbereiter für die Verbreitung von Meinungen über Wissenschaft und Fakten ohne die geringste Ahnung davon zu haben. Wichtig ist nur, dass es der eignen politischen Agenda dient und der Maximierung von Wählerstimmen.

Nachtrag 24.9.2017: In den Ersatzteilkatalogen für Euro 5 Fahrzeuge hat der ADAC festgestellt, dass es für viele dieser Autos bereits fertige Abgasreinigungssysteme gibt, die auch als Sonderausstattung angeboten wurden. Auch für Modelle von BMW (1er, 2er, 5er) und Mercedes (E, G, GLK) gibt es solche Hardware-Nachrüstungs-Lösungen. Die deutschen Hersteller bieten seit mindestens sechs Jahren für die meisten Dieselmodelle SCR-Systeme an, also Abgasreinigungsanlagen, die mittels Harnstoff (im Handel unter dem Namen Adblue) sehr effektiv Stickoxide filtern. BMW verkaufte für viele Fahrzeuge zudem zumindest Speicherkatalysatoren, nicht ganz so wirksam, aber ebenfalls effektiver als Software allein.

Disclaimer: Peter F. Mayer kandidiert auf der Liste Pilz Niederösterreich, sowie im Wahlkreis 3a Weinviertel.

2 Kommentare

  1. wbiebel 23. September 2017 at 0:07

    Ich stimme jedenfalls zu!
    Eines aber ist seit Popper bekannt: dass es nicht zulässig ist, zu behaupten, irgendetwas hätte mit etwas anderem «nichts zu tun». Weil wir Wirkungen 1. nicht erschöpfend erfassen können und 2. es möglich ist, dass es Wirkungen gibt, die wir mit heutigen Mitteln nicht erkennen können.
    Man kann seriöserweise nur Wirkungen feststellen, aber keine Nicht-Wirkungen; diese Behauptungen müssen immer in einen relativen Kontext gestellt werden.

  2. Wolfgang Biebel 23. September 2017 at 0:06

    Ich stimme jedenfalls zu!
    Eines aber ist seit Popper bekannt: dass es nicht zulässig ist, zu behaupten, irgendetwas hätte mit etwas anderem «nichts zu tun». Weil wir Wirkungen 1. nicht erschöpfend erfassen können und 2. es möglich ist, dass es Wirkungen gibt, die wir mit heutigen Mitteln nicht erkennen können.
    Man kann seriöserweise nur Wirkungen feststellen, aber keine Nicht-Wirkungen; diese Behauptungen müssen immer in einen relativen Kontext gestellt werden.

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